Die Corona-Pandemie hat Veränderungen in der Arbeitswelt mit sich gebracht: Viele Betriebe waren gezwungen, das Konzept des Präsenzarbeitsplatzes im Unternehmen zu überdenken und mehr Arbeitsplätze einzurichten, die es den Mitarbeitern ermöglichen, von Zuhause aus ihren Beitrag zum Unternehmenserfolg zu leisten.
Aus den Vereinigten Staaten wurde jetzt berichtet, dass die zunehmende Digitalisierung und die Einrichtung der Home-Office Optionen in der Corona-Pandemie dazu geführt hätten, dass Menschen mit Behinderungen wieder mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhalten haben. Laut des US-Nachrichtenportals „Axios“ erreichte die Partizipationsrate von Menschen mit Behinderungen über 16 Jahren am Arbeitsmarkt mit 23,3 Prozent den höchsten Stand seit 2008. Dabei gibt es in den USA eigentlich schon seit 30 Jahren einen Gesetzeskatalog, der die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen beseitigen soll. Er regelt Fragen der behinderungsgerechten Arbeitsplatzgestaltung bei Arbeitgebern mit mindestens 15 Beschäftigten des öffentlichen Nahverkehrs oder der Telekommunikation. Diese Vorschrift hat allerdings in der Vergangenheit zu keinem Zeitpunkt derart viele flexible Aufbrüche auf dem Arbeitsmarkt für benachteiligte Menschen mit sich gebracht, wie die Pandemie.
Durch die vielen positiven Erkenntnisse aus der aktuellen Krise ist den Firmen jetzt in vielen Bereichen auch die Argumentationsgrundlage entzogen, dass ein Arbeiten von Zuhause aus nicht möglich sei. Sie haben vielmehr für sich entdeckt, dass ein remotes Arbeiten zur Kosteneinsparung im Unternehmen beitragen kann.
Home-Office nützt Menschen mit Behinderung
Nach einer repräsentativen Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) kann die Beschleunigung der Digitalisierung auch in der Bundesrepublik einen positiven Effekt für Menschen mit Behinderung und ihre Chancen auf eine Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt mit sich bringen: Fast ein Drittel der Unternehmen in Deutschland glaubt demnach, dass die Digitalisierung die Jobchancen für Menschen mit Behinderungen verbessert. Von den großen Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten sagt dies sogar fast die Hälfte. Ein Grund für diese positive Einschätzung ist, so das Institut, dass die derzeit viel intensiver genutzten Online-Kommunikationsdienste den Arbeitsalltag von Menschen mit Behinderung erleichtern. Das gilt vorwiegend im öffentlichen und privaten Dienstleistungssektor. Dort ist derzeit fast ein Drittel aller behinderten Erwerbstätigen in Deutschland beschäftigt. Dazu gehören unter anderem das Bildungswesen, Reisebüros sowie der Garten- und Landschaftsbau.
Das Home-Office bringt für behinderte Menschen tatsächlich erhebliche Vorteile mit sich. So ist zum Beispiel der Arbeitsweg gerade für Blinde oder Gehbehinderte eine Herausforderung, die einer Arbeitsaufnahme entgegenstehen kann. Technische Hilfsmittel, die ansonsten Zuhause und am Arbeitsplatz benötigt werden, muss man nur einmal vorhalten. Remotes Arbeiten bringt mehr digitale Abläufe mit sich. Gerade für blinde Menschen ist das papierlose Arbeiten eine echte Erleichterung. Solange die Unternehmen durch die Struktur der Arbeitsorganisation eigentlich nur die Tätigkeit im Unternehmen vor Ort kannten und remotes Arbeiten allenfalls in Ausnahmesituationen möglich war, waren viele Stellen für Behinderte Menschen überhaupt nicht zugänglich. Immerhin leben 15 Prozent der Menschen weltweit mit einer Beeinträchtigung, sei sie körperlich, geistig oder beides. Auch in Deutschland trifft das nach einer Statistik aus dem Jahre 2019 auf fast zehn Prozent der Gesamtbevölkerung zu.
Home-Office als Lösung
Auch für Menschen mit einer psychischen oder chronischen Erkrankung kann ein Arbeiten im Home-Office ohne festgelegte Arbeitszeiten eine Lösung zur Integration in den Arbeitsmarkt sein. Insbesondere dann, wenn ihre beeinträchtigenden Symptome schubweise auftreten und sie dann auf unbestimmte Zeit nicht tätig sein können. Hier helfen flexible Arbeitsmodelle, die keine Arbeitsstunden, sondern ein bestimmtes Arbeitspensum zur Erledigung in einem weiteren Zeitfenster definieren. Der technische Fortschritt eröffnet Menschen mit Behinderungen ebenfalls verbesserte Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt: Vorlese-Software, Bildschirmlupen oder Einstellungen zur Anpassung der Bildschirmkontraste haben sich bereits als hilfreiche Systeme bewährt. Die Anwendungen aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz können ebenfalls zu einer Verbesserung der Arbeitssituation beitragen. Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) versorgen Menschen mit Sehbehinderungen mit Standortinformationen: Datenbrillen können hörgeschädigten Menschen wichtige Informationen direkt in ihr Sichtfeld bringen.
Allerdings bringt nicht jede technische Neuerung auch Verbesserungen mit sich: So muss darauf geachtet werden, dass beispielsweise die Software, die zum Einsatz kommt, für Arbeitnehmer mit Benachteiligungen anwendbar ist und die Komplexität der Systeme nicht dazu führt, dass neue Hürden etwa beim Zugang zu den Firmennetzwerken errichtet werden.
Einige Barrieren müssen noch überwunden werden
„Grundsätzlich kann die Arbeit im Homeoffice für Menschen mit Behinderung eine Erleichterung sein, weil die Barrieren auf dem Weg zum Arbeitsplatz wegfallen“, erklärt die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, gegenüber der „Tagespost“. Allerdings müsse in jedem Fall gewährleistet sein, dass der häusliche Arbeitsplatz entsprechend den Anforderungen des Arbeitgebers und den Bedürfnissen des Arbeitnehmers barrierefrei gestaltet sei. Diese Ausstattung umfasse beispielsweise auch die entsprechende Software. „Die barrierefreie Gestaltung muss im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben von den Kostenträgern finanziert werden“, ergänzt Bentele. An dieser Stelle habe es während der Corona-Pandemie häufig gehakt, weil die Behörden die Bearbeitung von Anträgen auf Teilhabeleistungen wegen Personalmangels oft nicht bewältigen konnten.
In Zeiten fehlender Fachkräfte in den verschiedensten Bereichen versuchen Unternehmen heute verstärkt Menschen mit Beeinträchtigungen als Arbeitskräfte zu gewinnen. Durch die technischen Veränderungen lassen sich diese deutlich besser als in der Vergangenheit inkludieren. Die Chancen für qualifizierte, aber beeinträchtigte Mitarbeiter steigen daher. Bereits vor der Pandemie hat die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) eine internationale Studie durchgeführt. Dabei ging es um die Ermittlung innovativer Beispiele aus dem Ausland, die dabei helfen können, Barrieren in Unternehmen abzubauen und den Zugang von Menschen mit Behinderung in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu verbessern.
Die Betriebe sind gefordert
Fernarbeitskräfte mit Behinderungen, die im Home-Office arbeiten, bedürfen allerdings einer besonderen Aufmerksamkeit durch die Personalverantwortlichen und Vorgesetzten in den Unternehmen. „Eine Gefahr des Home-Office ist, dass sich Menschen mit Behinderungen sozia
l isolieren. Für sie ist der Arbeitsplatz manchmal der einzige Ort, an dem sie im Sinne der Inklusion soziale Kontakte knüpfen“, erläutert Verena Bentele. In hybriden Arbeitsumgebungen besteht die Gefahr, dass solche Mitarbeiter in der Alltagsroutine eines Unternehmens aus dem Blick geraten. Die Betriebe sind also gefordert, ihre Angestellten im Home-Office durch Schulungs- und Begleitungsangebote zu unterstützen. Derartige Maßnahmen tragen dazu bei, das Wohlbefinden der Mitarbeiter zu stärken uns so die Produktivität in der Firma zu steigern.
Jedoch: Die größte Hürde in der Arbeitswelt für Menschen mit Behinderungen ist die Jobsuche selbst und nicht das eigentliche Arbeiten. Da gilt es für viele Unternehmen umzudenken. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen benötigen, so das IdW, mehr Informationen über die Besonderheiten bei der Einstellung und Ausbildung von schwerbehinderten Menschen. So könne man gängige Vorurteile abbauen und Einstellungsbarrieren beseitigen. Unternehmen hätten zum Teil die Sorge, dass sie ihr ganzes Gebäude auf eigene Kosten umbauen müssten, wenn sie eine Person im Rollstuhl einstellen. Eine solche rollstuhlgerechte Arbeitsplatzgestaltung ist jedoch nur für die Bereiche erforderlich, die auch genutzt werden, also beispielsweise den Zugang zum Gebäude, den betreffenden Arbeitsplatz, den Toilettenbereich oder die Kantine. Zudem wird der Umbau finanziell gefördert – und bei Home-Office-Lösungen fallen derartige Hindernisse ohnehin weg.
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