Tech-Rezession

Big Tech im Umbruch

Amazon, Facebook und Co. müssen erstmals kleinere Brötchen backen.
Neue Elektrofahrräder von Amazon - Großbritannien
Foto: dpa | Tech-Konzerne wie Amazon werden erstmals seit ihrem Bestehen mit Umsatzrückgängen und Mitarbeiterentlassungen konfrontiert.

Ein weißes Pferd mit Bogen, ein feuerrotes mit Schwert, ein schwarzes mit Waage und Wucher und ein fahles mit dem Tod auf seinem Rücken: Der Tech-Blogger Ben Thompson, der früher selbst als Analyst bei Apple und Microsoft gearbeitet hat, sieht dunkle Wolken über dem Silicon Valley und seinen Tech-Konzernen aufziehen. Auf seinem einflussreichen „Stratechery“-Blog verkündet er die Ankunft der „vier apokalyptischen Reiter der Tech-Rezession“.

Die Konzernergebnisse brachen 2022 ein

Bevor nun fälschlicherweise aufatmet, wem die wachsende Macht der Technologiekonzerne – vergangenes Jahr gaben Amazon, Apple und Microsoft so viel Geld für Lobby-Arbeit aus wie noch nie zuvor – suspekt ist: Die Endzeit dürfte Big Tech kaum ins Haus stehen. Auch wenn der „Tech Crash“ des vergangenen Jahres gerne mit dem Platzen der Dotcom-Blase im März 2000 oder der Weltfinanzkrise 2007 bis 2009 verglichen wird, weisen aktuelle Börsenzahlen vielmehr auf eine Erholung oder gar einen neuerlichen Aufschwung der US-amerikanischen Technologie-Branche hin. Dennoch lastet der Schatten des vergangenen Jahres nach wie vor auf ihr.

Das zeigt nicht zuletzt der Blick in die jüngst veröffentlichten Quartalszahlen: Die Erlöse von Apple sanken im vierten Quartal des vergangenen Jahres um fünf Prozent und der Nettogewinn sogar um 14 Prozent. Historische Gewinneinbußen – und zwar ausgerechnet aufgrund seines Steckenpferdes, des iPhones – musste Apple hinnehmen, als das Werk des Zulieferers Foxconn in der chinesischen „iPhone-Stadt“ Zhengzhou wegen der Corona-Politik Xi Jinpings und Lohnprotesten der Belegschaft im Herbst letzten Jahres seine Produktion pausieren musste. Dabei gilt das Unternehmen als Musterschüler der Tech-Branche und konnte sich aufgrund tendenziell nachhaltigeren Wirtschaftens und einer – im Gegensatz zu Amazon – zurückhaltenden Personalpolitik noch vergleichsweise glimpflich durch die Krise manövrieren. Im Gegensatz zu anderen: So brach das Konzernergebnis von Amazon um 97 Prozent ein, das von Facebooks Mutterkonzern Meta um 55 Prozent und jenes des Google-Konzerns Alphabet um 34 Prozent. Das Konzernergebnis von Microsoft wiederum erfuhr einen Rückgang um zwölf Prozent.

Die Branche spart

Die schlechten Ergebnisse finden ihren Niederschlag in einer neuen und ungewohnten Sparmentalität innerhalb der Branche. Gespart wird dabei vor allem am Personal: Amazon hat – nachdem während der Pandemie 800 000 neue Beschäftigte eingestellt wurden – 18 000 Mitarbeiter entlassen. Microsoft hat 10 000 und Alphabet 12 000 Stellen gestrichen. Selbst das dank Home-Office und Online-Lehre omnipräsente Videokonferenztool Zoom musste 1 300 Beschäftigte entlassen. Twitter halbierte die Zahl seiner Mitarbeiter sogar. Als Grund dafür, dass Tech-Investoren trotz dieser Zahlen wieder optimistischer werden und sich die Aktienwerte wieder verbessern, gilt – neben dem Ende der Null-Covid-Politik in China – die sinkende Sorge vor einer Rezession und steigenden Zinsen.

Thompson jedoch bleibt bei seiner Prognose einer „apokalyptischen“ Tech-Rezession und betont, dass Technologieunternehmen in einer Echokammer existieren würden und dementsprechend mit eigenen Problemen zu kämpfen hätten, die weite Teile der Wirtschaft nicht beträfen. Als ersten Faktor dieser Rezession identifiziert er den „Corona-Kater“: Zahlreiche Technologie-Unternehmen rechneten mit einer langfristigen Transformation zu ihren Gunsten – vor allem Dienstleister aus dem wegen der Remote-Arbeit unabdingbar gewordenen „Software as a Service“-Sektor (SaaS). Doch diese Aussicht verwirklichte sich laut Thompson nur bedingt. Mag die Pandemie auch gesellschaftliche und wirtschaftliche Megatrends wie in diesem Fall die Digitalisierung beschleunigt und intensiviert haben, haben sich einige Big-Tech-Unternehmen im pandemischen Profitrausch verkalkuliert: So habe der Versandhandelsriese Amazon seine Kapazitäten entsprechend des plötzlich stark angewachsenen Bedarfs im Online-Handel ausgebaut, aber nicht damit gerechnet, dass sich dieser Bedarf mit dem Abklingen der Pandemie auch wieder normalisieren würde. Dies, so Thompson, habe dazu geführt, dass Amazon nicht nachhaltig profitiert habe.

Die Corona-Nachfrage wurde überschätzt

Als zweiten Faktor macht Thompson Hardware-Lebenszyklen aus: Viele Kunden, die sich Elektrogeräte – oder im Falle Amazons auch andere länger nutzbare Güter – anschaffen, dürften ihren privaten Bedarf danach erst einmal saturiert haben. Den dritten Faktor stellt für Thompson das Ende der Nullzinspolitik dar: „Die Investoren verstehen, dass Kapitaleinsätze nicht mehr kostenlos sind – und, dass der Preis, den sie für Wachstum ohne Rentabilität zu zahlen bereit sind, in den Keller geht.“ Viele Geschäftsmodelle von SaaS-Diensten – zu denen beispielsweise die Kollaborationstools Microsoft Teams und Slack gehören – hätten unrentable Vorleistungen beinhaltet, die von langfristig anhaltenden Zahlungen ihrer Kunden ausgegangen seien. Steigende Zinssätze und anhaltende Inflation hätten dieses auf langfristige Einnahmen ausgerichtete Geschäftsmodell jedoch angezählt. Den letzten Faktor stellt laut Thompson schließlich die „ATT-Rezession“ dar – die Einschränkung von Digitalwerbung in ihrer bisher bekannten Form durch die von Apple vorgegebene „App Tracking Transparency“ (ATT): Für Social-Media-Plattformen wie Facebook, die von Verarbeitung und Verkauf von Nutzerdaten zu Werbezwecken leben, bedeutet die 2021 eingeführte iOS-Funktion – die von App-Entwicklern einfordert, dass sie App-Nutzer aktiv fragen, ob diese ihre Daten überhaupt dafür bereitstellen wollen – einen massiven Einnahmenverlust.

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Die EU vermiest das Geschäft

Auch die Datenschutzgrundverordnung der Europäischen Union vermiest das Geschäft mit den Nutzerdaten. Im US-amerikanischen Tech-Magazin „FastCompany“ schreibt Marketing-Experte Chris Gadek den „Tod der Digitalwerbung“ der Gier ihrer Betreiber zu: Hätten diese sich selbst reguliert, hätten weder Apple noch Brüssel ihr Vorgehen gegen sogenannte verhaltensbasierte Werbung ausreichend legitimieren können. Nun aber nähere sich die Zukunft der Digitalwerbung jenem Modell an, vor dem Tim Berners-Lee nicht müde wurde zu warnen: Schon früh befürchtete der Begründer des World Wide Web die Herausbildung sogenannter „Walled Gardens“, also monopolistischer und geschlossener Plattformen, die den Markt und damit den Zugang zu Informationen oder in diesem Falle Werbekanäle im Netz kontrollieren. Laut Gadek würden dabei Video- und Audiowerbung in mobilen Apps zunehmend die durch Verarbeitung und Verkauf von Nutzerdaten personalisierte Werbung andererseits ablösen.

So ist die Einführung der „ATT“-Funktion also kein Akt der Barmherzigkeit: Vielmehr gilt Apple als ein Paradebeispiel für einen „Walled Garden“, weshalb das Unternehmen oft die Aufmerksamkeit von Gesetzgebern und Behörden in den USA wie in Europa erregt. Während sich Apple als Datenschützer inszeniert, hat die EU gegenüber Meta aufgrund von Verstößen gegen die Datenschutzgrundverordnung erst vor wenigen Monaten eine Strafe von 390 Millionen Euro verhängt. In den USA wiederum wird ein Verbot der Kurzvideo-App TikTok des chinesischen Konzerns Bytedance gefordert, nachdem diese mit Datenschutz- und sogar Spionageskandalen aufgefallen war. Die Konflikte zwischen technologischen und politischen Machtstrukturen nehmen also zu.

Zwischen ChatGPT und Bard

Und seit der Chatbot-Prototyp ChatGPT das Netz im Sturm erobert hat, überschlagen sich zudem die Prognosen über mögliche Disruptionen, die der Einzug von KI-Technologien in Sektoren bedeuten könne, in denen sie bisher nicht so präsent waren wie in der Produktion, wo längst unter anderem Roboterarme mithelfen. Statistiken zeigen, dass Chat-GPT in so kurzer Zeit so viele Menschen erreichte wie kaum eine andere Anwendung: Brauchte der Chatbot des inzwischen von Microsoft subventionierten KI-Unternehmens OpenAI nur fünf Tage, um eine Millionen Nutzer zu erreichen, waren es beim Streamingdienst Netflix 1 278 und selbst beim iPhone 74 Tage. Das Szenario ihrer Automatisierung beschäftigt die Medien- sowie die Kultur- und Kreativwirtschaft, aber auch die Wissenschaft verständlicherweise sehr. Diese Drohkulisse macht – wenn vielfach ein eher ergänzender als ersetzender Einsatz von KI prognostiziert wird – eine Auseinandersetzung mit im Westen lange verdrängten anthropologischen und metaphysischen Fragen schließlich zu einer auch wirtschaftlichen Notwendigkeit. Unter dem Schutz ethischer Bedenken stehen Suchmaschinen nicht: Experten in Online-Marketing und Suchmaschinen-Optimierung stehen infolge der zunehmenden Nutzung von ChatGPT als Suchmaschine fast genauso unter Zugzwang wie die großen Suchmaschinen-Anbieter und vor allem Platzhirsch Google, der mit „Bard“ eine Konkurrenz-KI ins Rennen schickt.

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