Über ein Vierteljahrhundert ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt bereits alt, mit dem die EU Haushaltskriterien für die Mitgliedstaaten der Eurozone festgelegt hat. Demnach dürfen die Eurostaaten kein Haushaltsdefizit über drei Prozent und keine Verschuldung über 60 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts ausweisen. Und obwohl seit der Einführung des Stabilitätspaktes 1997 zahlreiche Verstöße von Mitgliedstaaten erfolgt sind, hat dies bis heute zu keiner einzigen, im Pakt für diesen Fall ja gerade vorgesehenen Sanktion geführt.
Die Europäische Kommission hat nun Vorschläge vorgelegt, mit denen der Stabilitätspakt ab dem kommenden Jahr reformiert werden soll. Ziel ist es, die Kriterien nicht mehr statisch zu verfolgen, sondern vor allem individuelle Lösungen mit den jeweiligen Staaten zu vereinbaren.
Dieser Vorschlag ist problematisch, weil es einheitliche und transparente Maßnahmen für alle braucht. Wenn jeder Mitgliedstaat individuelle Ziele vereinbart, ist einer noch extensiveren Nichtanwendung des Paktes Tür und Tor geöffnet.
Ein sozialethisch ein nicht zu unterschätzendes Gut
Gleichzeitig hilft aber auch das Festhalten an den ursprünglichen Kriterien kaum weiter, die inzwischen für viele Länder völlig unrealistisch sind. Frankreich, Portugal und Belgien sind inzwischen in Höhe von über 100 Prozent ihres BIPs verschuldet, Italien sogar in Höhe von fast 150 Prozent. Es ist schlichtweg nicht vorstellbar, dass Italien in absehbarer Zeit das 60-Prozent-Ziel erreicht. Der Pakt ist also auch ohne Reform das Papier fast nicht mehr wert, auf dem er steht.
Deshalb gilt für jede Reform: Wenn der Pakt nicht nur ein Feigenblatt sein soll, das Stabilität vortäuscht, dann müssen sich die Staaten an die eigenen Regeln halten. Denn Währungsstabilität ist keine wirtschaftswissenschaftliche Ästhetik, sondern sozialethisch ein nicht zu unterschätzendes Gut.
An der Entwicklung der letzten Jahre, in denen eine Niedrigzinsphase von hoher Inflation abgelöst wurde, lassen sich die schädlichen Effekte beider Extreme sehen. Deshalb ist es wichtig, daran festzuhalten, dass die Staatsverschuldung nicht aus dem Ruder läuft. Das ist sie durch die Krisenbewältigung der letzten Jahre schon mehr als genug.
Der Schiedsrichter ist gefordert
Stabilität erfordert, dass – wenn sich schon die Spieler nicht an die Regeln halten – wenigstens der Schiedsrichter für die Einhaltung sorgt. Allerdings reicht es nicht, dabei nur auf die Europäische Kommission zu zeigen. Sie muss zwar Sanktionsvorschläge vorlegen, über die entscheidet aber der Ministerrat. Und solange sich dort keine Mehrheit für die Verhängung von Sanktionen findet, wird sich die Kommission nicht aus dem Fenster lehnen. Sinnvoll wäre also, einen Automatismus einzuführen, der unabhängig von politischem Kalkül funktioniert.
Denn die Einhaltung der selbst gegebenen Regeln ist die große Herausforderung, der sich die EU in den nächsten Jahren stellen muss – ganz egal, wie der Pakt dann im Detail aussieht.
Der Autor ist Politikwissenschaftler und stellvertretender Vorsitzender von Ordo socialis. Die Kolumne erscheint in Kooperation mit der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle (KSZ) in Mönchengladbach.
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