Es fällt nicht leicht, sich die Gegend von Los Angeles vor 250 Jahren vorzustellen. Da, wo sich heute ein schier endloser Gebäude- und Straßenteppich ausbreitet, nahezu 150 Kilometer der Pazifikküste entlang und weit hoch ins San Fernando Valley sowie östlich 40 Kilometer tief ins Landesinnere, war damals nichts außer Wald, Gebüsch und Grasland. Nur gerade ein paar Tongva-Indianer siedelten da. Heute leben im Los Angeles- und Orange-County neun Millionen Menschen – auf einer Fläche 14 Mal so groß wie Hamburg.
Schmelztiegel der Religionen
Die kalifornische Metropole ist ein Schmelztiegel der Religionen. Mehr als 100 christliche Glaubensrichtungen sind im Großraum der Weltstadt vertreten. Der imposanteste Kirchenbau der Stadt nebst der katholischen Kathedrale ist der Tempel der Mormonen am Santa Monica Boulevard im Stadtteil Westwood. In LA lebt auch eine große Gemeinde jüdischen Glaubens, fast ebenso viele Muslime und Anhänger ostasiatischer Glaubenslehren. Mehr als 300 buddhistische Tempel hat Los Angeles aufzuweisen. Unter den christlichen Bekenntnissen dominiert der Katholizismus. Das rührt nicht zuletzt daher, dass Millionen Latinos aus dem Süden ihr Bekenntnis hierher mitgebracht haben. Rund 37 Prozent der Einwohner, die sich als religiös bezeichnen, sind Katholiken.
Wer auf einer Tour mit dem Mietwagen durch die Downtown der „Stadt der Engel“ kurvt, kann die Kathedrale der „Lady of Los Angeles“ nicht übersehen. Ihre monumentale Betonskulptur auf der Eingangsseite wird nachts beleuchtet und sie ist vom Hollywood Freeway aus schon aus mehreren Kilometern Distanz zu sichten. Die Dimensionen dieses neuen Andachtsortes der Millionenstadt – vom spanischen Stararchitekten Rafael Moneo designed – sind riesig. Die äußere Hülle wurde aus sandfarbenem Sichtbeton gegossen und in seinem Inneren bietet das neue Gotteshaus über 3 000 Gläubigen Platz.
Königin der Engel
16 Autominuten, elf Meilen, also gut 17 Kilometer über die Interstate 10 West, sind es von da aus zur ersten Kirche in Los Angeles überhaupt – ein Katzensprung für LA-Verhältnisse. Da steht die karge Klosterkirche San Gabriel Arcángel im Stadtteil San Gabriel. Einst wurde der Ort „El Pueblo de Nuestra Senora de la Reina de Los Angeles“ genannt, zu Deutsch: „Das Dorf unserer Lieben Frau, der Königin der Engel“. Er war sozusagen das Samenkorn für das heutige LA – und ein landwirtschaftliches Vorzeigeprojekt; die „Mutter der Landwirtschaft in Kalifornien“, rühmt es sich. Die Anlage steht nicht am Urstandort, den die Missionare im Jahre 1771 wählten. Dieser lag an einer Enge im Whittier Narrows Flusstal. Aber nach einer verheerenden Flut musste die Siedlung fünf Jahre später in die Ebene hinaus in die Nähe des Rio Honda verlegt werden.
Die gut erhaltene und restaurierte Mission ist sehr sehenswert. Seit fünfzig Jahren ist sie als Baudenkmal im „National Register of Historic Places“ der USA aufgeführt. Im Unterschied zu den anderen Missionen in Kalifornien präsentiert sie sich trutzig und wehrhaft. Der Kirchenbau weist maurisch anmutende Architektur-Einflüsse auf und ähnelt vom Stil her der Kathedrale von Córdoba. Das braucht nicht zu verwundern, denn der Pater, der sie einst entwarf, Antonio Cruzado, stammte aus eben dieser von den Mauren geprägten andalusischen Stadt in Spanien.
Erstes wirtschaftliches Zentrum
Besucher sind willkommen in San Gabriel. Das ehemalige Klosterdorf war weitgehend Selbstversorger und ein erstes wirtschaftliches Zentrum. Es umfasste eine Winzerbetrieb und eine große Viehzucht. Auf den Feldern wurden Getreide und Linsen angebaut. Zitrusfrüchte, Äpfel, Birnen, Feigen gediehen in den Plantagen, wo bis zu tausend Indianer arbeiteten. Die ehemaligen Schlafgemächer des Dorfes wurden in ein Missionsmuseum mit zahlreichen historischen Exponaten umgewandelt. Der erhaltene Weinkeller, der Küchengarten und der Friedhof lassen die Gäste staunen.
Zur Gründung der Missionen in Alta California kam es nicht auf kirchliche Initiative hin; sie wurde von der spanischen Regierung befohlen. Das Ziel war ganz klar ein Machterhalt in der Region. Die Spanier realisierten Mitte des 18. Jahrhunderts, dass der russische Zar seinen Machtbereich im Westen von Nordamerika auszudehnen gedachte – und dass auch die Engländer Interesse an der Pazifikküste hatte. Für die spanische Kolonie in Mexiko war es unmöglich, schnell eine Bevölkerung aus eigenen Bürgern in Kalifornien zu etablieren. So entstand die Idee, durch Konvertierung der dortigen Indianer zum Christentum könnten diese zu spanischen Bürgern und Siedlern katholischen Glaubens werden.
Mission seit 1769
Die Jesuiten waren zu jener Zeit – etwa 1767 – beim spanischen König in Ungnade gefallen. König Karl III befahl nun, dass die Dominikaner die jesuitischen Missionen in Mexiko übernehmen – und die Franziskaner neue Missionen in der damals „Alta California“ genannten Region gründen sollten. Nach einer Erkundungsexpedition von Gaspar de Potola wurde das Unternehmen gestartet. Schon am 14. Juli 1769 konnte die erste Mission in San Diego von Junípero Serra eingeweiht werden.
Der aus Mallorca stammende California-Missionar Junípero Serra wurde im September 2015 von Papst Franziskus heiliggesprochen. Trotzdem wollen in den USA die Kritikerstimmen nicht verstummen, die dem Glaubensverkünder vorhalten, ein Teil eines Systems gewesen zu sein, welches die Ureinwohner Kaliforniens gewaltsam missionierte. Mit der Unterstützung der Armee seien diese in den Missionen gefangen gehalten worden, hätten ihre Sprache und Gebräuche aufgeben müssen und seien zur Zwangsarbeit verpflichtet worden.
Der Erzbischof von Los Angeles, José Horacio Gomez, seit November 2019 auch Vorsitzender der Bischofskonferenz der USA, ist ein Verteidiger Serras. Obwohl es bei den Missionsprojekten des 18. Jahrhunderts zweifellos zu Misshandlungen und Zwangstaufen gekommen sei, ist er überzeugt, dass Pater Serra in einer Zeit kolonialer Ausbeutung und Gewalt ein Beschützer und Verteidiger der Ureinwohner war. „Wir können Einstellungen und Verhaltensweisen des 18. Jahrhunderts nicht nach Maßstäben des 21. Jahrhunderts beurteilen. Pater Serra sah sich als Verkünder des heilbringenden Evangeliums. Und er war um das geistige und materielle Wohlergehen der indigenen Völker sehr besorgt, er war mutig und geschickt im Kampf gegen die Zivilbehörden und das Militär – und er verteidigte die Menschlichkeit und die Rechte seiner Schützlinge“, hält er in einem Schreiben fest.
Vom Camino Real zum Freeway 101
Ob Touristen einen Städteurlaub machen oder einen Roadtrip planen –eine der Missionen im Sonnenstaat am Pazifik liegt fast sicher an ihrer Reiseroute. Beginnend in San Diego an der Grenze zu Mexiko reihen sich 21 Missionen im Abstand von jeweils 50 Kilometer aneinander. Das entsprach einst einer Tagesreise zu Pferd. Sie alle waren durch den „Camino Real“ verbunden, der sich wie eine Kette längs durch das heutige Kalifornien bis hinauf ins Sonoma Valley, 100 Kilometer nördlich von San Francisco zieht. Heute entspricht dieser in etwa dem Freeway 101.
Nicht alle sind in einem guten Zustand erhalten: Da die Missionen im Jahre 1833 nach einem Beschluss des mexikanischen Kongresses alle säkularisiert wurden, verwahrlosten sie. Es wurden viele Gebäudeteile abgetragen oder umgenutzt. Heute sind die Missionen jedoch (bis auf zwei) alle wieder in der Hand der katholischen Kirche und die noch erhaltenen Bausubstanzen wurden restauriert.
Beliebt bei Kalifornien-Reisenden sind nebst jenen in LA und San Diego die Missionen in Sonoma, in San Francisco, in Carmel-by-the-Sea und in Santa Barbara. Im Sonoma-Valley hundert Kilometer nördlich von San Francisco wurde aus den Rebenpflanzungen der Franziskaner zur Messwein-Gewinnung die Wiege der kalifornischen Weine.
Die Mission San Francisco de Asis – klein und stabil gebaut – hat das große Erdbeben von 1906 nahezu unbeschadet überstanden und ist somit eines der ältesten Gebäude in der Stadt am San Francisco Bay. Carmel, 190 Kilometer weiter südlich, ist die einzige Mission, die noch ihren originalen Glockenturm samt der Glocke besitzt.
Die Santa Barbara Mission auf einem Hügel belohnt Besucher mit einem großartigen Ausblick über die Stadt und bis zum Ozean. Zwar steht hier nicht mehr die ganz ursprüngliche Kirche, aber eine mit viel Liebe zum Detail nach dem Erdbeben von 1925 wieder aufgebaute Replik.
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