Die Sonne steht tief über dem Horizont und schickt ihre letzten Strahlen, die die Landschaft in goldenes Licht hüllen, durch das dicke Wolkenmeer. Ein knorriger Baum hebt sich von dem gold-orangenen Himmel ab, davor grasen drei Elefanten halb versteckt im grünen Dickicht, ein Schwarm Vögel flieg über sie hinweg. Vögel und Grillen stimmen zu einem abendlichen Konzert an, bevor die Natur in den Schlaf verfällt.
Es ist eine Szene, wie man sie in „Out of Africa“ sehen könnte, nicht aber in „Hotel Ruanda“. Wenn man Ruanda überhaupt kennt, dann aus Berichten über den Völkermord der Hutu an den Tutsi im Jahr 1994 und nicht aus schicken Reisekatalogen. Doch das Land hat sich verändert: Geteerte Straßen, moderne Hotels und eine relativ stabile politische Lage haben das Land zu einem attraktiven Reiseziel werden lassen. Um Touristen zu locken, wird auch fleißig Werbung für einen Besuch in dem Land gemacht: So ist auf den Trikots der Fußballclubs Arsenal und Paris Saint Germain der Werbeslogan „Visit Rwanda“ zu lesen.
Gorilla-Trekking und Big Five
Obwohl Ruanda von seiner Fläche kaum größer als Mecklenburg-Vorpommern ist, hat es dennoch einige Attraktionen zu bieten: Neben Gorilla-Trekking, für das das Land vor allem bekannt ist, kann man im Dreiländereck Ruanda, Uganda und Kongo die Virunga-Vulkane besteigen, auf dem zwischen Kongo und Ruanda liegenden Kivu-See Bootstouren machen oder im Akagera-Nationalpark „die großen Fünf“ von Afrika – also Nashorn, Elefant, Büffel, Leopard und Löwe – in ihrem natürlichen Lebensraum sehen.
Online kann man unter verschiedensten Safari-Unternehmen aussuchen und einen Geländewagen mit Touristenguide buchen, der einen zu Hause abholt und direkt in den Nationalpark bringt und auf Wunsch gleich noch eine Übernachtungsmöglichkeit bucht. Safari all-inklusive. Allerdings nicht ohne die neue obligatorische Eintrittskarte: den negativen Corona-Test.
Corona schadete dem Tourismus
Durch die Pandemie ist der Tourismus eingebrochen, immer noch kommen nur 40 Prozent der Besucher der vor-Corona-Zeit. An der Straße, die in den Nationalpark führt, gibt es versteckt zwischen Bananenbäumen eine Schnellteststelle, wo man den Stäbchen-Test machen kann. Man merkt auf dem Weg schon, dass man sich auf dem Touristen-Highway befindet: die Weißen werden mehr, die Straßenkinder weniger, die Landschaft sauberer, die Raststätten gepflegter. Ruanda präsentiert sich für seine Besucher von der besten Seite.
Im Akagera Nationalpark sehen wir gleich zu Beginn das erste von den „großen Fünf von Afrika“: Vier Nashörner stapfen durch das hohe Präriegras auf den Geländewagen zu. Die Tiere sind sonst selten so nah an Besuchern. Wegen seiner im Vergleich zu anderen Nationalparks kleinen Größe, bekommt man im Akagera-Nationalpark viele Tiere zu sehen. Trotz seiner kleinen Fläche von rund tausend Quadratkilometern – der Park musste mehr als ein Drittel seiner ursprünglichen Fläche einbüßen – bietet die Landschaft viele verschiedene Bilder: Das braune Gras der Savannenlandschaft wechselt sich ab mit Sumpfgebieten, die sich wie Moos über das Land ziehen, in denen Seen wie kleine Pfützen liegen, dann wieder die für Ruanda typische grüne Hügellandschaft, die bei schneller Fahrt auch das Gefühl einer Achterbahnfahrt vermitteln können. Hoch und wieder runter. Und wieder hoch. Und wieder runter. Die Idylle, für die der Park einst noch bekannt war, ist aber inzwischen Geschichte: Längst ist der Nationalpark touristisch erschlossen: Hotels mit Bar und Pool ab 200 Euro pro Nacht haben sich angesiedelt, wer die afrikanische Wildnis hautnah erleben möchte, kann in einem der Zelte auf einem Camping-Platz schlafen, der durch elektrische Zäune vor den Tieren geschützt ist.
Ruanda ist schön, sauber und sicher
Eine Reisegruppe treffen wir abends am knisternden Lagerfeuer. Ando aus den Niederlanden ist bereits zum fünften Mal in dem Nationalpark, er kommt oft nach Ruanda: Er ist Kaffeehändler und in dem Land, um die Bauern zu besuchen, von denen er die Bohnen kauft. Seine Geschäftspartner aus dem Verkauf hat er auch mitgebracht, den Akagera-Nationalpark besucht er mit ihnen, damit sie das Land rundum kennenlernen. Für viele ist es das erste Mal in Afrika. Einige sind positiv überrascht. Marco, ein schlaksiger Typ mit beigem Fischerhut auf dem Kopf, gesteht: „Ich dachte nicht, dass es so kultiviert wäre.“ Ando stimmt zu: „Ruanda ist schön, sauber und sicher. Es wird deswegen auch ,Afrika für Anfänger' genannt.“
Vom Akagera-Nationalpark geht es weiter in den Westen Ruandas nach Musanze, wo sich die Hauptattraktion des Landes befindet, die auch zum UNESCO-Weltnaturerbe gehört: Die Berggorillas. Die einst vom Aussterben bedrohten Tiere werden streng geschützt. Wer sie sehen will, muss ein kleines Vermögen investieren und einen negativen PCR-Test vorweisen. Die günstigere Attraktion in der Region: Eine Wanderung auf einen der acht Virunga-Vulkane, von denen nur noch die zwei im Kongo liegenden aktiv sind. Besonders beliebt ist Mount Bisoke, der mit seinen 3711 Metern noch einer der niedrigeren Vulkane ist und auf dem heute an der Stelle des Kraters ein See liegt. Der Aufstieg, den man nicht ohne vorher gebuchte Führung machen darf, beginnt früh und wird fast im Laufschritt durchgeführt, um vor Einbruch der Dunkelheit wieder im Tal zu sein.
Schutz vor Tieren und Rebellen
Jeder ausländische Bergsteiger bekommt einen eigenen Touristenführer an die Hand, zusätzlich begleiten bewaffnete Soldaten die Wanderung: Anscheinend, um vor aggressiven Büffeln oder Gorillas zu schützen, wohl aber auch zum Schutz vor kongolesischen Rebellengruppen. Der Aufstieg durch den Regenwald ist wegen der Höhenlage und des extrem schlammigen Wegs mühsam – man sollte bei der Tour nicht gerade das erste Mal einen Berg besteigen. Doch die Mühe lohnt sich: Vom Gipfel des Bisoke aus sieht man die anderen Virunga-Vulkane, die in der Ferne blau erscheinen und sich mit dem Blau des Himmels mischen. Die Vulkane ziehen die Wolken wie Magneten an und lassen sie aussehen, als würden sie wieder zum Leben erwachen und neu ausbrechen. Zwischen den Vulkanen eingekesselt die satten grünen Teefelder, die sich über die Hügel erstrecken. Man könnte in der Region noch länger bleiben, in Musanze gibt es Höhlen zu besichtigen. Neben den Berggorillas kann man auch Affen beobachten. Wem der Aufstieg auf einen Vulkan zu anstrengend ist, kann auf einem Naturpfad wandern, doch für die Besichtigung der Vulkane allein genügt ein Tag.
Über 100 Inseln im Kivu-See
Mit dem Bus geht es weiter Richtung Süden nach Kibuye zum Kivu-See. Die Fahrt, die mit dem Auto nur drei Stunden dauern würde, dauert mit dem Bus, weil er auch an kleinen Haltestellen anhält, fünf Stunden. Verschiedenste Hotels säumen den See: Kleine Häuser kleben wie Bienenstöcke in Grüppchen an den Hängen der Hügel, ein Hotel mit großer Sonnenterrasse liegt hoch über dem See und bietet einen Blick über das Gewässer soweit das Auge reicht. Sogar ein Schloss ist gerade im Bau, das Touristen zur Verfügung stehen soll. Alle paar Meter fragt ein anderer Mann, ob man eine Bootstour machen möchte. Es ist offensichtlich: Auch der Tourismus hat das Land zu dem gemacht, was es heute ist.
Die Bootstour führt zu drei der über hundert Inseln im Kivu-See, durch den hindurch die Grenze zwischen der Demokratischen Republik Kongo und Ruanda verläuft. Auch an einer gelben Villa, gestützt von weißen Säulen, tuckert das hölzerne Motorboot in den Farben der ruandischen Nationalflagge vorbei: das Ferienhaus des Präsidenten. Wenn Paul Kagame im Ferienhaus ist, darf keine Aktivität auf dem Wasser stattfinden: Keine Bootstouren, kein Fischen. Es erinnert daran, dass das Land fest in der Hand des Präsidenten liegt. Es erinnert daran, dass man mit einem Besuch des Landes nicht nur die lokale Bevölkerung unterstützt, sondern auch ein autoritäres Regime. Das neue Ruanda mag schön, sauber und sicher sein, aber es hat seinen Preis: Die Freiheit der Menschen.
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