PIlgerwege

Pilgerweg „Tro Breizh“ in der Bretagne

Auf dem mittelalterlichen Pilgerweg des „Tro Breizh“ rund um die Bretagne kommt der Pilger mit Überbleibseln der keltischen Kultur, atemberaubender Landschaft und echter bretonischer Volksfrömmigkeit in Berührung.
Auf den Wegen des Tro Breizh
Foto: Olivier Caillard | Auf den Wegen des Tro Breizh findet man am Meer und im Landesinnern immer wieder wundervolle Landschaften.

Wer die Südbretagne als Urlaubsziel wählt, trifft zwischen Vannes und Quimper auf eine fast 200 Kilometer lange Küste mit kleinen Buchten und langen Stränden, die durch kleine Flussmündungen, sogenannte „Abers“, voneinander getrennt sind. Dieser Küstenabschnitt ist weitgehend von der schleichenden Betonisierung unberührt geblieben, die auch an französischen Küsten auf dem Vormarsch ist. Das türkisfarbene Wasser der Buchten und Golfe erinnert an die exotischsten Reiseziele, wie der Name eines der berühmtesten Sandstrände der Gegend beweist: „Plage de Tahiti“.

Aber auch dieses kleine Küstenparadies ist nicht ganz vom Aufkommen des Massentourismus verschont geblieben, sodass man sich an den beliebtesten Badeorten mitunter etwas eingeengt fühlt. Manche der großen Brasserien für Touristen, die Miesmuscheln mit Pommes frites („Moules frites“) und andere Meeresfrüchte wie am Fließband servieren, lassen oft an Authentizität vermissen.

Wanderwege im Hinterland

Denjenigen, die echte Abwechslung und Lokalkolorit suchen, ist daher zu empfehlen, auf Wanderwege im Hinterland auszuweichen, wo man, ohne allzu sehr als Tourist wahrgenommen zu werden, mit den Einheimischen in Kontakt treten kann. Die Gesichter, denen der Wanderer hier auf seinem Weg begegnet, sind die von Schreinern, Landwirten und Cafébesitzern. Viele von ihnen widmen sich lieber einem einfachen, ländlichen Leben, anstatt sich in der Tourismusbranche an der Küste zu betätigen und den Kontakt zu Sommergästen zu suchen. So trennen nur wenige Kilometer zwei Welten, die sich nur dann begegnen, wenn es sich nicht vermeiden lässt.

Sie, die Menschen im Hinterland, sind die eigentlichen Hüter einer inbrünstigen, jahrhundertealten Tradition, die „Tro Breizh“, für „Tour durch die Bretagne“ in der Landessprache Bretonisch, genannt wird. Dabei handelt es sich um eine zyklische Pilgerreise, die die sieben bretonischen Hauptorte miteinander verbindet, die jeweils von den Heiligen Malo, Samson, Brieuc, Tugdual, Paul Aurelian, Corentin und Paterne gegründet wurden. Die sieben Hauptorte sind Saint-Pol-de-Léon, Tréguier, Saint-Brieuc, Saint-Malo, Dol-de-Bretagne und eben auch Vannes und Quimper. Die Einheimischen halten ihre Felder, Steinbrücken und Hohlwege instand und sorgen so dafür, dass Pilger und Wanderer ungehindert passieren können.

Mittelalterliches Erbe wiederbeleben

Seit den 1990er Jahren arbeiten erneut mehrere Pilger- und Liebhabervereine daran, dieses aus dem Mittelalter stammende Erbe wiederzubeleben, das nach seiner letzten Blütezeit im 18. Jahrhundert in der Versenkung verschwunden war. Dank ihrer Arbeit vor Ort profitieren die Wanderer von einer im Laufe der Jahre immer besser markierten Route und können nun in aller Ruhe von einer Etappe zur nächsten gehen. Dabei dürfen sie die typisch bretonische Kulisse der Eichenwälder, aus Sandstein oder Granit gebauten Dörfer, Wassermühlen und Kapellen genießen, von denen einige wunderbar erhalten geblieben sind, obwohl sie manchmal gar bis in das 9. Jahrhundert zurückreichen.

Diese Wege führen den Pilger mit Sicherheit auf dem kürzesten Weg zu seiner nächsten Unterkunft: Wenn man sich im Landesinneren befindet, erspart man sich die Umwege, die die tiefen Mündungen der Abers, die wie kleine Fjorde wirken, auf dem nicht minder berühmten „Sentier des Douaniers“ („Zollweg“) entlang der Küste machen.

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Unterwegs auf jahrhundertealten Hohlwegen

Zurück zu den Wegen des Tro Breizh, auf denen man durch die bretonische Bocage im Landesinneren streift. Diese nehmen oft die Form von jahrhundertealten Hohlwegen an. Ursprünglich waren Hohlwege Durchgangswege für das Vieh, aber sie dienten auch als Abgrenzung für den Bauern, der darauf bedacht war, dass die Tiere des Nachbarn nicht am frischen Gras seiner eigenen Weiden naschten. Häufig wurden diese durch die ständige Benutzung durch das Vieh spontan entstandenen Wege durch kleine Trockenmauern verstärkt. Bedenkt man, mit welcher Hartnäckigkeit ihre Erbauer sie über Entfernungen von mehreren hundert Metern laufen ließen, kann man nur beeindruckt sein. Außerdem ist es erstaunlich, wie diese Mäuerchen ohne jeden Zement über die Jahrhunderte hinweg in einem so guten Zustand erhalten werden konnten – trotz der Vegetation und dem Zahn der Zeit.

In den Dörfern wurden die gleichen Sandsteine schon vor langer Zeit für den Bau von unzähligen kleinen Kapellen, Waschplätzen, Brunnen und Fontänen verwendet. In jedem Ort bilden die Kapelle und der Brunnen ein untrennbares Ganzes, das vor allem durch einen traditionellen, jährlichen Gottesdienst namens „Pardon“ (Vergebung) verbunden ist. Es handelt sich um ein religiöses Fest, das überall nach demselben Schema an einem Sonntag im Juli oder August gefeiert wird. Der genaue Tag variiert von Ort zu Ort. Nach altem Brauch versammeln sich die Einwohner zunächst um den Brunnen, um die Reinigung von ihren Sünden zu erbitten, und ziehen dann in einer Prozession zur Kapelle, wo eine heilige Messe stattfindet, in der alle Lieder in der Landessprache Bretonisch gesungen werden. Eine Anmerkung für den eifrigen Besucher der Bretagne: Hüten Sie sich davor, das Bretonische als Dialekt oder eine Mundart zu bezeichnen! Dieses Idiom ist als eigenständige Sprache anerkannt und seine Sprecher wachen eifersüchtig über diese Bezeichnung.

Lohnender Umweg

Ein wanderndes Paar aus Paris erzählt uns seine Eindrücke von den traditionellen bretonischen Gesängen. Die beiden Pilger haben an diesem Sonntagmorgen früh ihr Biwak abgebrochen und haben einen Umweg von 10 Kilometern zu Fuß auf sich genommen, um am „Pardon“ der kleinen Kapelle Notre-Dame-de-Grâce in Tréavrec'h teilzunehmen, auf halber Strecke zwischen Vannes und Lorient. Nach dem Gottesdienst treffen wir das Paar bei einem freundschaftlichen Umtrunk. Pierre-Marie, 39, erzählt: „Die Predigt und das Ordinarium der Messe wurden immerhin auf Französisch gehalten, aber bei den Liedern fand ich es sehr bewegend, wie die jungen und alten Leute in der Versammlung alle Gesänge gemeinsam in ihrer traditionellen Sprache anstimmten. Glücklicherweise waren aber die Texte auf unseren Messzetteln ins Französische übersetzt.“ Die 34-jährige Pauline fügt hinzu: „Ich hänge besonders an der Muttergottes und war ganz glücklich, aus voller Kehle das ,Ni ho kemér, Mari aveit hur mamm, goarnet ho pugalé berpet pur ha divlam!‘ mitzusingen.“ Bei diesem Gesang handelt es sich um eine Hymne auf die Gottesmutter, die dem Schlusssegen vorangeht und in der die Gläubigen Maria darum bitten, rein und makellos (pur ha divlam) gehalten zu werden. „Aber“, fährt Pauline lachend fort, „ich habe mir auch erlaubt, Maria um besseres Wetter als heute Morgen zu bitten, für die 18 Kilometer, die wir noch bis zur Herberge von Brandérion zurücklegen müssen!“

Ein sehenswertes Wasserrad

Weniger als eine Stunde weiter westlich – der Tro Breizh wird im Uhrzeigersinn zurückgelegt und damit im Süden der Bretagne entgegen der Marschrichtung des Jakobswegs – befindet sich eine imposante Wassermühle am Ort Plusquen. Der Besitzer, der selbst ein begeisterter Wanderer und Pilger ist, improvisiert für Wanderer und Pilger gerne eine Führung durch das Gebäude, das von ihm wunderschön renoviert wurde. Besonders sehenswert ist das große Wasserrad, das vom Wasser des Bachs „Ruisseau de Kergroëz“ angetrieben wird und zusammen mit dem nicht minder beeindruckenden Mühlstein den Wohlstand sicherte, den die verschiedenen Herren des Ortes über die Jahrhunderte hinweg genossen.

Die bretonische Halbinsel ist ein ideales Land zum Wandern, denn es gibt nicht weniger als 20 000 km markierte Wanderwege, darunter neun Fernwanderwege. Das reiche Kulturerbe mit über 1 000 religiösen Gebäuden macht die Bretagne zu einem beliebten Ziel für Pilger auf dem Tro Breizh, aber auch für diejenigen, die von diesem jahrhundertealten Pilgerland nach Santiago de Compostela laufen möchten.

 

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