Reise & Lebensart

Mehr als Filet und Trüffel

Er hat mit „Il Barbiere di Siviglia“ ein Meisterwerk geschaffen. Von Werner Häussner
Auf den Bühnen der Welt scheint sich ein Trend in Richtung Rossini abzuzeichnen.
Foto: Kienzler | Auf den Bühnen der Welt scheint sich ein Trend in Richtung Rossini abzuzeichnen. Wer auf www.operabase.com eine Statistik der Opern-Aufführungen der letzten fünf Spielzeiten abruft, findet Rossini mit 5 237 gezählten ...

Er ist unbestritten einer der großen Komponisten des 19. Jahrhunderts und hat mit „Il Barbiere di Siviglia“ ein Meisterwerk geschaffen, das seit seiner Premiere 1816 nicht mehr von den Bühnen der Welt wegzudenken ist. Aber die öffentliche Wahrnehmung Gioachino Rossinis weist merkwürdige Brüche und Lücken auf. Von seinen rund 40 Bühnenwerken wird neben dem unsterblichen spanischen Barbier nur eine Handvoll im Repertoire der Opernhäuser zur Kenntnis genommen – zumindest in Deutschland.

Die in den siebziger Jahren entstandenen, ausgezeichneten Einspielungen unter Claudio Abbado haben „La Cenerentola“ und „L'Italiana in Algeri“ wieder weithin bekannt gemacht. Den „Turco in Italia“ hatte zuvor schon Maria Callas in einer – wenn auch arg verstümmelten – Aufnahme wieder ins Bewusstsein geholt. Anerkannt, wenn auch über Jahrzehnte nicht häufig gespielt, war stets Rossinis letztes Werk für die Bühne, der 1829 in Paris uraufgeführte „Guillaume Tell“ – ein Markstein in der Geschichte der Oper.

Über die Gründe, die zum Verschwinden großer Teile des Rossini'schen Schaffens geführt haben, ist mittlerweile viel geschrieben worden. Sie reichen vom Geschmackswandel des Publikums nach 1850 über die früher verheerende Quellenlage bis hin zur politisch und nationalistisch motivierten Polemik. Gegen den deutschen Tiefsinn von Beethoven bis Wagner hatte die flatterhafte italienische Muse keine Chance. Und gegen Rossinis brillanten Witz und sarkastische Schärfe standen das so gesehene „echte“ Gefühl und die „wahre“ Liebe. Solche Denkschablonen verhindern bis heute eine adäquate Beschäftigung mit Rossinis Gesamtwerk, zumal mit den ernsten Opern, die nach wie vor vom Glanz seiner buffonesken Paradestücke in den Schatten gedrängt werden.

Merkwürdig auch, wie Rossini als Person wahrgenommen wird. Karikiert wird er gerne als heiterer Jupiter im Reich der Musik, der aber eher von Tournedos Rossini und getrüffeltem Truthahn umgeben ist: Rossini, der Schöpfer unsterblicher Anekdoten und lebensprühender Melodien; Rossini, der witzige, aber auch faule Gourmet; Rossini, der Wagner nicht verstand und die neue Zeit ablehnte.

So wird das Bild verzerrt, in dem von Rossini, dem kritisch-aufklärerischen Geist, dem illusionslosen Analytiker, dem musikalischen Innovator und Experimentator, aber auch von Rossini, dem kranken Mann und depressiven Leidenden kaum Konturen zu erkennen sind. Auch über seine meist sorgsam getarnte Religiosität ist kaum etwas zu erfahren. Dass solche Stereotypen bis heute weitergetragen werden, zeigt die neueste Publikation „Rossini – die hellen und die dunklen Jahre“ von Joachim Campe, dem Rezensenten klägliches Scheitern attestieren. Zum Glück gibt es die schon ältere Biographie von Volker Scherliess und das Buch „Gioachino Rossini und seine Zeit“ des in Köln lehrenden Musikwissenschaftlers Arnold Jacobshagen, das zuverlässig und auf dem aktuellen Stand der Forschung ein neues Bild des Komponisten zeichnet.

Inzwischen scheint sich auch auf den Bühnen der Welt ein Trend in Richtung Rossini abzuzeichnen. Wer auf www.operabase.com eine Statistik der Opern-Aufführungen der letzten fünf Spielzeiten abruft, findet Rossini mit 5 237 gezählten Vorstellungen auf Platz vier unter den weltweit gespielten Komponisten – hinter Verdi, Mozart und Puccini, aber vor Wagner (Platz 6), Bizet oder Richard Strauss. Sicher ist das dem „Barbier von Sevilla“ zu verdanken, der im Ranking der Opern Rossinis einsam an der Spitze steht.

Aber die Breite der Rezeption auch kaum bekannter Werke Rossinis ist bemerkenswert. Im deutschsprachigen Raum prägt sich dieser Trend erst zögerlich aus. In den letzten Jahren traten neben eine Reihe von Neuinszenierungen von „Guillaume Tell“ und einem lebhaften Interesse an der erst 1984 in ihrer originalen Gestalt wiederentdeckten „Reise nach Reims“ nur wenige (Wieder-)entdeckungen: So etwa die monumentale Vertonung des biblischen Exodus-Stoffes „Mosé in Egitto“ in Bregenz und jüngst in Köln, „Semiramide“ in München und bei den Tiroler Festspielen Erl, „Die diebische Elster“ in Würzburg und Frankfurt, „Ermione“ und „Maometto Secondo“ in Rostock, „Tancredi“ in Mannheim oder „Elisabetta, Regina d'Inghilterra“ im Theater an der Wien.

Auch die kommende Spielzeit 2018/19 weist trotz des 150. Todesjahres Rossinis – er starb am 13. November 1868 – bisher nicht darauf hin, dass Rossini über den üblichen Rahmen hinaus zur Kenntnis genommen würde. Lediglich das Theater an der Wien kündigt ab 13. Oktober einen neuen „Guillaume Tell“ an.

Festivals leisten wichtige Entdeckerarbeit

Umso wichtiger ist die Arbeit der beiden Rossini gewidmeten Festivals in Europa. Dem Rossini-Festival im italienischen Pesaro und dem zum 30. Mal stattfindenden Festival Rossini in Wildbad ist zu verdanken, dass die neuen kritischen Editionen der Opern in lebendiger Musik und aktuellen Inszenierungen ihren Wert für die Gegenwart beweisen können. An der Adria und im Schwarzwald wandeln sich Noten in Klang, die zum Teil seit ihrer Entstehungszeit in Archiven schlummern. Scheinbar bekannte Werke werden neu gehört. Gerade das Festival in Wildbad leistet mit geringen Mitteln, was von solide finanzierten deutschen Opernhäusern mit ihrem Apparat und ihren dramaturgischen Kompetenzzentren bis heute nicht zu erwarten ist: Nie gehörte Werke Rossinis werden auf ihre Relevanz befragt, eine junge Generation stilistisch gewandter und technisch anspruchsvoll ausgebildeter Sänger zeigt, wie Rossini heute zu singen ist.

Im Sommer 2018 setzt Bad Wildbad unter dem seit 1991 amtierenden, unermüdlichen Intendanten Jochen Schönleber seine Serie verdienstvoller Aufführungen fort. Sie sind inzwischen längst international anerkannt und ziehen Publikum aus allen Teilen der Welt an. Auf dem Programm des Jubiläumsjahres stehen vom 13. bis 29. Juli vier Opern: „L'Equivoco stravagante“ („Die verrückte Verwechslung“), eine grotesk-zweideutige Liebesgeschichte, die erste abendfüllende komische Oper Rossinis von 1811. Als deutsche Erstaufführung erklingt Rossinis letzter Erfolg vor seinem Abschied aus Neapel, das dramma per musica „Zelmira“, dirigiert von Gianluigi Gelmetti und mit der in den Vorjahren umjubelten Silvia Dalla Benetta in der Titelrolle.

In einer eigens erstellten vervollständigten Ausgabe zeigt das Festival am Nordrand des Schwarzwaldes Rossinis monumentale Choroper „Moise“, die den Auszug der unterdrückten Israeliten unter Führung von Moses aus dem Land der Pharaonen und die Vernichtung der ägyptischen Truppen beim Zug durch das Rote Meer schildert. Fabrizio Maria Carminati dirigiert, der russische Bass Alexej Birkus vom Staatstheater Nürnberg verkörpert die Gestalt des alttestamentlichen Patriarchen. Die vierte Oper im Programm ist „La Cambiale di Matrimonio“ („Der Heiratswechsel“), der erste in Venedig aufgeführte komische Einakter des 18-jährigen Rossini. Ergänzt wird das Programm durch Konzerte mit Rossini-Raritäten wie den „Trois choeurs religieux“ für Frauenchor, der Klavierkantate „Aurora“ oder der berühmten Solokantate „Giovanna d'Arco“. Als Festkonzert zum Jubiläum erklingt die Kantate „Le Nozze di Teti e di Peleo“. Am 15. und 24. Juli singen Solisten des Festivals in Rossinis „Petite Messe Solennelle“, seinem letzten großen, dem lieben Gott gewidmeten Werk.

Drei neue Rossini- Inszenierungen in Pesaro

Das italienische Pesaro feiert das 150. Todesjahr Rossinis vom 11. bis 23. August 2018 mit drei Neuproduktionen: Regie-Altmeister Pier Luigi Pizzi wird ab 13. August sicher für eine opulente und dekorative Aufführung des „Barbier von Sevilla“ sorgen. Zum dritten Mal in Pesaro ist „Adina“ zu sehen, deren Zusatztitel „Der Kalif von Bagdad“ schon darauf hinweist, dass es sich wie bei Mozarts „Entführung aus dem Serail“ um einen „exotischen“ Türken-Stoff handelt. Das Auftragswerk, das nach seiner Uraufführung in Lissabon 1826 kaum mehr gespielt wurde, trägt eher melancholische Züge; Rossini schrieb nur vier originale Nummern für den Einakter.

Die wichtigste Neuinszenierung in Pesaro gilt der Kreuzfahrer-Oper „Ricciardo e Zoraide“, wie „Adina“ 1818 geschrieben und in Neapel mit Rossinis Frau Isabella Colbran uraufgeführt. Ein Werk, das Mitte des 18. Jahrhunderts nach einer recht erfolgreichen Karriere von der Bühne verschwand und erst 1990 in Pesaro und 2013 in Bad Wildbad wieder entdeckt wurde. Giacomo Sagripanti, einer der aufstrebenden jungen italienischen Dirigenten, leitet das Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI, zur prominenten Sängerriege gehören Juan Diego Flórez und Pretty Yende. Wie stets in den letzten Jahren gehören zwei Aufführungen von „Il Viaggio a Reims“ zum Festival, besetzt mit jungen Sängerinnen und Sängern der Accademia Rossiniana „Alberto Zedda“. Auch in Pesaro spielt man zum Abschluss des Festivals am 23. August die „Petite Messe solennelle“, hier aber in der Version für Orchester.

Informationen und Karten: www.rossinioperafestival.it

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