Geschichte

Girona: Stadt der drei Kulturen

Wer die katalonische Hauptstadt Barcelona besucht, sollte nicht auf einen kleinen Abstecher nach Girona verzichten.
Kathedrale Santa Maria in Girona
Foto: IMAGO / VWPics | Majestätisch erhebt sich die Kathedrale Santa Maria über die Altstadt mit den bunten Fassaden, die Rote Brücke und den Fluss Onyar.

Im Nordosten Spaniens, in Katalonien gelegen, lässt sich Girona von Barcelona aus mit dem Zug in 40 Minuten erreichen. Nach einer Besichtigung der Hauptstadt der Region erweist sich das beschauliche Girona als ideale Ergänzung. Die Stadt, in der vier Flüsse zusammenfließen, ist römischen Ursprungs. Hiervon zeugen Stadtmauern, die bis auf das erste vorchristliche Jahrhundert zurückgehen. Ihre ersten Bewohner waren Iberer, ihnen folgten die Römer. Im sechsten Jahrhundert wurde die Stadt von Goten besiedelt und im neunten Jahrhundert lebte hier eine große jüdische Gemeinde.

In Girona lassen sich viele Architekturstile entdecken, von mittelalterlicher Bauweise – romanisch und gotisch – bis zum Jugendstil. Christliche, jüdische und maurische Spuren zeugen von dem großen historischen Erbe der Gegend. Dabei ist die Atmosphäre der Stadt wohltuend entspannt.

Brückenbau von Gustav Eiffel

Über dem Fluss Onyar erhebt am höchsten Punkt der Stadt die Kathedrale (Catedral de Santa María) ihr Haupt. An der Ufermauer entlang zieht sich eine lange Reihe von Häusern. Ihre Fassaden leuchten in Gelb-, Orange-, Rot- und Blautönen, eine Farbenpracht, die sich im Wasser spiegelt. Unweit des Flusses und parallel zu ihm führt die von Bäumen gesäumte „Rambla de la Llibertat“ in die Altstadt. Sitzbänke, Straßencafés und Restaurants laden zum Verweilen ein, es herrscht ein lebhaftes Treiben.

Die sogenannte rote Brücke zählt zu den beliebten Fotomotiven. Sie wurde 1876 von Gustav Eiffel, dem Ingenieur und Erbauer des Eiffelturms, gebaut. Nicht nur ihre Farbe und Bauform fällt auf, sondern auch das verwendete Material: Eisen statt Stein.

Das „El Call“ genannte jüdische Viertel, mit seinen engen Gassen und bepflanzten Innenhöfen, ist eines der am besten erhaltenen und ältesten jüdischen Viertel der Welt. Alte Laternen an Hauswänden säumen den Weg, von Bögen überwölbte Durchgänge liegen im Schatten. Die Zeit scheint hier stehen geblieben zu sein. Auf dem Weg zum Jüdischen Museum lohnt ein kleiner Abstecher zum Palast Agullana.

Reiches jüdisches und arabisches Erbe

Die Fassade schmückt ein prächtiges Wappen. Der schräg verlaufende Bogengang des Gebäudes, barocke Treppen und Balkone bilden mit der Kirche des alten Konventes von Sant Martí Sacosta ein historisch-architektonisches Gesamtkunstwerk. Im Museum der Jüdischen Geschichte finden sich Erläuterungen zur Geschichte mittelalterlicher jüdischer Gemeinden in Katalonien, mit besonderem Schwerpunkt auf Girona. Das Museum befindet sich am Standort der letzten Synagoge. Die Ausstellungsstücke wecken sogleich Interesse: Darunter befindet sich ein Heiratsvertrag aus dem 14. Jahrhundert, in Hebräisch, mit Tinte auf Pergament festgehalten, eines der schönsten und besterhaltensten Stücke in Katalonien. Ein Pessachteller, eine hellblau-weiß-braune, dekorierte Keramik, ist die Nachbildung eines Originals, das sich im Nationalmuseum in Israel befindet. Ein achtarmiger-Chanukka-Leuchter aus dem 14. Jahrhundert erinnert an das Lichterfest im Dezember. Der Text einer Grabplatte erzählt in rührender Weise von einem jüdischen Kind: Josef, Sohn des Rabbiners Jakob. Die bedeutendste Persönlichkeit der jüdischen Gemeinde war Mossé ben Nahmán. Zu sehen ist eine Reproduktion seines Siegels, mit dem er Briefe und Dokumente unterschrieb. Der „Atlas Catalán“ aus dem Jahre 1377 beweist, dass Juden von Katalonien sich auch den Wissenschaften, der Astronomie und Kartografie, widmeten. Gut erhalten ist auch ein Fragment eines medizinischen Traktates: Jüdische Ärzte waren für ihre Fähigkeiten bekannt.

Vertreibung der Juden aus Spanien

Ein Ausschnitt aus dem Titusbogen (Reproduktion) führt den Betrachter in das erste nachchristliche Jahrhundert. Im Zentrum zu sehen ist die Menora, ein goldener, siebenarmiger Leuchter; Kriegsbeute aus dem Tempel von Jerusalem. Beim Anblick eines Dokumentes aus dem Jahre 1394 hält man den Atem an: Es informiert über die damalige Verpflichtung der Juden, ein kreisförmiges Abzeichen zu tragen. Dies ist der Auftakt zu dem Dekret vom 20. April 1492 über die Vertreibung der Juden aus Spanien.

Die „arabischen Bäder“ sind trotz einiger arabisch beeinflusster Bauelemente romanische Gebäude aus dem 12. Jahrhundert, die im Stil altrömischer Bäder errichtet wurden. In der Mitte des Abkühlungsraumes erheben sich von einem achteckigen Becken acht schlanke Säulen mit kunstvoll gestalteten Kapitellen. Die Kuppel weist halbkreisförmige Öffnungen auf, durch die Licht dringt, wie auch durch kleine Fenster an der Wand.

Kino- und Kunstmuseum

Auf der anderen Seite des Flusses, unweit der Plaza Santa Susanna, befindet sich das „Kinomuseum“. Kinofreunden ist ein Besuch dieses Museums mit seinen interaktiven Objekten sehr zu empfehlen. Auch Kinder sind von den audiovisuellen Vorführungen über erste Versuche zur Bewegung von Bildern und die weitere Entwicklung fasziniert. Man lernt hier die Funktionsweise der Camera obscura, optische Spiele mit Spiegeln und den Kinematographen kennen, eine Erfindung der Brüder Lumière. Sie führte zur ersten öffentlichen Filmvorführung, 1895 in Paris.

Das Kunstmuseum im ehemaligen Bischofspalast beeindruckt mit einer Fülle an Exponaten: Aus der Renaissance stammt das Gemälde „Szenen aus dem Leben des heiligen Felix in Girona“. Diakon Felix predigt, ein Zuhörer ist darüber sichtlich verärgert. Später wird er zusammen mit seinem Bischof Narcissus als Märtyrer enden. Ein Werk aus der Barockzeit erinnert an die Pest, an der in der Stadt über 1000 Menschen starben. Man wandte sich an St. Sebastian und nach zwei Jahren nahm die Plage ein Ende. Aus der Neuzeit ist ein Gemälde von Prudenci Betrana hervorzuheben: Vollmond-Nacht über Girona. Aus Häusern am Flussufer dringt noch Licht. Im Hintergrund ragt die Kathedrale hervor, die vom Vollmond umgeben ist. Die ganze Szenerie ist in ein mildes Blau getaucht, was dem Werk eine besondere Harmonie verleiht.

Christliche Kunstschätze in Kathedrale und Museum

Einst die Kathedrale der Stadt, ist die Basilika Sant Feriu mit dem schmalen Glockenturm ihr bedeutendstes gotisches Bauwerk. Zur heutigen Kathedrale Santa Maria führen 86 Treppenstufen in die Höhe. Sie weist das breiteste gotische Kirchenschiff der Welt auf. Im Kathedralmuseum zählt eine Stickerei aus dem 11. und 12. Jahrhundert zu den größten Kunstschätzen: Der Tapiz de la Creación, in dem Persönlichkeiten aus der Bibel und die Auffindung des Kreuzes durch die heilige Helena dargestellt sind. Ein glänzendes Schmuckstück ist das Kästchen von Hisham II. aus dem 10. Jahrhundert. Es besteht aus ziseliertem, vergoldetem Silber. Der Kalif aus Cordoba schenkte es dem Bischof von Girona. Die Condesa Ermesenda de Carcasona (972-1058) erwählte die Kathedrale als ihren Begräbnisort. Dem Domkapitel schenkte sie ihr Siegel, auf dem ihr Name, überraschenderweise, in Latein und Arabisch steht.

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