Als Böhmen noch bei Österreich war …“ Jaja, die gute alte Zeit – oftmals beschworen und spätestens seit den Umbrüchen des Ersten Weltkriegs fest verankert in der tschechisch-österreichischen Volksseele. Sollte diese Gefühlslage etwa das abrupte Verschwinden der katholisch geprägten k.u.k.-Monarchie kompensieren? Zumindest stellte der jähe Abschied vom Haus Habsburg für das Land an der Moldau einen folgenschweren Einschnitt dar.
Trotz der allgemeinen Freude über die neu erlangte staatliche Unabhängigkeit vom Mutterland an der schönen blauen Donau blieben die kulturellen Brücken in der Ersten Republik jedoch weitgehend unzerstört. Dazu gehörten die eindrucksvollen Kirchenbauten der unterschiedlichsten Stilepochen sowie die über ganz Böhmen verstreuten prächtigen Schlösser, liebevoll auch „Chateaus“ genannt.
Fest verankerte Erinnerungskultur
Dies änderte sich erst, als die Nationalsozialisten und später die Kommunisten darauf aus waren, diese ideologisch unpassenden Beweisstücke der Vergangenheit dem Vergessen auszuliefern. Als kirchliche Prachtbauten seit der Gotik sowie als aristokratische Erbstücke seit dem Barock stehen sie jedoch heute wieder im Zentrum einer fest verankerten Erinnerungskultur.
Allerdings bedurfte es nach der viel zu langen Zeit äußerer Einflussnahme erheblicher Anstrengungen, um jedes einzelne der in Mitleidenschaft gezogenen Schlösser wie Phoenix aus der Asche in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. So wie das Barockschloss Stirin südlich von Prag. Umgeben von einem gepflegten Garten im französischen und englischen Stil, ist auch sein Inneres vortrefflich wiederhergerichtet. So erzählt es mithilfe prachtvoller Ausstattungsgegenstände seine zuweilen amüsanten Geschichten aus den zurückliegenden Jahrhunderten.
Barocke „Chateaus“
Wie soll beispielsweise die in einem der Salons aufzufindende Verbotstafel gedeutet werden, wonach es untersagt war, politische Gespräche zu führen? Auf den ersten Blick ist es schwer zu sagen, welche zurückliegende Epoche sich in diesem ernst gemeinten Ansinnen widerspiegelt. Wenn genaues Wissen darüber fehlt, dann weiß es vielleicht die goldene Madonna an der Altarwand der tadellos renovierten Schlosskapelle! Doch die hüllt sich mit sanftem Lächeln lieber in ein beredtes Schweigen.
Auch das Chateau Jemniste präsentiert sich mit einer auffallend schönen Barockfassade. Und dazu in seinem Schlossrestaurant mit einer kulinarisch verfeinerten Küche, die aber mit ihren allgegenwärtigen Fleisch- und Knödelgerichten auch immer wieder geprägt ist von böhmischer Deftigkeit. Wer würde nicht davon träumen, anschließend in den luxuriös eingerichteten Suiten des Schlosses ein wenig auszuruhen?
Böhmische Handwerkskunst
Um sich dann frisch gestärkt auf den Weg zu machen, um in der nahe gelegenen böhmischen Glasbläserei Frantisek sein handwerkliches Geschick unter Beweis zu stellen? Dienstbare und zugleich fachkundige Geister wie Natalie und Jakob brechen hier mit ihrer Einladung zur Eigeninitiative sogleich das Eis. Um sogleich dafür zu sorgen, dass bei der Entstehung kleiner individueller Kunstwerke keinesfalls zu viel Glas zerbrochen wird. Nach mehrmaligem Eintauchen des Quarzsandes mit Hilfe eines Hohlstabs in die Flammen formt sich nach wiederholter Korrektur der gewünschte Gegenstand heraus.
Wie ein Gesamtkunstwerk erscheint auch das Zentrum der einstigen Hauptstadt Kutna Hora westlich von Prag. Ihren unglaublichen Reichtum verdankte sie dem Silberabbau, der riesige Mengen dieses Edelmetalls in die Stadtkasse spülte. Eine eigene Münzprägeanstalt am Italienischen Hof, Herstellungsort des legendären Groschens seit dem 14. Jahrhundert, steigerte den Reichtum noch zusätzlich. Unübertroffen jedoch als historisches Bauwerk ist, direkt neben dem mächtigen Jesuitenkolleg, die Sankt-Barbara-Kathedrale. Auf den Grundmauern einer alten Bergarbeiterkapelle erhebt sie sich mit ihren filigranen Türmen und Türmchen über der Stadtkulisse. Von erhabener Pracht erweist sich auch der Innenraum mit seiner ineinander verschlungenen gotischen Fächerdecke. So genial gestaltet, dass es zweier prächtiger Barockorgeln bedarf, um alles zu einer harmonischen Einheit zu verschmelzen.
Unweit von Kutna Hora liegt an der Prager Peripherie das Chateau Kotera. Als eines der wenigen Schlösser, das nicht im barocken Stil erbaut wurde, ist es einer der architektonischen Höhepunkte für alle Freunde des Jugendstils. Hinter einer modernistischen Fassade präsentiert sich in seinem Inneren eine ausgefallene Ausstattung, die bis in die geräumigen Zimmer hinein Erstaunen hervorruft. So ist es nicht verwunderlich, dass sich die Gästeliste des Hauses liest wie ein neuzeitliches Who is Who der politischen und kulturellen Szene.
Die Hauptstadt darf auf der Reise nicht fehlen
Da will ein Ort wie das Chateau Mcely natürlich nicht zurückstehen. Die Besitzer sehen in seiner Wiederherstellung sogar eine Lebensaufgabe. In mehr als zwölfjähriger Renovierungsarbeit hielt hier mit aufwändiger handwerklicher Kreativität wieder Leben Einzug in das stark abgenutzte Gemäuer. Vor allem dem Speisesaal sowie der lichtdurchfluteten Gartenterrasse galt das Augenmerk bei der stilvollen Ausgestaltung. Und wem könnten all die Wohlgerüche entgehen, die im Wellnessbereich einer verfeinerten Aromatherapie entströmen?
Wie das Schloss Mcely gehört auch Chateau Loucen zu den einstigen Besitztümern des Fürstenhauses Thurn und Taxis. Eine als Labyrinth gestaltete Gartenanlage sowie eine opulent ausgestattete Bibliothek zeugen noch heute von deren einstigem Reichtum. Dieser erstreckte sich bei dem letzten Besitzer sogar auf zweihundert Hauskatzen, die hier den Beweis erbrachten für die Tierliebe des Fürsten. Heute ist jedoch eher das angrenzende Café von Interesse, das mit seinem Spezialdessert eine der ausgefallensten böhmischen Gaumenfreuden bereithält.
Ende der Spurensuche
So endet die Spurensuche zu den böhmischen Schlössern mit dem Chateau Liblice nördlich von Prag. Dieses präsentiert sich nicht nur als eines der am besten erhaltenen Bauwerke des tschechischen Barock. Hier stimmen auch Küche und Keller, so dass es Vergnügen bereitet, bei einem stilvoll arrangierten Dinner noch einmal alle Stationen der böhmischen Schlösserreise Revue passieren zu lassen. Und sich innerlich bereits einzustellen auf die zu erwartenden reichhaltigen Angebote in der tschechischen Metropole.
Bereits aus der Ferne ragen die Türme des Veitsdoms als Orientierungshilfen empor und verlieren diese Funktion auch nicht beim Gang durch die Prager Altstadt. So wird die ehrwürdige Karlsbrücke schließlich zu einer belebten Durchgangsstation beim Aufstieg zur Prager Burg. Und nicht zuletzt lädt sie ein zu einem Abstecher zum Palais Lobkowitz auf der Prager Kleinseite. Zu jenem barocken Prachtbau, der als Zufluchtsort seit der letzten politischen Zeitenwende wie kein anderer auch mit der deutschen Geschichte verbunden ist.
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