Brasilien

Die in den Himmel ragen

Kirchturmhoch sprießen Heilige und religiöse Gestalten aus dem Boden von Brasiliens Nordosten: Zu Besuch bei den steingewordenen Zeugen der Volksfrömmigkeit.
Statue  von Missionar Frei Damiao aus Bozzano (Italien) in Guarabira, Paraíba
Foto: Horat | Der Missionar Frei Damiao aus Bozzano (Italien) in Guarabira, Paraíba. Seine Statue ist stolze 36 Meter hoch.

Gigantisch ist ihr Auftritt auf dem Hügel über der Stadt: Die sichtbetongewordene Verehrung der Heiligen Rita von Cascia aus dem Italien des 15. Jahrhunderts manifestiert sich da in einer Kolossalstatue. Mit ihren 42 Metern von Scheitel bis Fuß ist sie eine Riesin, größer als die Freiheitsstatue in New York. Auf ihrem Haupt ragt eine stachelige Heiligenschein-Konstruktion aus Chromstahl noch weitere acht Meter gen Himmel. In solch schwindelnder Höhe muss das Aufsetzen derselben eine montagetechnische Meisterleistung gewesen sein. Aber ins Staunen mischt sich auch ein leises Bedauern. Ein Bedauern, dass Rita nicht etwas anmutiger wirkt. Sie müsste nicht von derselben Eleganz sein wie die Gestalt des Cristo Redentor auf dem Corcovado (38 Meter hoch), der segnend seine Hände über die Stadt Rio de Janeiro ausbreitet. Aber etwas charmanter und einnehmender könnte die Dame – größte Heiligenfigur Südamerikas, 2,4 Millionen Euro teuer und im Jahre 2010 eingeweiht – zu einem Touristen-Magnet werden, nicht nur für fromme Wallfahrer – oder nicht?

Wallfahrer sind konservativ

Zé Dantas legt sorgenvoll die Stirn in Falten. Kritik am Erscheinungsbild der Schirmherrin über ihm ist nicht gern gehört in seiner Devotionalien-Boutique im Sockel der heiligen Rita. Aber er muss zugeben: „Die Pilgerströme, die erwartet wurden, kommen spärlicher als ersehnt. Wallfahrer sind offenbar konservativ – bevorzugen die alten, traditionellen Pilgerziele um dort zu beten.“

Denn die Absicht hinter dem Bau der Rekord-Statue – finanziert aus Spenden frommer Katholiken, Mitteln der Gemeinde, des Bundesstaates Rio Grande do Norte und der Regierung in Brasília – war es, einen religiösen Tourismus und mit ihm Einkommen in die strukturschwache Region Trairi zu bringen. Und Rita von Cascia – sie lebte von 1381 bis 1457 als Nonne bei den Augustinerinnen – sie wird seit je her gerne als „Helferin in aussichtslosen Nöten“ angesprochen.

Monumentale Statuen

Wer von Santa Cruz aus 120 Kilometer weiter südlich reist, kann in Guarabira – bereits im Bundesstaat Paraíba gelegen – eine weitere Monumental-Skulptur vom selben Künstler bestaunen. Das Abbild des Kapuziners Frei Damiao als Prediger mit dem Kreuz in der Hand wurde hier in Beton gegossen und verewigt. Seit dem Jahre 2004 ragt der Kapuziner auf dem Hügel über der schmucken Kleinstadt 36 Meter hoch in den Himmel. Auf einem dreistöckigen Sockel-Rondell mit Ausstellungsräumen steht er da – eine Besucherterrasse zu seinen Füßen. Die bucklige Erscheinung des Padres, der an einer deformierten Wirbelsäule litt, wurde vom Künstler etwas in die Vertikale korrigiert – und so war er auch statisch einfacher zu realisieren.

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Der in Italien geborene Kapuziner Frei Damiao (1898–1997) genießt bis heute im Nordosten große Popularität. Als junger Soldat überlebte er den Ersten Weltkrieg, trat anschließend dem Kapuzinerorden bei und wurde von seinen Oberen 1931 nach Brasilien entsandt. Sein ganzes Leben lang beackerte er auf „Heiliger Mission“ unermüdlich das Landesinnere, von Dorf zu Dorf. Da brachte er seine moralische und spirituelle Botschaft unters Volk. Da er sich dabei strikt auf die Religion beschränkte, wurde er – im Gegensatz zu anderen charismatischen Predigern – nie vom Staat behelligt. Schon zu Lebzeiten wurde Frei Damiao von seinen Anhängern wie ein Heiliger verehrt. Nicht lange nach seinem Tod wurde er im Jahre 2003 bereits seliggesprochen. Der Heiligsprechungs-Prozess aber scheint nicht recht voranzukommen. Obwohl die dafür geforderten Wunder bereits vorlägen, wie Fabiana de Araújo vom Unterstützerverein beteuert. Einen Grund dafür glaubt sie zu wissen: „Unserem großen Prediger Frei Damiao mit seinen bodenständigen und konsequenten Botschaften werden seine gelegentlichen Attacken gegen die Protestanten angelastet – das wird heute kritisch gesehen.“

Sao Francisco das Chagas

Südlich der Millionenstadt Fortaleza, 118 Kilometer im Landesinneren, liegt Canindé. Hier steht „Sao Francisco das Chagas“ in seiner braunen Kutte, 30 Meter hoch, und zeigt seine Hände mit den Wundmalen. Jährlich kommen Hunderttausende zu ihm gepilgert. Die Wenigsten wissen, dass er nicht ein eigenständiger Heiliger ist, sondern Franz von Assisi – transformiert in die brasilianische Trockensteppe.

„Der Anthropologe Luis de Camera Cascudo zeigte auf, dass dieser Heilige im volkstümlichen Glaubensverständnis nicht mehr ein Italiener ist, der vor 700 Jahren wirkte, sondern ein Heiliger mitten unter den Bewohnern des Sertaos“, erklärt der Theologiestudent Raimundo Teles auf dem Platz vor dem Denkmal. „Für das einfache, fromme Volk ist Sao Francisco das Chagas, der Franziskaner mit den Wundmalen stigmatisiert, einer von ihnen, der am Leben der Menschen hier teilnimmt und der in Canindé unter seinen Mitbrüdern lebt.“ Und er erklärt weiter: „Es war die katholische Kirche, die jahrhundertelang von Wundern sprach. Die Leute haben sich das verinnerlicht – und sehnen sich nach solchen Wundern in ihrem entbehrungsreichen, unwägbaren Leben hier im Sertao. Da Gott nicht sinnlich erfassbar ist, suchen sie sich einen Heiligen, einen Zeugen. Die „Mystik des Nordostens“ muss in diesem Kontext gesehen werden. Die offizielle Kirche wird hier mit Skepsis betrachtete – die meisten haben sie als eine Kirche fern von den Anliegen des einfachen Volkes erfahren. Sao Francisco das Chagas aber, der Heilige Franziskus mit den Wundmalen, er steht hier vor ihnen – und steht ihnen bei.“

Erinnerung an Mystiker

Ein weiterer Mystiker des Nordostens wurde in Juazeiro do Norte – nochmals 450 Kilometer tiefer im Innenland – mit einer turmhohen Statue bedacht: Padre Cícero. Es war Armando Lacerda Senior, der Vater des Kolossalstatuen-Schöpfers von Santa Cruz und Guarabira, der sie 1969 schuf. Hier, in dem oftmals von Dürreperioden geplagten Landstrich, entstand auf einem Hügel das Sanktuarium des als wundertätig geltenden Pater Cícero Romao Batista, der da Anfang des 20. Jahrhunderts lebte und wirkte.

Einstmals soll sich in seiner Kirche ein Wunder ereignet haben; eine Hostie soll sich bei der Kommunion in Blut verwandelt haben. Ob dieses Wunder einer wissenschaftlichen Untersuchung standgehalten hätte, konnte nie geklärt werden. Aber die Geschichte breitete sich wie ein Lauffeuer über das Land aus und es kam zu riesigen Menschenaufläufen bei den Heiligen Messen des Pfarrers. Die kirchlichen Vorgesetzten waren ob des religiösen Fanatismus, der in Windeseile um Cícero herum entstand, besorgt – und befürchteten, dass dieser zu einem Schisma führen könnte. Trotz Cíceros Bemühungen, den Bruch mit der Kirche zu vermeiden, wurde er gegen Ende seines Lebens exkommuniziert. Er lebte bis zu seinem Tod als Bürgermeister und Ratgeber in weltlichen und religiösen Belangen in Juazeiro.

Exkommunizierter Heiliger

Seine Anhänger im Sertao hat das Verdikt des Vatikans nie geschert – für sie war er ein Heiliger. Zu Abertausenden strömten sie jeden Tag zu seinem Wirkungsort. Und so ist es bis heute: In wackligen Autobussen kommen sie an, oder auf Ladebrücken von Camions – viele haben über 1 000 Kilometer zurückgelegt mit dem einen Wunsch: Zu ihrem „Padim Cíco“ zu kommen – dem Wundertäter, dem Mann, der immer ein Ohr und ein Herz hatte für die Armen und Vergessenen.

Der Bischof der Diözese Crato, Monsignore Fernando Panico, bemühte sich jahrzehntelang, die verzwickte Situation um Cícero zu klären. Er wollte erreichen, dass der Padre – der von Millionen in Brasilien verehrte Gottesmann – wieder offiziell anerkanntes Mitglied der katholischen Kirche würde. Mit Erfolg: Vor Weihnachten 2015 konnte er einer jubelnden Menge in Juazeiro verkünden, dass Papst Franziskus in Rom die Exkommunikation des Padre Cícero aufgehoben habe.

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