THEMA DER WOCHE

Wozu noch Tugenden?

Ist das Kunst oder kann das weg? Oder warum Eigenwohl und Gemeinwohl in dem Bemühen um Tugenden eine Verbindung eingehen, die vorteilhafter kaum gedacht werden kann.
Lob der Tugend und Tadel des Lasters
Foto: imago stock&people (imago stock&people) | Tugenden verbinden Eigenwohl und Gemeinwohl. Gotisches Fresko, Lob der Tugend und Tadel des Lasters mit Schriftbändern, Dom, Brixen.

Immer mehr Menschen erleben Staat und Gesellschaft zunehmend als dysfunktional. Krieg und Kriminalität, Gewalt und Gier und vieles andere nehmen nach Ansicht Vieler ein immer bedrohlicheres Ausmaß an. Unter der Überschrift „Tugend oder Soft skills?“ geht „Tagespost“-Ethik-Experte Stefan Rehder im „Thema der Woche“ der Frage nach, inwieweit ein funktionierendes Gemeinwesen darauf angewiesen ist, dass seine Mitglieder tatsächlich danach streben, tugendhaft zu sein.

Von Goethe bis MacIntyre: Wie es zum Verlust der Tugend kam

In seinem Essay zeigt Rehder dabei zunächst unter Rückgriff auf die Dichter Johann Wolfgang Goethe und Paul Valéry, den Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde und den schottischen in den USA lehrenden Philosophen Alasdair MacIntyre („After Virtue“, dt.: „Der Verlust der Tugend“), dass dem Bemühen um Tugendhaftigkeit in der vergangenen 240 Jahren im Großen und Ganzen durchaus eine gleichbleibende Bedeutung zuerkannt wurde. Was sich jedoch fundamental geändert habe, sei das Verständnis von dem, was Tugend sei.

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Ausführlich stellt der Autor dabei die These MacIntyres vor. Der mache für den Wandel das Scheitern der Aufklärung verantwortlich, Tugend rein rational und – anders als Aristoteles oder Thomas von Aquin – ohne Rückgriff auf ein der menschlichen Natur innewohnendes Telos zu begründen. Laut MacIntyre habe dieses Scheitern zum Entstehen des sogenannten „Emotivismus“ geführt. Eine Theorie, der zufolge „alle moralischen Urteile nur Ausdruck von Vorlieben, Einstellungen oder Gefühlen“ seien und die dazu geführt habe, dass moralische Meinungsverschiedenheiten für unentscheidbar gehalten werden.

Der demokratische Staat und das Dilemma des Emotivismus

Auf der Grundlage des Emotivismus könne, wie Rehder gegen Ende zeigt, ein demokratischer Staat nun aber „keine Partei“ mehr ergreifen. Er bleibe darauf verwiesen, lediglich den „psychologisch Versierteren“ als Sieger auszurufen, weil der es geschafft habe, eine Mehrheit hinter sich zu versammeln. Insofern könne es auch nicht verwundern, wenn die Gesellschaft daher heute statt Tugend „Soft skills“ präferiere. Während „Soft skills“ dem „Eigenwohl“ dienten, für das „Gemeinwohl“ jedoch nur wenig oder bisweilen auch gar nichts leisteten, verbänden Tugenden Eigenwohl und Gemeinwohl in einer Weise, die „vorteilhafter“ kaum gedacht werden könne. DT/reh

„Lesen Sie einen ausführlichen Essay zur Frage nach der heutigen Relevanz von Tugenden in der kommenden Ausgabe der „Tagespost“.

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