Transhumamismus

Warum Transhumanisten Altern für eine „Krankheit“ halten

Warum Transhumanisten Altern für eine „Krankheit“ halten, und wie sie sie zu überwinden versuchen.
Mühen des Alters besiegen
Foto: Mascha Brichta (dpa-tmn) | Die Mühen des Alters besiegen - Wissenschaftler auf der Suche nach dem Jungbrunnen für die ewige Jugend.

David A. Sinclair ist Professor für Genetik an der Harvard Medical School in Boston. Auf dem Kurznachrichtendienst „Twitter“ präsentiert sich der australische Biologe als „Harvard Professor, der an der Verlängerung eines gesunden Lebens für Menschen & andere Tiere arbeitet“. Der 53-Jährige, den das Magazin „Time“ in die Liste der „100 einflussreichsten Menschen der Welt“ aufnahm, hält das Altern nicht bloß für die „größte aller Krankheiten“, sondern auch für eine, die besiegbar sei: „Ich denke tatsächlich, dass es eines Tages möglich sein wird, unsterblich zu sein.“

In seinem 2019 erschienenen Weltbestsellers: „Das Ende des Alterns – Die revolutionäre Medizin von morgen“, präsentiert der Biologe eine „Informationstheorie des Alterns“. Sie gipfelt in der Behauptung: „Kein biologisches, chemisches oder physikalisches Gesetz besagt, dass das Leben enden muss. Ja, Alterung ist eine Zunahme der Entropie, ein Informationsverlust, der zu Unordnung führt. Aber potenziell können wir ewig leben, solange wir die entscheidende biologische Information intakt halten und Energie aus irgendeiner Quelle im Universum aufnehmen können.“

„Ich denke tatsächlich, dass es eines Tages möglich sein wird, unsterblich zu sein.“
David A. Sinclair

Nach Ansicht des Co-Direktors des „Paul F. Glenn Center for the Biological Mechanism of Aging” und Mitbegründers der Zeitschrift „Aging“, die Wissenschaftlern ein Forum bieten will, in dem sie ihre Erkenntnisse publizieren können, lassen sich sämtliche Effekte des Alterns auf den Verlust „epigenetischer Informationen“ zurückführen. Und der ereigne sich so: Komme es zu Brüchen in der Erbsubstanz, bänden die zelleigenen Reparaturmechanismen zur Reparatur des Bruches auch Proteine ein, die eigentlich die Genexpression regulierten und dafür verantwortlich seien, dass eine Zelle wisse, welche Proteine sie synthetisieren soll. Dies führe zu vorübergehenden Veränderungen der Genexpression. Junge Zellen seien in der Lage, nach Abschluss der Reparatur in ihren ursprünglichen Zustand zurückzukehren. Allerdings schafften es niemals alle Proteine, wieder an ihren ursprünglichen Ort zurückzukehren, was mit zunehmender Zeit zu einer Veränderung der Genexpression und zu einem allmählichen Verlust der „Zellidentität“ führe. Sinclair will diesen Prozess nun umkehren. Durch die Arbeit mit Mäusen, bei der er und seine Mitarbeiter gezielt Brüche in der Erbsubstanz induziert hätten, sei es gelungen, die Faktoren zu identifizieren, die es erlaubten, eine Zelle in ihren ursprünglichen epigenetischen Status zurückzusetzen.

Bis zu 1000 Jahre alt

Sinclair ist nicht der Einzige, der glaubt, Altern sei eine „Krankheit“, die überwunden werden könne. Noch radikaler verficht diese Auffassung der britische Bioinformatiker und Altersforscher Aubry de Grey, der regelmäßig Konferenzen unter der Überschrift „Altern ungeschehen machen“ organisiert, bei der sich Forscher, die auf diesem Gebiet arbeiten, austauschen und vernetzen. De Grey hält es für möglich, dass Menschen bis zu 1 000 Jahre alt werden könnten, wenn es ihnen gelänge, sieben Zell- und Gewebeschäden, die er die „sieben Todsünden des Alterns“ nennt, erfolgreich zu bekämpfen. De Grey, der sich in Interviews gerne damit brüstet, die „Arbeit Gottes“ zu machen, wurde 2004 mit dem „H.G. Wells Award“ der „World Transhumanist Association“ ausgezeichnet. Seit 2008 firmiert die Organisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, den Transhumanismus überall zu befördern, unter dem Namen „Humanity+“.

Auch Silicon Valley-Größen wie Google-Mitbegründer Larry Page, Jeff Bezos (Amazon, Blue Origin) und Elon Musk (Tesla, Space X, Twitter) stehen dem Trans- humanismus nahe und investieren in Firmen, die sich mit der Überwindung des Alterns befassen. Eines davon nennt sich „Alto Labs“ und wurde Ende vergangenen Jahres von Hal Barron, vormals Entwicklungschef des britischen Pharma-Giganten GSK (GlaxoSmithKline), gemeinsam mit dem früheren Direktor für „Global Health“ der „Bill und Melinda Gates Foundation“, Richard Klausner, und dem ehemaligen CEO der Biotechschmiede „GRAIL“, Hans Bischof, gegründet.

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Methoden der Zellverjüngung

Mit Instituten in San Francisco Bay und San Diego (Kalifornien) sowie dem britischen Cambridge will das Unternehmen Methoden der Zellverjüngung erforschen. Als Direktor des Institutes in San Diego verpflichtet das Unternehmen den spanischen Stammzellforscher Juan Carlos Izpisua Belmonte. Der hatte im vergangenen Jahr für Schlagzeilen gesorgt, als er in der renommierten Fachzeitschrift „Cell“ eine Studie publizierte, für die er und sein Team sechs Tage alten Makakenaffen-Embryos menschliche Stammzellen induzierte und sie sich in ihnen teilen und vermehren ließ. Das Experiment, bei dem Tier-Mensch-Mischwesen geschaffen wurden, wurde in China durchgeführt. Der Grund: selbst im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist nicht alles erlaubt.

„Altos Labs“, das, wie das Magazin „MIT Technology Review“ schreibt, dank Investoren wie Bezos und anderen Wissenschaftler mit Jahresgehältern von einer Million US-Dollar und mehr ködern könne, hat sich sogar der Dienste des japanischen Stammzellforschers Shinya Yamanakaversichert. Der 60-Jährige, der an der traditionsreichen Kyoto-Universität lehrt, zählt zu den Pionieren der Stammzellforschung. 2012 hatte er den Nobelpreis für Medizin dafür erhalten, dass es ihm im Labor gelungen war, Körperzellen des Menschen in pluripotente Zellen zu verwandeln, die viele der Eigenschaften embryonaler Stammzellen aufwiesen. Heute sind die sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen, kurz auch „IPS-Zellen“ genannt, aus der Stammzellforschung nicht mehr wegzudenken. Mit dem Biochemiker Peter Walter, der den Standort San Francisco Bay aufbauen und leiten soll, rekrutierte „Altos Labs“ einen weiteren Vorzeigeforscher. Der für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Proteinfaltung hochdekorierte Wissenschaftler gilt vielen bereits als Anwärter auf den Nobelpreis.

Drei, die mit diesem schon ausgezeichnet wurden, sind Mitglieder des „Board of Directors“ und führen die Geschäfte von „Altos Labs“. Dabei handelt es sich um die beiden Biochemikerinnen Frances Arnold (2018) und Jennifer Doudna (2020) sowie den Biologen David Baltimore (1975). Mit der Entdeckung und Optimierung der Genschere CRISPR/Cas9 revolutionierten Doudna und die Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier das Genom Editing. Welche Wege genau „Altos Labs“ einzuschlagen gedenkt, um Menschen davor zu bewahren, zu altern, verrät das Unternehmen nicht. Fest steht: Die dort versammelten Wissenschaftler beherrschen sämtliche Technologien, mit denen dem menschlichen Organismus auf den Leib gerückt werden kann.

Epigenetische Neuprogrammierung

Das „Altern heilen“ will erklärtermaßen auch das von dem Multimilliardär Brian Armstrong und dem Stanford-Forscher Blake Byers neu gegründete Unternehmen „NewLimit“ mit Firmensitz in San Francisco. Vor zehn Jahren gründete Armstrong, der seine Karriere als Softwareentwickler bei IBM begann, mit „Coinbase“ die mittlerweile größte Handelsplattform für Kryptowährungen in den USA. Im vergangenen Jahr brachte er das Unternehmen schließlich an die Börse. Einen Teil des Geldes, das ihm der Börsengang dabei in die Tasche spülte, scheint er nun reinvestieren zu wollen. Diesmal um die „epigenetische Neuprogrammierung“ von Zellen zu revolutionieren.

„Bemerkenswerte Experimente in den letzten Jahrzehnten“ hätten gezeigt, dass sich das Epigenom umprogrammieren lasse, um den „Typ und die Funktion einer Zelle zu ändern“, heißt es auf der Internetpräsenz von „NewLimit“. Und weiter: „Wir können Hautzellen in Gehirn-, Leber-, oder Muskelzellen verwandeln, indem wir nur eine Handvoll Gene aktivieren, die das Epigenom steuern. Durch die Manipulation dieser Reprogrammierungsfaktorgene können wir komplexe Genprogramme mit gezielten Interventionen steuern.“ Man kann nur hoffen, dass es sich dabei um den Speck handelt, mit dem die Forscher weitere Investoren ködern wollen. Denn so einfach, wie hier behauptet, lässt sich das immer noch weitgehend unverstandene Epigenom keineswegs manipulieren. Jedenfalls nicht, ohne gravierende unerwünschte Nebenwirkungen zu riskieren.

Ein Beispiel: Therapien mit embryonalen Stammzellen und IPS-Zellen scheiterten in der Vergangenheit unter anderem daran, dass sowohl die embryonalen als auch die reprogrammierten Zellen in den Versuchstieren, die sie heilen sollten, regelmäßig Teratome ausbildeten. In jüngster Zeit behaupten einige Forscher, es sei gelungen, das Krebsrisiko signifikant zu senken. Dass das Problem inzwischen überwunden sei, behauptet niemand. Ob „künstliche Intelligenz“ und „maschinelles Lernen“, die bei „NewLimit“, nomen est omen, etwas ändern werden, muss abgewartet werden. Wahrscheinlich ist es nicht.

Defizitäre Vorstellung vom Leben

Denn bei Licht betrachtet haben die Forscher, die sich auf diesem Feld tummeln, eine sehr defizitäre Vorstellung von dem, was „Leben“ eigentlich ist. Das gilt selbst für geisteswissenschaftlich gebildete Transhumanisten wie den israelischen Historiker und Bestseller-Autor Yuval Noah Harari („Homo Deus“), der meint, die „menschliche Spezies“ lasse sich „als ein einziges Datenverarbeitungssystem“ betrachten, in dem den einzelnen Menschen die Rolle von „Chips“ zukäme. Kritiker des Transhumanismus wundern derartige Einlassungen nicht. Für Anhänger des „biologischen Transhumanismus“, die dem „Weltbild der ,Digitalen Transformation‘“ verhaftet seien, sei „der Mensch im Wesentlichen nicht mehr als sein maschineller Körper und damit eine Maschine, deren Prozesse informationstheoretisch erfasst und gesteuert werden können“. Deshalb könnten auch „prinzipiell sämtliche Mängel am Körper durch menschliche Ingenieurskunst beseitigt werden“, erklärt der protestantische Theologe und Transhumanismus-Experte Oliver Dürr von der Universität Fribourg.

Nicht von ungefähr vergleicht Sinclair die in den Zellen des menschlichen Organismus vorhandene Erbinformation denn auch mit einer CD. Bekäme die Kratzer, würden die auf ihr gespeicherten Informationen nicht mehr vollständig abgelesen werden. Daher suche man jetzt nach einer „Politur.“

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