Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Christsein in Gaza

Von Asketen, Weinbergen und Wagenrennen

In der Gaza-Region hat es das Christentum in der Antike zunächst nicht leicht, sich auszubreiten. Doch dann entwickelt sich eine reiche Kultur, die auch in Rom Eindruck macht und auf das christliche Denken insgesamt Einfluss nimmt.
Hilarion von Gaza
Foto: Imago/Gemini | Der heilige Hilarion von Gaza (291–371) wusste wettbegeisterte Heiden bei einem Wagenrennen für den Glauben zu gewinnen. So berichtet es zumindest sein Biograph der heilige Hieronymus (348/49-420).

Nicht viel sprach dafür, dass die Ansiedlung entlang der Küstenstraße zur Halbinsel Sinai, bereits den alten Ägyptern als Gaza bekannt, einen größeren Platz im Heilsplan Gottes einnehmen würde. Zu Zeiten des Alten Bundes ereignete sich hier, in einer der fünf Städte des Volkes der Philister, nur eine größere Episode: Der gefangene und geblendete Simson, der von den Fürsten der Philister in den Tempel ihres Gottes Dagon gebracht und verhöhnt wird, reißt die Säulen des Gebäudes nieder, um sich selbst und die Feinde Israels unter den Trümmern zu begraben (Richter 16,23–31).

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Auch wenn wir derzeit von Gaza hören, denken wir traurigerweise nicht unmittelbar an geistige Größe und die Macht des geschriebenen Wortes. Und doch gingen von den hier wirkenden Kirchenvätern ganz wesentliche und richtungweisende Impulse aus.

Der Heilige von Gaza: Hilarion 

Dabei fasste das Christentum in der durch Handel reichen Region keineswegs leicht Fuß. Abseits der Glaubenszentren gelegen und durch eine Bevölkerung unterschiedlichster Herkunft bewohnt, hielt man eisern am Kult des Stadtgottes Marnas, dem Nachfolger Dagons, fest. Umso mehr Legenden rankten sich um den Mann, dem es gelang, ausgerechnet von hier aus das im Entstehen befindliche Mönchtum außerhalb Ägyptens zu verbreiten.

Das Leben des Heiligen Hilarion von Gaza, der nach einer Lehrzeit beim „Vater der Mönche“ Antonius um das Jahr 340 n. Chr. bereits im Alter von 15 Jahren selbst zum Begründer einer monastischen Bewegung wurde, bot dem Kirchenlehrer Hieronymus wenige Jahre später den Stoff zu einer Heiligenvita.

Mit anspruchsvollen Vergleichen hielt er sich dabei nicht zurück. Nicht einmal Homer würde es ohne des Beistand Gottes gelingen, von Hilarion zu reden, dem „Begründer und Förderer“ nicht nur eines gottesfürchtigen Lebenswandels, sondern auch des gewissenhaften Bemühens um das Wort Gottes.

Ein Rennen mit glühenden Rädern

Seinem räumlich weit entfernten Publikum im lateinischen Westen bot Hieronymus diesem hohen Maßstab entsprechend eine Fülle anschaulich geschilderter Szenen wie die folgende: Unter vielen Bittstellern aus Gaza tritt auch ein christlicher Pferdebesitzer an Hilarion heran, der mit seinem Stall beim bevorstehenden Wagenrennen gegen einen heidnischen Konkurrenten zu verlieren droht, da ihn dieser mit okkulten Flüchen überzieht.

Nach der vergeblichen Ermahnung, sein Geld doch lieber in die Wohlfahrt der Armen als in seine Rennpferde zu investieren, erbarmt sich Hilarion schließlich und lässt die Pferde für das bevorstehende Rennen segnen, zu dem die Gespanne in Erinnerung an den mythischen Raub der Sabinerinnen antreten.

Kaum ist das Zeichen zum Start gegeben und die in den Spuk eingeweihten heidnischen Honoratioren zum ergötzlichen Spott schon bereit, da beginnen unter dem Wagen des Christen „die Räder wie Feuer zu glühen“ und das Rennen ist wider aller Erwarten entschieden; Hieronymus vergisst nicht zu erwähnen, dass durch dieses sichtbare Eingreifen beiläufig noch die Konversion vieler, von den asketischen Idealen Hilarions allein wenig überzeugter Rennfahrer gelungen sei.

Macht, Bildung und Glauben

Das schwierige Verhältnis von Christen und Heiden sollte in der Folgezeit zugunsten ersterer ausschlagen. Eine Schlüsselfigur könnte hierbei der Bischof Porphyrios gewesen sein, wenngleich die Authentizität seiner Person höchst umstritten ist. Eine anonyme Lebensbeschreibung hebt besonders die durch allerlei Kniffe gelungene Schließung des Marnas-Heiligtumes im Jahr 402 n. Chr. hervor. Ob echt oder nicht, macht sie die Konfliktlinien zwischen Klerus und dem hochgebildeten Bürgertum deutlich.

Auch in der Folgezeit blieb das Nebeneinander von monastischem Leben und der besonders im 5. und 6. Jahrhundert angesehenen Rhetorenschule für das intellektuelle Klima der Stadt prägend. Bleibendes Zeugnis bilden die „Apophthegmata Patrum“, die die Spruchweisheiten der besonders in den fruchtbaren Weinhängen der Region tätigen Asketengemeinschaften versammeln, weit über gewöhnliche Klosterregeln hinausgehende Reflexionen über Glaubensleben und Gottessuche.

Weisheit „made in Gaza“

Auf der anderen Seite des römischen Imperiums schmückte sich der in dunkel raunendem Latein dichtende Commodian mit dem Beinamen „Gazaeus“, was auf ein gewisses Prestige der Weisheit „made in Gaza“ auch jenseits des Heiligen Landes schließen lässt.

An die großen griechischen Geschichtsschreiber Herodot und Thukydides wiederum knüpfte der gebürtige Gazit und Kirchenhistoriker Sozomenos an, indem er einen bereits bei Hieronymus anklingenden Gedanken weiterspann: „Wenn die größten Autoren über den kalydonischen Eber, den Stier von Marathon und anderes geschrieben haben, warum sollte ich nicht eine Geschichte der Kirche schreiben?“

Längst waren der Weg der frühen Kirche und die Taten ihrer Heiligen den historischen Schlüsselereignissen der paganen Vergangenheit, die jeder Schüler im Unterricht zu lernen hatte, ebenbürtig geworden.

Glaube und Wissenschaft - und ganz viel Ironie

Einen Höhepunkt markieren schließlich die um das Jahr 500 wirkenden Koryphäen der Rhetorik, die eine christlich eingefärbte Erkenntnislehre vermittelten. Werke zur Kosmologie, Heiligendarstellungen und eine umfangreiche gelehrte Briefkorrespondenz spiegeln etwas von dieser einzigartigen Verdichtung von Glaube und Wissenschaft im Umfeld eines eng vernetzten Zentrums der antiken Welt wider.

Dabei kamen auch Polemik und Satire nicht zu kurz. In Dialogform lässt etwa der Autor Aeneas von Gaza den Philosophen Theophrastos sich selbst beziehungsweise die von ihm auswendig gelernten, zu dieser Zeit populären neuplatonischen Doktrinen durch die gewitzten Fragen eines christlichen Syrers, in dem wir ein Alter Ego des Verfassers erkennen dürfen, ad absurdum führen.

Mit einer besonders kruden Auslegung der Seelenwanderungslehre konfrontiert, wonach die Verstorbenen entsprechend ihrer zu Lebzeiten auszeichnenden Charakteristiken in die Körper von Tieren versetzt würden, fragt der Syrer mit gespielter Unschuld, ob man sich dann die Seele des athenischen Populisten Hyperbolos im Körper einer Schmeißfliege oder die des „müheduldenden“ Helden Odysseus in dem einer arbeitsamen Ameise wiedergeboren vorzustellen habe – oder nicht sogar eher „an deren Füße gebunden, da ja auch Odysseus, an den Bauch eines Lammes geschnürt, sich unerkannt vom Zyklopen Polyphem aus dessen Höhle tragen ließ.“

Von der Hagiografie bis zum Lehrdialog

So spät sich Christen in Gaza etablierten, so beachtenswert ist die innerhalb kürzester Zeit hier entstandene Vielfalt christlicher Texte, von der Hagiografie bis zum Lehrdialog. Durch starke Widerstände herausgefordert und an einer wählerischen Bevölkerung geschult, reifte das christliche Denken gerade hier zu einer wertvollen Entwicklung und Schärfung.

Das trotz aller Bedrängnis bis heute andauernde christliche Leben in der Region (jüngst von Georg Röwekamp, Christen in der Region Gaza, Freiburg 2025, dargestellt) sollte daher niemals als ein bloß flüchtiges Phänomen aufgefasst werden. An anderer Stelle im Buch der Richter (16,3) reißt Simson die Stadttore Gazas aus ihren Einlassungen – mag dieses Motiv, wohl bereits durch die belesenen Gaziten auf die Sprengung der Höllenpforten durch die Auferstehung Christi bezogen, eine segensreiche Erinnerung für die Zukunft sein.


Der Autor ist Doktorand der Alten Geschichte und nimmt an dem „Junge Autoren“-Programm der Tagespost teil.

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