Auf Hume geht die These zurück, dass aus dem Sein kein Sollen folge. Wie soll aus einem erkannten Sachverhalt, dass etwas so und so ist, gefolgert werden können, dass es auch so sein soll? Anders formuliert: Gibt es ein Sollen im Sein? Gibt es in der uns umgebenden Wirklichkeit etwas, das uns unter einen normativen Anspruch stellt? Die Frage zu verneinen, heißt behaupten, dass es keine Wirklichkeit gibt, die unsere Achtung, Bewunderung oder Liebe verdient. Dann wird alles um uns herum wertlos. Das ist offensichtlich falsch.
Eine heldenmütige Tat im Dienst der Nächstenliebe verdient unsere Bewunderung; jeder Mensch verdient aufgrund seiner Würde Achtung. Würde ist absoluter Wert. Mit „absolut“ ist gemeint, dass dieser Wert nicht von unserer Wertschätzung abhängt, sondern umgekehrt diese gerade erst begründet. Ihm gebührt um seiner selbst willen eine Antwort. Dietrich von Hildebrand hat diesen Wertbegriff zum ersten Mal klar herausgearbeitet und für die Ethik fruchtbar gemacht.
Von Wert und Nutzwert
Er unterscheidet den Wert vom bloß subjektiv Befriedigenden und vom objektiven Gut für eine Person – kurz: vom Nutzwert, den etwas für mein Wohlergehen hat. Der Nutzwert ist immer relativ. Geld, Kleidung, Nahrung und so weiter haben einen Nutzwert und damit eine bloß dienende Funktion gegenüber meinem Wohlergehen. Ohne diesen Bezug ist dieser Wert nicht definierbar.
Ganz anders bei den Werten im Hildebrandschen Sinn: Ihnen gebührt aufgrund ihrer inneren Bedeutsamkeit eine Antwort, die unabhängig von der Frage ist, ob sie uns nützen. Gerade deshalb sprechen sie das Beste in uns an. „Das Entzücken, die Ergriffenheit, die wir als Zeuge einer edlen sittlichen Tat oder beim Anblick der Schönheit eines sternenbesäten Himmels erleben, setzt wesenhaft das Bewusstsein voraus, dass die Bedeutsamkeit des Gegenstandes in keiner Weise von der Freude, die er uns schenkt, abhängt.
Woraus die Seligkeit erwächst
Denn diese Seligkeit „erwächst gerade aus unserer Konfrontation mit einem in sich selbst bedeutsamen Gegenstand, der majestätisch und autonom in seiner Erhabenheit und Hoheit vor uns steht“, schreibt Hildebrand in seiner Ethik.
Seit ich dieses Werk mit 19 Jahren las, wurde es mir zu einer unschätzbaren Hilfe, auch konkurrierende Ethik-Entwürfe besser zu durchschauen. Viele von ihnen deuten alle Werte als Nutzwerte, die uns nur aufgrund ihrer Nützlichkeit motivieren. Kant dagegen kannte absolute Werte, verbannte sie aber aus der empirischen Wirklichkeit, verlegte sie ins Innere des moralischen Subjekts und reduzierte sie auf einen einzigen Wert, nämlich auf die Heiligkeit des Sittengesetzes, das dem ihm gehorchenden Willen moralischen Wert verleiht.

Manche Theologen ziehen daraus den Schluss, dass die Annahme von Werten in der Außenwelt einen unzulässigen Extrinsezismus darstelle, der unsere Autonomie einschränke. Die Wirklichkeit einschließlich unseres Leibs soll im Interesse unserer Freiheit bitteschön wertfrei bleiben! Wenn Johannes Paul II. dagegen auf der Würde des Leibes besteht, wird dies als Trick gedeutet, unsere Freiheit einzuschränken. Solche Unterstellung zeugt von einer Wertblindheit, gegen die Hildebrands Ethik die beste Medizin darstellt. Lesen Sie Hildebrand!
Der Autor ist studierter Philosoph und Mitbegründer der Petrusbruderschaft.
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