Die These vom „global greening“ ist nicht völlig falsch, es ist viel schlimmer: sie ist halbwahr. Denn erstens folgt aus der (unbestrittenen) Tatsache, dass Pflanzen CO2 aufnehmen (das haben wir im Biologieunterricht als Photosynthese kennengelernt) keineswegs, dass es damit insgesamt „grüner“ und damit klimafreundlicher wird. Es gibt einige gegenläufige Effekte. Und zweitens folgte selbst aus einem „global greening“ nicht, dass das „global warming“ komplett ausfällt, wie mit der „Pflanzennahrungsthese“ immer wieder subtil behauptet wird. Es könnte selbst dann, wenn die „global greening“-These ohne Wenn und Aber korrekt wäre, nicht die ersehnte Entwarnung in Sachen Klimawandel geben. Klimaschutzmaßnahmen werden also nicht überflüssig.
Schauen wir genauer auf die These. Es stimmt, dass Pflanzen CO2 brauchen, um zu wachsen. Für Nutzpflanzen, die die Grundlage unserer Ernährung bilden, gilt das auch. Mehr oder weniger: Es gibt Nutzpflanzen, für die das nicht gilt (zum Beispiel Hirse und Mais), es gibt aber auch Nutzpflanzen (zum Beispiel Soja und Weizen), für die das gilt, die also tatsächlich schneller und mehr wachsen durch mehr CO2 in der Luft. Doch dieser Effekt der „Pflanzennahrung“ ist nicht nur begrenzt (insoweit er eben nicht alle Nutzpflanzen einschließt) und zweitens höchst ambivalent, weil er gravierende Nebenwirkungen hat, die etwa die Qualität der Nutzpflanzen betreffen.
Gute und schlechte Nachrichten
Doch zunächst einmal ist es wahr, dass eine 2016 in „Nature“ veröffentlichte Studie zu dem Ergebnis kam, der Globus sei insgesamt grüner geworden – und die Ursache dafür läge zu etwa zwei Dritteln in der erhöhten CO2-Konzentration der Atmosphäre. Und: Im Jahr darauf veröffentlichte der Umweltwissenschaftler Elliott Campbell von der University of California eine Studie, die zeigt, dass derzeit 31 Prozent mehr Kohlendioxid in organische Substanz umgewandelt werde als vor der industriellen Revolution; die Studie erschien ebenfalls in „Nature“. Das sind – wenn man so will und alle anderen Effekte des CO2 erst einmal ausblendet – zwei gute Nachrichten. Die schlechte erläuterte Campbell, der seine Forschungsarbeit für die „global greening“-These instrumentalisiert sah, im Sommer 2018 in einem Interview mit der New York Times. Er nannte vier Gründe dafür, dass diese These entweder den Fakten nicht standhält, oder dort, wo sie stimmt, nicht wirklich Anlass zur Euphorie gibt.
Mehr Photosynthese bedeutet nicht unbedingt mehr Pflanzenwachstum. Zwar ziehe die Photosynthese das Kohlendioxid aus der Atmosphäre, nachts jedoch laufe der Vorgang genau umgekehrt: Ein Großteil des von den Pflanzen aufgenommenen CO2 werde wieder an die Luft abgegeben. Zudem brauchen Pflanzen für ein gesundes Wachstum auch noch andere Ressourcen (etwa Wasser) und Nährstoffe (etwa Phosphor und Stickstoff); wenn diese nicht entsprechend ebenso vermehrt vorkommen, nützt das „Mehr“ an CO2 gar nichts, denn das ist notwendig, aber nicht hinreichend für das Pflanzenwachstum.
Folgen des Minimumgesetzes
Maßgebend ist hier das so genannte Minimumgesetz, von Carl Sprengel 1828 veröffentlicht, durch Justus von Liebig in erweiterter Form popularisiert (Liebigsche Fassregel). Das Minimumgesetz besagt, dass das Wachstum von Pflanzen durch die im Verhältnis knappste Ressource (Kohlenstoffdioxid, Wasser, Nährstoffe etc.) eingeschränkt wird (so, wie bei einem Fass mit unterschiedlich langen Dauben die kürzeste Daube die maximale Füllhöhe bestimmt). Mehr CO2 bringt der Pflanze also nicht mehr Wachstum, wenn es einen Mangelfaktor gibt (etwa fehlendes Wasser), der das Wachstum begrenzt.
Ferner gibt es auch beim CO2 eine Sättigungsgröße, die optimale Bedingungen für das Wachstum der Pflanze herstellt, bei deren Überschreiten jedoch das glatte Gegenteil droht: das Absterben der Pflanze. Ein Problem gibt es hier etwa beim Hopfen, keine unwichtige Nutzpflanze. Zu viel des Guten ist eben nicht besser, sondern schlecht.
Anfälliger für Krankheiten
Ein „Mehr“ an CO2 kann Nutzpflanzen weniger nahrhaft machen. Eine Reihe von Studien zeige, so Campbell, dass Pflanzen, die in Umgebungen mit größerem CO2-Gehalt aufwachsen, oft niedrigere Konzentrationen von Nährstoffen wie Stickstoff, Kupfer und Kalium enthalten. Nach einer aktuellen Studie der Harvard University (Cambridge, USA) entzieht der erhöhte Kohlendioxidgehalt in der Luft Getreide wie Reis und Weizen wichtige Nährstoffe wie zum Beispiel Eisen, Eiweiß oder Zink. Dies könnte in Zukunft häufiger zu Mangelerscheinungen beim Menschen führen, schreiben die Wissenschaftler 2019 im Fachjournal „Nature Climate Change“. Wenn unsere Lebensmittel nährstoffärmer werden, ist das ernährungsphysiologisch also sehr ungünstig und gefährdet unsere Gesundheit – wir werden anfälliger für Krankheiten wie beispielsweise Malaria oder Lungenentzündung.
Mehr Pflanzen verhinderten nicht den Klimawandel. Schätzungen zufolge könnten alle Pflanzen und Ökosysteme der Welt zusammengenommen etwa 25 Prozent des Kohlendioxids, das wir in die Atmosphäre blasen, entfernen. Das könne den Klimawandel verlangsamen, halte ihn aber weder komplett auf noch kehre er ihn um, meint Umweltforscher Campbell. Und an einer Trendumkehr geht kein Weg vorbei, wenn es um den Klimawandel geht. Nur so lässt sich vermeiden, dass Kipp-Punkte des globalen Klimasystems überschritten werden, mit dann unumkehrbaren Veränderungen der natürlichen Umwelt und dementsprechend großen Risiken für die Menschen.
Verschlechterte Bilanz
Der Entschleunigungseffekt des „global greening“ ist kein dauerhafter. Selbst über den potenziellen Verlangsamungseffekt sollte man sich nicht allzu lange freuen – weil man diesen Effekt auch nicht allzu lange spüren wird. Wenn sich beispielsweise durch den Klimawandel auch die Niederschlagsmuster ändern und die Temperaturen weiter steigen, so könne es passieren, lässt uns Campbell wissen, dass die Pflanzen auch kein zusätzliches CO2 mehr aufnehmen, ja, sogar wieder vermehrt CO2 an die Luft abgeben, was die CO2-Bilanz dann noch weiter verschlechtere.
Zudem ist „grün“ nicht gleich „grün“ – und nicht alles Grüne hilft uns bei der Bewältigung des Klimawandels. Gábor Paál, Leiter der Abteilung Wissenschaft und Bildung im SWR, erklärt es in dem Beitrag „Die AfD sagt: Mehr CO2 fördert das Pflanzenwachstum. Stimmt das?“ ziemlich deutlich: „In tropischen Wäldern hat man festgestellt, dass bei einer erhöhten CO2-Konzentration Lianen schneller wachsen und dann andere Pflanzen verdrängen – Bäume zum Beispiel. Bäume sind aber wichtige Kohlenstoffspeicher. Und das zeigt schon, wie schwierig es ist, einfach zu sagen ,Die grünen Flächen nehmen zu‘. Wenn im Regenwald die Bilanz ist: Mehr Lianen, weniger Bäume, dann ist das kontraproduktiv, denn – obwohl ein lianenreicher Wald mehr grüne Blätter haben mag, speichert er dann trotzdem weniger Kohlenstoff“.
Eher eine Verschlechterung der Lage
Am Ende kommt man zu dem Ergebnis, dass das weltweite Ergrünen des Planeten zwar optisch nach einer Verbesserung der ökologischen Lage aussieht, bei näherer Betrachtung aber eher eine Verschlechterung für die Menschheit bedeutet, da es „eher zu einer veränderten Vegetationszusammensetzung“ (so Gábor Paál) führt, die dem Klima (weniger kohlenstoffspeicherndes Grün) und dem Menschen (weniger nahrhaftes Grün) eher schadet als nützt. Zudem ist der „Düngeeffekt“ des CO2 im Feld wesentlich geringer als im Labor und auch nicht von Dauer. Am schwersten wiegt jedoch, dass die anderen, höchst negativen Folgen des Klimawandels – unberechenbarere Wetterlagen, mehr Stürme, in einigen Regionen Starkregen und Überschwemmungen, in anderen Regionen Trockenheit – den vermeintlich positiven Einfluss des CO2 auf die Ernteerträge mehr als zunichte machen. Ergo: Am Klimaschutz – und das bedeutet drastische Reduktion der CO2-Emissionen – geht kein Weg vorbei.
Bevor mit der These vom „global greening“ der Klimaschutz für obsolet erklärt wird, sollte man sich die These genauer anschauen. Bei genauerer Betrachtung stellt sich nämlich heraus, dass trotz der grundsätzlich richtigen Annahme, auf der Grundlage der Photosynthese (CO2 als „Pflanzennahrung“) gebe es durch die hohen anthropogenen CO2-Emissionen eine Art „Düngeeffekt“, die Konsequenzen dieses Effekts höchst ambivalent und für das Klima (und damit auch für den Menschen) im Ergebnis eher negativ sind.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.