Daniel Tammet kann auf Anhieb 22 514 Nachkommastellen der Kreiszahl Pi nennen. Auch sonst fällt ihm der Umgang mit Zahlen nicht schwer – rechnen kann er schneller als ein Durchschnitts-PC. Der junge Mann mit der außergewöhnlichen Inselbegabung führt das darauf zurück, dass ihm sein Asperger-Syndrom einen emotionalen Zugang zu Zahlen verschafft. So steht es in seinem autobiographischen Bestseller „Elf ist freundlich und Fünf ist laut. Ein genialer Autist erklärt seine Welt“. Zahlen bedeuten für ihn mehr als nur – Zahlen.
Steht Tammet mit seiner Begabung auch ziemlich allein da, so sehr verbindet ihn mit anderen Menschen doch die Zuschreibung einer Bedeutung von Zahlen über ihren arithmetischen Wert hinaus. Es gibt Zahlen, die transportieren eine besondere unausgesprochene Botschaft, die fest im kollektiven Gedächtnis eines bestimmten Kulturkreises verankert ist. Die 13 gehört dazu, aber auch die Sieben. Dabei hat das Fortschrittsdenken den Glauben an Kleinwüchsige, die mit einem schwarzhaarigen Teenager zusammenleben, längst verdrängt.
Keine Reihe 13
Dennoch: In Flugzeugen – dem Inbegriff des technologischen Erfolgs der Menschheit – gibt es auch im 21. Jahrhundert keine Reihe 13. Der Aberglaube verhindert es nach wie vor. Und über die Faszination der Sieben hat die Düsseldorfer Punkband „Die Toten Hosen“ – über den Verdacht esoterischer Schwurbeleien hoch erhaben – ein Lied geschrieben, in dessen Text es heißt: „7 Schöpfungstage brauchte Gott um die Welt zu bauen. / 7 Tage hat die Woche, 7 mal geht die Sonne im Osten für uns auf. / Über 7 Brücken musst du gehen, 7 dunkle Jahre überstehen, / 7 mal, 7 mal, das ist unsere Zahl, die über allem steht“. Im Laufe des Liedes werden weitere Beispiele genannt – Märchen kommen auch vor. Sieben Jahre zuvor hatte die britische Heavy Metal-Gruppe „Iron Maiden“ im Intro ihres Songs „Moonchild“ (1988) die Sieben martialisch besungen: „Seven deadly sins / Seven ways to win / Seven holy paths to Hell / And your trip begins / Seven downward slopes / Seven bloodied hopes / Seven are your burning fires / Seven your desires“.
Die 1 steht für Gott
Es erhärtet sich der Verdacht: Zahlen sind mehr. In der Tat. Zahlencodes dienen der rechtsextremen Szene zur Verschleierung verfassungsfeindlicher Äußerungen, Zahlen rufen Verschwörungstheoretiker auf den Plan, ein Umstand, den Douglas Adams in seinem Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ (1979) herrlich persifliert, indem er „42“ kurzerhand zur Antwort auf die letzte aller Fragen nach „dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“ erklärt; 2005 kam der gleichnamige Film in die Kinos. Klassischerweise ist die Generalantwort für viele Verschwörungsanhänger die „23“, die es ebenfalls zu cineastischem Ruhm brachte: „23 – Nichts ist so wie es scheint“ (1998).
Jenseits dieser satirisch bzw. (ungewollt) komischen Auseinandersetzung mit der Wirkmacht von Zahlen lassen sich viele Beispiele für eine tief in der Kultur verwurzelte Sicht auf Zahlen als Bedeutungsträger finden, besonders, wenn man dabei auf die Bibel, das Christentum und die Kirche schaut. Mit der Eins geht es schon los: Sie steht für Gott. Das heißt: Die Null ist ja auch noch da. Sie steht für den Teufel. Denn: Sie selbst hat einerseits keinen Wert, vermag andererseits aber – hinter eine Ziffer gestellt – den Wert derselben zu verzehnfachen. Das ist „Zauberei“, „Hexenwerk“, kurzum: des Teufels. Lange weigerte sich das christliche Abendland daher, die Null, die aus dem indisch-arabischen Kulturraum im Hochmittelalter nach Europa kam, ins Kalkül einzubeziehen, was den Fortschritt erheblich ausbremste, denn die Null ist Grundlage jeden Stellenwertsystems. Erst mit ihrer Einführung wurden in der Arithmetik Rechenoperationen mit positiven Zahlwerten kleiner Eins möglich. Damit konnten später Leibniz und Newton die Differential- und Integralrechnung entwickeln, mathematische Methoden, die wiederum Voraussetzung waren für den rasanten Aufschwung der Naturwissenschaften seit dem 18. Jahrhundert.
Dreifaltigkeit und vier Jahreszeiten
Weiter im Text bzw. in der Zahlenreihe. Steht die Zwei für Dualität und Polarität (Mann und Frau, Sonne und Mond, Yin und Yang), so tritt mit der Drei ein Star der christlichen Theologie auf den Plan. Die Dreifaltigkeit als Hervorbringung des Christentums hat die Drei auch zur Zahl der Vollkommenheit werden lassen: Aller guten Dinge sind drei. Auch wichtig: die Vier. Jahreszeiten, Himmelsrichtungen, kanonische Evangelien.
Die nächsten Zahlen, bei denen Bedeutung mitschwingt, sind die Zehn, die Zwölf und die 40. Zehn Gebote, zwölf Stämme Israels und entsprechend zwölf Apostel sowie 40 Jahre (Volk Israel) bzw. Tage (Jesus) in der Wüste. Diese Zahlen kann aus unserem Kulturkreis wohl jede und jeder zuordnen, als Zahl der Vollendung (Zehn), Zahl der Begegnung Gottes mit der Welt (Zwölf, also: Drei mal Vier) sowie Zahl der Erwartung und Vorbereitung (40), nach der sich bis heute die Länge der österlichen Bußzeit bemisst.
In der kirchlichen Tradition wurden zudem einige Zahlen bewusst ausgewählt, um sie durch die Kraft des christlichen Glaubens von ihrer negativen Rolle, die sie in anderen kulturellen Zusammenhängen innehatten, zu befreien, Motto: Seht her, der Glaube kann nicht nur Berge versetzen, sondern auch einer Zahl die entgegengesetzte Bedeutung zuweisen. So wurde die 14 von der Zahl der Tore in der Unterwelt und der Begleiter Nergals, des babylonischen Gottes der Unterwelt, zur Zahl der Nothelfer, populärer Heiliger, denen Balthasar Neumann eines der bedeutendsten Kirchenbauten des Spätbarocks widmete, die Basilika Vierzehnheiligen bei Staffelstein in Oberfranken. Nach dem Prinzip der kulturellen Überschreibung wurden so nicht nur Daten im Jahreskreis von der Kirche neu mit christlichen Inhalten belegt, indem Kirchenfeste heidnische Bräuche übergangslos ersetzten, sondern auch Assoziationen gegenüber Zahlen ins glatte Gegenteil verkehrt.
11 als Zahl der Maßlosigkeit
Auch die arithmetische Kombination von Zahlen kann helfen, ihre Bedeutung christlich zu grundieren. So gilt die Elf als Zahl der Unordnung und Maßlosigkeit (nicht von ungefähr ist sie die Zahl, die den Karneval dominiert), multipliziert mit der 1 000, der Zahl der Vollkommenheit, ergibt sich die 11 000, die Zahl der Jungfrauen also, die die heilige Ursula von Köln Ende des 4. Jahrhunderts auf ihrer Wallfahrt nach Rom begleitet haben sollen. Die Botschaft wiederum: Mit Gottes Hilfe kann auch das Negative ins Gute gewendet werden. Und einfache Rechenoperationen können das Positive ins Übermaß vervielfältigen – 144 ist Zwölf mal Zwölf, das nochmal mit 1 000 multipliziert, ergibt die Zahl derer, die gemäß der Offenbarung des Johannes „mit dem Siegel gekennzeichnet waren“ (Offb 7,4), bisweilen von Endzeitpropheten und sektiererischen Religionsgemeinschaften als die limitierte Zahl der geretteten Menschenseelen missverstanden. Man muss eben den Symbolcharakter solcher Zahlen erkennen.
Bei anderen Religionen stehen andere Zahlen im Vordergrund. Im Islam haben die Fünf und die 99 eine besondere Bedeutung. Es gibt fünf Säulen des religiösen Bekenntnisses und 99 Namen Gottes. Die Acht wiederum steht im Judentum für die Zahl der von Noah geretteten Menschen und die Tage des Chanukka-Festes. Die Beschneidung findet am achten Tag nach der Geburt statt. Und die sechs Schöpfungstage wurden im Davidstern verewigt. Der tibetische Buddhismus kennt 108 Störgefühle, hinduistische Gottheiten haben 108 Namen – entsprechend spielt die 108 in den fernöstlichen Religionen eine ganz besondere Rolle.
Zurück zur Sieben, bei der so viel mitschwingt. Auch in der Kirche ist diese Zahl wichtig: Sieben Sakramente gibt es, sieben Werke der Barmherzigkeit, sieben Gaben des Heiligen Geistes. Und die bereits erwähnten „Toten Hosen“ stellten fest: „Jesus hängt schon lange am Kreuz, als er noch 7 Worte sprach“, und weiter: „Es ist nur 'ne Zahl, doch sie lässt mich nicht mehr los. / Nur eine Zahl, ich kann nichts dagegen tun“.
Keine Angst vorm 13. Monatsgehalt
So symbolgeladen Zahlen auch sein mögen – am Ende sind es nur Zahlen. Also: Keine Angst vor dem nächsten 13., auch dann nicht, wenn dieser auf einen Freitag fällt. Das 13. Monatsgehalt akzeptiert man ja auch ohne Zögern.
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