Pränataldiagnostik

Der Baby-TÜV

Bluttests auf Trisomien werden Kassenleistung. Und das ist erst der Anfang. Wie die nicht-invasive Pränataldiagnostik Schwangerschaft und Geburt zu verändern droht.
Nicht invasive Pränataldiagnostik
Foto: AdobeStock | Die falsch-positiv-Rate ist ein Grund dafür, dass der NIPT von den medizinischen Fachgesellschaften als sogenannter „stand-alone“-Test bislang abgelehnt wird.

Andrea Fotiadis-Schmitz muss es wissen. Die Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Spezielle Geburtshilfe und Perinatologie arbeitet im Kinderwunschzentrum Köln. Das Zentrum gehört zur „Amedes-Gruppe“, die eigenen Angaben zufolge an über 90 Standorten in Deutschland, Österreich, Belgien und Dubai mehr als 450.000 Patienten pro Jahr behandelt. Am Kinderwunschzentrum Köln, das mittlerweile auch alleinstehenden Frauen und lesbischen Paaren zu Kindern verhilft, reicht das Portfolio von der Insemination über die „In-Vitro-Fertilisation“ (IVF) und „Intrazytoplasmatischen Spermieninjektion“ (ICSI) bis hin zum „Social Freezing“. Im Rahmen der Pränataldiagnostik werden dort auch „spezielle Untersuchungen, die über den Rahmen der normalen Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen hinausgehen“, angeboten. Darunter auch der seit 2012 als „individuelle Gesundheitsdienstleistung“ (IGeL) erhältliche, von den Versicherten selbst zu zahlende „nicht-invasiven Pränataltest“ – kurz NIPT.

„Der NIPT hat zu einem gewaltigen Umbruch in der bisher gängigen Pränataldiagnostik geführt“, schreibt Fotiadis-Schmitz in einem kürzlich in der Fachzeitschrift „gyn – Praktische Gynäkologie“ erschienenen Beitrag. Der Grund: „Durch einen einfachen Bluttest ohne Eingriffsrisiko zu einer vermeintlich sicheren Diagnose zu kommen“ sei „für viele Schwangere sehr verlockend“. Dabei seien die Informationen der Test- hersteller „sowohl für Patientinnen als auch für die Ärzte/-innen“ jedoch „nicht immer neutral“ gehalten. „Hinweise auf die Grenzen der Aussagekraft der Ergebnisse“ fehlten sogar „weitgehend“. Und da dabei „nicht alle relevanten Aspekte“ auch „benannt“ würden, seien „umfassende Kenntnisse zum aktuellen Stand der genetischen Diagnostik“ in der Schwangerenbetreuung „unerlässlich“.

Bewertungshürden erfolgreich genommen

Dies gilt in Zukunft um so mehr, als der NIPT inzwischen sämtliche Hürden des von den Herstellern beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beantragten sogenannten „Methodenbewertungsverfahrens“ für die Aufnahme in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung erfolgreich genommen hat. Einzig und allein die Einigung auf eine Abrechnungsziffer, auf die sich die Vertreter der Krankenkassen und der niedergelassenen Ärzte verständigen müssen, steht noch aus, um das gelaufene Verfahren auch formal zum Abschluss zu bringen.

Während die Befürworter des NIPT meist hervorheben, dass sich mit dem Test invasive Diagnostiken reduzieren ließen, die mit dem Risiko behaftet sind, dass Frauen und Kinder dabei verletzt werden, warnen Kritiker eindringlich vor einer „Eugenik von unten“ und behaupten, mit der Aufnahme des NIPT in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen werde nicht weniger als die „Büchse der Pandora“ geöffnet.

Bis zum Jahr 2012 konnten Trisomien der Chromosomen 13, 18 und 21, nach denen mit dem NIPT derzeit vorrangig gefahndet wird, vorgeburtlich nur mit einer Fruchtwasseruntersuchung diagnostiziert werden. Bei dem invasiven Verfahren durchsticht der Arzt unter Ultraschallansicht mit einer dünnen Hohlnadel die Bauchdecke der Schwangeren, dringt bis in die Fruchtblase vor und entnimmt dort zwischen 10 und 15 ml des Fruchtwassers. Weil im „Badewasser“ des ungeborenen Kindes auch Zellen treiben, die es bereits abgestoßen hat, lassen sich diese im Labor vermehren und anschließend einer DNA- oder einer Chromosomenanalyse unterziehen.

Risiken der Fruchtwasseruntersuchung

Eine solche Fruchtwasseruntersuchung ist jedoch nicht frei von Risiken für Mutter und Kind. Selbst bei geübten Medizinern kann der Einsatz der Nadel zu einem gefährlichen Verlust von Fruchtwasser führen oder gar den Embryo verletzen. Vor allem dann, wenn sich das Kind unerwartet bewegt. Auch kann die Gebärmutter durch die Nadel beschädigt werden und dann eine Infektion hervorrufen. Komplikationen, die mitunter gravierende Folgen nach sich ziehen können: Statistisch betrachtet endet jede hundertste, nach anderen Angaben jede zweihundertste Fruchtwasseruntersuchung mit einer Fehlgeburt.

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Isoliert betrachtet, lässt sich daher der Wunsch nach einer risikoärmeren Methode durchaus nachvollziehen. Nur hat diese eben einen Pferdefuß. Denn was für die Mütter risikofrei ist, mutiert für das Kind in der Praxis zu einem rasiermesserscharfen Selektionsinstrument. In Dänemark etwa lassen laut einer 2018 publizierten Studie 93 Prozent der Schwangeren, bei denen der NIPT ein positives Testergebnis für eine Trisomie 21 ergibt, ihr ungeborenes Kind anschließend auch abtreiben. Wenn das keine „Eugenik von unten“ ist, was dann?

Fehlerhafte Testergebnisse bei NIPT

Und als wäre das noch nicht genug, gefährden die Bluttests längst auch das Leben gesunder Kinder. Denn obwohl der NIPT eine sehr hohe Sensitivität und Spezifität besitzt, die laut Fotiadis-Schmitz „von keiner anderen nicht-invasiven vorgeburtlichen Untersuchung erreicht wird“, liefert er doch regelmäßig auch unzutreffende Ergebnisse. Labormediziner sprechen hier von einer Falsch-positiv-Rate, die bei NIPT im Falle des Down-Syndroms bei etwa 0,3 Prozent liegt. Das klingt nach wenig. Bei genauerer Betrachtung ergibt sich jedoch ein anderes Bild, worauf etwa der Deutsche Ethikrat schon sehr früh hingewiesen. In seiner 2013 erschienenen Stellungnahme „Die Zukunft der genetischen Diagnostik – von der Forschung in die klinische Anwendung“ präsentierte der Rat dazu mehrere Modellrechnungen.

Wie das Expertengremium dort ausführt, betrage zum Beispiel das Risiko einer 40-jährigen Schwangeren, ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen, etwa ein Prozent. „Geht man von 30.000 schwangeren Frauen mit diesem Risiko aus, die alle einen nichtinvasiven Test auf Trisomie 21 mit einer Falsch-positiv-Rate von 0,3 Prozent in Anspruch nehmen, erwartet man neben 300 tatsächlich von einer Trisomie 21 betroffenen Schwangerschaften (1 Prozent von 30.000), zusätzlich 89 falsch positiv getestete Fälle unter den verbleibenden 29.700 nicht betroffenen Schwangerschaften (0,3 Prozent von 29.700). Von insgesamt 389 Testergebnissen, die auf eine Trisomie 21 hindeuten, wären in diesem Beispiel fast ein Viertel falsch positiv.“ Ein noch höherer Anteil wäre zu erwarten, wenn der Test auch bei Schwangeren mit geringerem Trisomie-Risiko eingesetzt würde. Dazu muss man wissen, dass das Risiko, ein Kind mit Trisomien zu bekommen, mit zunehmendem Alter rapide steigt. Laut Fotiadis-Schmitz etwa beträgt das Risiko einer 25-jährigen Schwangeren, ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen, nur 1:1040.

Positiven Test invasiv überprüfen

Bei einem Risiko von 1:700 würde das Rechenbeispiel des Ethikrats dazu führen, dass 133 der 30.000 Mütter ein positives Testergebnis erhielten. Doch nur in 43 Fällen besäßen die Kinder auch tatsächlich das Down-Syndrom. Die übrigen 90 hätten ein falsch positives Ergebnis und wären in Wirklichkeit gar nicht von der Trisomie betroffen.

Die Falsch-positiv-Rate ist ein Grund dafür, dass der NIPT von den medizinischen Fachgesellschaften als sogenannter „stand-alone“-Test bislang abgelehnt wird. Fällt er positiv aus, muss er – so die Theorie – mittels einer invasiven Diagnostik überprüft werden. Das Problem ist nur, niemand kann eine Schwangere zwingen, das Testergebnis überprüfen zu lassen. Wie jeder andere Eingriff bedarf auch eine Fruchtwasseruntersuchung der informierten Zustimmung der Patientin.

Ein weiteres, praktisches Problem ergibt sich aus der Tatsache, dass der Test bereits ab der 10. Woche eingesetzt werden kann, und damit deutlich früher, als das bei einer Fruchtwasseruntersuchung der Fall ist, die selten vor der 14. Woche durchgeführt wird. Einige Hersteller empfehlen dem NIPT sogar ab der 9. Woche, zu einem Zeitpunkt der Schwangerschaft also, zu dem die Mutter aufgrund der hormonellen Umstellung ihres Organismus oftmals noch gar keine feste Bindung zu dem Kind aufbauen konnte.

Bei der Abtreibung von Kindern mit Trisomien, vornehmlich solchen mit Down-Syndrom oder auch nur einem falsch-positiven Testergebnis wird es jedoch aller Voraussicht nach nicht bleiben. Denn der NIPT kann längst mehr.

Optimierungswahn vieler Gesellschaften

Je nach Anbieter lassen sich mit den Tests im mütterlichen Blut inzwischen auch nach numerischen Abweichungen der Chromosomen 9, 16 und 22 fahnden. Auch Mikrodeletionen wie beispielsweise das Prader-Willi-Syndrom, das DiGeorge-Syndrom, das Jacobsen-Syndrom, das Cri-du-chat-Syndrom oder das Angelman-Syndrom können mit den Tests theoretisch erkannt werden. Genauso wie Fehlverteilungen der Geschlechtschromosomen (Turner-Syndrom, Klinefelter-Syndrom, Triple-X-Syndrom oder Diplo-Y-Syndrom).

Experten halten es für sehr wahrscheinlich, dass in Zukunft sogar das gesamte Genom eines ungeborenen Kindes durch einen Bluttest der Schwangeren auf Auffälligkeiten hin untersucht werden kann. Noch schützt das Risiko, das mit einer Fruchtwasseruntersuchung verbunden ist, viele Kinder vor den oft unreflektierten Leidvermeidungsstrategien ihrer Eltern sowie dem Perfektionismus und Optimierungswahn vieler Gesellschaften, in denen das Imperfekte schnell als unzumutbar betrachtet oder gar als persönliche Kränkung verstanden wird. Doch je mehr die Hersteller das Diagnosespektrum und die Einsatzmöglichkeiten des NIPT erweitern, desto näher rückt der umfassende Baby-TÜV.

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Themen & Autoren
Stefan Rehder Abtreibung Down-Syndrom Trisomie 21

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