Achim Kampker spricht schnell. Zeit ist, wird in Gegenwart des hoch aufgeschossenen Maschinenbauers schnell deutlich, ein knappes und kostbares Gut. Unsympathisch macht das den 47-Jährigen nicht. Im Gegenteil: Zugewandt und dennoch Distanz wahrend, rasch, aber keineswegs gehetzt, selbstbewusst und gleichwohl bescheiden, die Beiträge anderer ausstellend, führt der Professor für „Production Engineering of E-Mobility Components“ (PEM) über das Gelände.
Auf 20 000 Quadratmetern des „Science und Business Park Avantis“, gelegen an der deutsch-niederländischen Grenze, etwa zwanzig Autominuten von der Aachener Innenstadt entfernt, kann der Mobilitätspionier und Miterfinder des legendären „StreetScooters“, des ersten von einem Elektromotor angetriebenen Kleintransporters, seinen Ideen freien Lauf lassen. Und denen von jenen, die in dieselbe Richtung denken wie das Ausnahmetalent, das 1976 in Moers das Licht der Welt erblickte. 15 Unternehmen, darunter viele Start-Ups, haben sich hier mittlerweile niedergelassen und nutzen gemeinsam das Areal, zu dem 4 000 Quadratmeter Hallen- und 1 600 Quadratmeter Bürofläche gehören. So unterschiedlich ihre Projekte auch sind, eines haben sie alle gemeinsam. Wie Kampker, den nicht wenige von ihnen als „spiritus rector“ betrachten, wollen sie die Welt besser hinterlassen als sie sie vorgefunden haben.
Selbst konzipierter Lehrstuhl
2004 wurde der Maschinenbauer mit dem Schwerpunkt Fertigungstechnik an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen mit Auszeichnung promoviert. Ein Jahr später erhielt er die „Borchers-Plakette“, welche die RWTH Aachen für außergewöhnliche wissenschaftliche Auszeichnungen verleiht. Nach weiteren Studien an der RWTH und der Universität Sankt Gallen, mit denen Kampker einen eMBA (Master of Business Administration im Bereich Technologiemanagement) erwarb, folgte 2009 der Ruf auf den Lehrstuhl für Produktionsmanagement an der Fakultät für Maschinenwesen der RWTH. Seit 2014 leitet er dort nun den von ihm selbst konzipierten und gegründeten PEM-Lehrstuhl.
Über all das verliert Kampker kein Wort. Sei es, weil er vermutet, dass man es ohnehin weiß, sei es, weil er darauf vertraut, dass Journalisten ihren Job machen, sei es, weil es ihn schlicht nicht interessiert. Fest steht: Der Ingenieur, der vor Tatendrang zu sprühen scheint, nutzt seine Zeit anders. Statt dem weit verbreiteten „Ich-über-mich“-Gequatsche spricht der praktizierende Katholik lieber über das, was in der Gesellschaft seiner Meinung nach bisher zu kurz kommt. Statt „endlos zu diskutieren, müssen wir schneller in Tun kommen“. In den zwei Stunden, die sich Kampker an einem Freitagnachmittag für den Rundgang über sein Gelände und das Gespräch mit der „Tagespost“ über den von ihm 2019 in Leben gerufenen Verein, „Ingenieure retten die Erde e.V.“ freigehalten hat, kommt der Ingenieur darauf, leicht variiert, gleich dreimal zu sprechen.
„Wir zerstören, das ist, glaube ich, unstrittig, Teile von dem, was Gott uns zur Verfügung gestellt hat. Und das kann nicht gut sein“. Achim Kampker
„Ob das mit dem CO2 nun stimmt oder nicht, ist mir eigentlich egal. Wir zerstören, das ist, glaube ich, unstrittig, Teile von dem, was Gott uns zur Verfügung gestellt hat. Und das kann nicht gut sein“, verrät Kampker, danach gefragt, was ihn bewog, einen Verein wie „Ingenieure retten die Erde e.V.“ zu gründen. Es könne „unmöglich im Sinne Gottes“ sein, „dass wir seine Schöpfung kaputt machen, zertreten und zertrampeln“. Daher lohne es sich, „Themen wie die Kreislaufwirtschaft, in der Ressourcen reproduziert werden, noch stärker als bisher unter die Lupe zu nehmen“.
Mit dem Verein und den Projekten, die er fördert, will Kampker beweisen, „dass es möglich ist, dass eine Gemeinschaft, ohne in die Steinzeit zurückzufallen, all das, was sie verbraucht, zuvor auch auf demselben Areal hervorbringen kann“. Die „Modellstadt“, die Kampker vorschwebt, hört auf den Namen „Humanotop“. Entstehen soll der „proof of principle“ bisherigen Plänen zufolge in einem verlassenen Dorf Spaniens. Warum dort? „Einerseits, weil dort die klimatischen Bedingungen extremer sind als in Deutschland, anderseits, weil es dort weniger staatliche Auflagen gibt, die berücksichtigt werden müssen.“
Hochmodernes Testzentrum für Elektro-Batterien
Wie detailliert die sein können, lässt sich auch auf dem PEM-Gelände besichtigen. Auf einer Fläche von 2 200 Quadratmetern ist hier in Kooperation mit dem TÜV-Rheinland ein hochmodernes Testzentrum für Elektro-Batterien entstanden. Auf über 20 Prüfständen, einschließlich Klima-, Korrosions- und Schadenskammer, werden hier Zellen, Module und Elek- tro-Batterie-Systeme mit einem Gewicht von bis zu 800 Kilogramm nahezu allen erdenklichen Stresstests unterzogen. Und das vom Prototyp bis zum vollfunktionsfähigen, baufertigen D-Muster.
Wie viele Ingenieure ist auch Kampker verliebt ins Gelingen. Als er einen Container präsentiert, in dem ausgemusterte, in Reihe geschaltete E-LKW-Batterien lagern, huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Kostenloser Strom. „Das reicht, um unsere Stromspitzen zu bewältigen“, erklärt Kampker. Ein Perfektionist ist der Maschinenbauer aber deshalb nicht. Dass am Anfang nicht jedes Problem gelöst oder auch nur gesehen werden könne, hält er für „normal“.
„Groß denken, klein anfangen“, lautet denn auch eine seiner Maximen. In einer Ecke des Geländes türmen sich Wasserkanister vor einem Con- tainer, in dem eines der Start-Up-Unternehmen, die sich hier niedergelassen haben, Meeresfische züchtet. Lebenszyklus ohne Mikroplastik, kürzerer Transport, geringere Kosten. „Keine schlechte Idee“, findet Kampker, angesichts der Unmengen an Plastik, mit denen Menschen die Meere vermüllen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Geländes steht ein weiterer Container. Auf die Förderung dieses Projekts ist Kampker besonders stolz. Hier werden schwarze „Soldatenfliegen“ gezüchtet. Der Grund: Wegen ihres hohen Proteingehalts gilt die Larve des Insekts als hochwertige und obendrein preiswerte Alternative zu gängigen Futtermitteln wie Soja und Fischmehl, deren Produktion erhebliche Umweltschäden verursacht. In Südamerika wird der Regenwald abgeholzt, um Felder für den Anbau von Soja zu generieren. Um Fischmehl zu gewinnen, werden Schleppnetze eingesetzt, die nicht nur die Populationen der Meeresbewohner dezimieren, sondern auch den Meeresboden, und damit ein wichtiges Ökosystem, zerstören. Auf dem PEM-Gelände sollen die Larven der Soldatenfliege, die sich, ein weiteres Plus, von organischen Abfällen einschließlich Gülle ernähren, erstmals im industriellen Maßstab produziert werden.
Die Projekte müssen wirtschaftlich sein
Kampker ist kein Romantiker. Dass Projekte wirtschaftlich sein müssen, steht für ihn genauso außer Frage, wie dass die Bewahrung der Schöpfung „ohne den Einsatz von Technologie nicht funktionieren wird“. „Wir Ingenieure denken zu oft noch ausschließlich in Kategorien wie schneller, höher, weiter. Was uns fehlt, ist eine Art übergeordnete Leitidee.“ So wie Ärzte einmal den ethischen Konsens formuliert hätten, das Leben von Menschen zu retten, könnten Ingenieure sich „den Erhalt der Erde zum Ziel setzen und darauf mit allem, was sie tun, hinarbeiten“. In diesem Sinne müsse auch der Name des Vereins verstanden werden, erklärt Kampker. Mit „Ingenieure retten die Erde e.V.“ will der Maschinenbauer auch eine „positive Aufbruchstimmung“ verbreiten.
Dass Themen wie Klima- und Umweltschutz meist allein unter dem Aspekt Verzicht abgehandelt werden, hält der mit einer Ärztin verheiratete Vater von fünf Kindern für „wenig zielführend“ und „objektiv falsch“. Auch in der Modellstadt, die Kampker und seinen Mitstreitern vorschwebt, würden Menschen „das Leben genießen können“. Sogar „noch mehr, stressfreier und gesünder“ als dies heute in den meisten Städten möglich sei. „20 Prozent des innerstädtischen Verkehrs ist mittlerweile reiner Parkplatz-Suchverkehr“, rechnet der Mobilitätspionier vor. „Das ist doch nicht besonders intelligent“, meint Kampker.
Freiheit erfordert Verantwortung
2010 gründete er gemeinsam mit Günther Schuh die StreetScooter GmbH. Ihr Ziel: In Zusammenarbeit mit rund 80 mittelständischen Unternehmen und weiteren Forschungseinrichtungen ein preisgünstiges Elektrofahrzeug für den Kurzstreckenverkehr zu entwickeln. 2014 kaufte die Deutsche Post das Unternehmen. Vorrangiges Ziel des Konzerns war dabei keineswegs, seine Zustell-Flotte klimaschonender zu machen, sondern den Kraftstoffverbrauch und die Wartungskosten um jeweils mehr als 60 Prozent zu senken. Dass dadurch auch weniger CO2 in die Luft geblasen wurde, war also eher ein angenehmer, dem Image des Unternehmens zuträglicher Nebeneffekt.
Statt in Verzichtskategorien zu denken, verfolgt Kampker solche „Win-Win-Strategien“. Auch dass etwa in Deutschland diejenigen „zur Kasse gebeten werden, die Grenzwerte überschreiten, ohne diejenigen zu belohnen, die unterhalb der Grenzwerte bleiben“, hält der Professor für falsch. „Investoren fliegen auf solche Projekte.“ So würden „Anreize geschaffen, die Geldströme umlenken und dazu führen, dass Dinge, die in die richtige Richtung gehen, hinreichend finanziert werden können“. Ob er nicht oft genervt sei, wenn er die Welt betrachtet? Der Katholik überlegt kurz, dann sagt er: „Ich bin dankbar, in einer freien, demokratischen Gesellschaft leben zu können. Wir denken oft, das sei selbstverständlich. Ist es aber nicht.“ Freiheit erfordere aber auch Verantwortung. „Und eigentlich habe ich genug damit zu tun, meine wahrzunehmen.“
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