Vergangene Woche teilte die international tätige Lebensschutzorganisation „40 Days for Life“ eine Nachricht, die zumindest Christen erfreuen und hoffnungsvoll stimmen dürfte: Seit Aschermittwoch beten rund eine Million Lebensrechtler verschiedener Religionen und Konfessionen in rund 1.000 Städten in 64 Ländern auf allen Kontinenten vor Abtreibungseinrichtungen für deren Schließung. Nomen est omen – 40 Tage lang. Betroffen davon ist auch der deutschsprachige Raum. In Österreich beten die Lebensrechtler vor zwei Kliniken in Wien und in Innsbruck, in der Schweiz vor einer in Basel, für deren Schließung. In Deutschland hat „40 Days for Life“ auch Schwangerenkonfliktberatungsstellen ins Visier genommen, die jene Scheine ausstellen, die nach den geltenden gesetzlichen Regelungen Schwangere und Ärzte zur Vornahme einer straffreien vorgeburtlichen Kindstötung berechtigen. Betroffen sind hier Abtreibungspraxen und Beratungsstellen in Frankfurt am Main, München, Pforzheim und Stuttgart.
Gebetswachen sind ein Dorn im Auge
Der Ampelkoalition sind solche Gebetswachen schon länger ein Dorn im Auge. In ihrem Koalitionsvertrag stufen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP die Aktionen als „Gehsteigbelästigungen“ ein, die sie gesetzlich verbieten lassen wollen. Bundesfamilienminister Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) kündigte zu Beginn der Fastenzeit denn auch zum wiederholten Mal einen Gesetzesentwurf an, der abtreibungswilligen Schwangeren Zugang zu Beratungsstellen und Abtreibungen durchführenden Praxen ermöglichen soll, ohne dabei auf Menschen zu treffen, die für die Rettung der von Abtreibung bedrohten Kinder beten. Dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ sagte Paus: „Frauen müssen ungehinderten Zugang zu Beratungseinrichtungen und Einrichtungen haben, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen.“ Mahnwachen vor diesen Einrichtungen seien „Grenzüberschreitungen und nicht hinnehmbare Eingriffe in höchstpersönliche Entscheidungen von Frauen“. Dem werde die Bundesregierung „gesetzliche Maßnahmen entgegensetzen“.
Ganz einfach dürfte das nicht werden. Von einzelnen Kommunen per Erlass verhängte Verbote wurden von „40 Days for Life“ bislang noch jedes Mal auf dem Rechtsweg wieder eingesammelt. Darüber hinaus würde ein gesetzliches Verbot von Gebetswachen eines der wichtigsten Narrative der Abtreibungsbefürworter Lügen strafen. Ihm zufolge entscheiden sich nämlich schwangere Frauen gar nicht aus Panik, Verzweiflung oder Druck des Umfelds, sondern ausschließlich nach reiflicher Überlegung und sorgfältiger Abwägung aller Umstände, autonom und selbstbestimmt für eine vorgeburtliche Kindstötung. Noch dazu in einem solchen Ausmaß, dass die Bundesregierung die gesetzlich vorgeschriebene Beratungspflicht, die von nicht wenigen Abtreibungsbefürworter als Bevormundung betrachtet wird, lieber gestern als heute wieder einkassieren oder wenigstens in einen Anspruch auf Beratung verwandeln würde.
Keine bevormundende Beratung
Übersehen wird dabei: Laut Gesetz darf die Beratung gar nicht bevormundend ausfallen. Hinzu kommt: Laut dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das sich am 28. Mai zum 30. Mal jährt, ermöglicht erst sie dem Staat, die verfassungsrechtlich verbürgten Ansprüche, die der Embryo auf Schutz seines Lebens besitzt, nicht anders durchsetzen zu müssen. Das Urteil, dessen Re-Lektüre trotz seiner offenen, von niemandem bestrittenen Widersprüche jedem empfohlen werden kann, macht zumindest unmissverständlich klar, dass auch der Embryo, vom Moment seiner Zeugung an, Würde und ein Recht auf Leben hat und daher ein „Recht auf Abtreibung“, das es ohnehin nicht geben kann, mit dem Grundgesetz unvereinbar wäre.
Wenn all dem aber so ist, warum müssen dann abtreibungswillige Schwangere davor bewahrt werden, auf ihrem Weg zur Abtreibung ein paar Betern am Wegesrand zu begegnen? Wieso müssen dieselben Frauen, die angeblich keiner Beratung in einer Ausnahmesituation bedürfen, die eine ungewollte Schwangerschaft darstellt und die, obgleich ihre Hormone verrückt spielen, klug und nüchtern abwägend, über Leben und Tod eines unschuldigen, wehrlosen Menschen entscheiden, der unter ihrem Herzen heranwächst, vor einer Handvoll „Ave Maria“ murmelnder Rosenkranzbeter in Sichtweite geschützt werden?
Immer wieder erfolgreich
Die einfachste Antwort lautet: Weil „40 Days for Life“ erfolgreich ist. Nicht immer, auch nicht in der Mehrzahl der Fälle. Aber eben doch immer wieder. Seit 2007 seien weltweit 22 829 Kinder vor einer Abtreibung gerettet worden, weil jemand vor einer Klinik gebetet habe und die Mütter sich gegen die vorgeburtliche Kindstötung entschieden, rechnet Tomislav Čunović vor, Geschäftsführer von „40 Days for Life International“. Auch hätten weltweit inzwischen 132 Abtreibungseinrichtungen ihre Tätigkeit ganz eingestellt, weil Lebensrechtler regelmäßig vor ihnen gebetet hätten. Last but not least hätten 247 Menschen den Abtreibungsorganisationen, für die sie arbeiteten, den Rücken gekehrt, weil für sie gebetet worden sei. Die Prominenteste von ihnen heißt Abby Johnson. Acht Jahre lang leitete die US-Amerikanerin eine „Planned Parenthood“-Klinik in Byran, einer im Osten des Bundestaates Texas gelegenen Kleinstadt. Heute zählt sie zu den einflussreichsten Lebensrechtlern der Welt. Vor dem Zaun, der die Klinik umgab, beteten damals die Mitglieder der von dem Katholiken Shawn Carney und seiner Frau Marillisa mitbegründeten „Coalition for Life“, die sich später in „40 Days for Life“ umbenannte und deren Präsident Carney heute ist.
Angst vor der Antifa
Damit nicht genug: In dem 2019 erschienenen Film „Unplanned“, der die Geschichte von Abby Johnsons Seitenwechsel und den Anfängen von „40 Days for Life“ erzählt, tritt ein weiterer Bekehrter auf. Was viele nicht wissen: Der Arzt, der zu Beginn des Films eine vorgeburtliche Kindstötung durchführt, spielt im Grunde sich selbst. Im wahren Leben trieb er 1.200 Kinder ab, bevor er die Seiten wechselte und sich der Lebensschutzbewegung anschloss. Dagegen werden in dem Film, der als DVD und Blu-ray erhältlich ist, Abby Johnson von Ashley Bratcher und Shawn Carney von Jared Lotz verkörpert. Beide Schauspieler zahlten für ihr Engagement einen hohen Preis. Seit dem Erscheinen des Films im Jahr 2019 haben beide keine weiteren Rollen mehr erhalten. Anders als in den USA, wo der Film auch in Kinos gezeigt wurde, hatte die von der „Stiftung Ja zum Leben“ finanzierte deutsche Synchronfassung nicht nur Schwierigkeiten, einen Verleih zu finden. Mit Ausnahme einer Premiere in Fulda wurde sie auch nie in Kinos gezeigt, weil die Betreiber fürchteten, dass die Antifa ihre Kinosäle zerlegen würde.
Shawn Carney zufolge, in dessen Büro Abby Johnson im Oktober 2009 „hereinspazierte“, ist ihr Seitenwechsel eine Geschichte, die „immer typischer“ werde. Eine, die sich andersherum niemals ereigne. In einem Interview, das die von der „Aktion Lebensrecht für Alle“ herausgegebenen Zeitschrift „LebensForum“ vergangenes Jahr mit Carney führte, erklärte der 40-Jährige, es gebe keine Frauen, die ein Hilfszentrum für Schwangere leiteten, plötzlich aufwachten und sagten: „Oh Mann, ich hätte eigentlich eine Abtreibungsklinik leiten sollen! Ich hätte Abtreibungsarzt werden sollen! Das passiert einfach nicht.“ Der Seitenwechsel sei „ein Pendel“, das nur „in eine Richtung ausschwingt“.
Nachwuchs für das tödliche Geschäft
Ein Problem, mit dem sich die international gut vernetzte Abtreibungslobby überall herumschlagen muss. Nirgendwo hat sie es leicht, Nachwuchs für ihr einträgliches, aber tödliches Geschäft zu finden. Um ihr Geschäftsfeld dennoch zu sichern, setzen ihre Strategen an unterschiedlichen Stellen an. So versuchen sie etwa Abtreibungen als Teil der „Gesundheitsvorsorge für Frauen“ zu deklarieren. Das klingt positiv und soll es medizinischem und ärztlichem Personal erschweren, eine Beteiligung an vorgeburtlichen Kindstötungen unter Berufung auf das eigene Gewissen abzulehnen. Mehr noch: Kliniken sollen auf diese Weise verpflichtet werden, die „Gesundheitsvorsorge“ sicherzustellen. Etwa dadurch, dass sie künftig nur noch Personal einstellen, das sich auch bereitfindet, Abtreibungen selbst durchzuführen oder daran mitzuwirken. In Deutschland sollen angehende Mediziner bereits im Studium die Durchführung von Abtreibungen erlernen, Hemmungen ablegen und so an das tödliche Geschäft herangeführt werden. Was allerdings auch dann absurd wäre, wenn Menschen, die einen „Heilberuf“ ergreifen wollen, dabei nicht lernen würden, wie man unschuldige und wehrlose Menschen im Mutterleib tötet. Denn käme es so weit, wäre die Abtreibung der einzige chirurgischen Eingriff, den Mediziner nicht erst in der Facharztausbildung erlernen würden. Ein weiteres Instrument, dem Personalmangel zu begegnen, ist die Bewerbung und vermehrte Beschreibung der Abtreibungspille, mit der sich ungewollt Schwangere ihres Kindes in den eigenen vier Wänden entledigen können. Die Dramen, die sich dabei ereignen können, hat „Unplanned“, ein weiteres Verdienst des Films, ebenfalls ins Bild gehoben.
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