998 500, 999 500…. Die Stimme des Moderators überschlägt sich, die Stimmung im Saal explodiert: Auf unglaubliche eine Million Euro beläuft sich der Spendenbetrag, der soeben erzielt wurde. Die Freude und Begeisterung über das gemeinsam Erreichte ist im Saal mit den Händen greifbar. Was hier gerade passiert, sieht aus wie eine Mischung aus Auktion und Talentshow, ist in Wirklichkeit aber etwas ganz anderes: In ein abwechslungsreiches Unterhaltungsformat gepackt fand am Montagabend in Paris zum fünften Mal die Spendengala „La Nuit du Bien Commun“ (Nacht des Gemeinwohls) statt. Das Besondere der Veranstaltung: Gründer, Projektträger und Spender entstammen größtenteils dem katholischen Milieu.
Berühmte Bretter
Ort der Szene ist die Pariser Konzerthalle „L'Olympia“. Edith Piaf, Louis Armstrong, Die Beatles und die Rolling Stones haben bereits auf diesen Brettern gestanden, auf denen sich heute Abend Talente ganz anderer Art präsentieren. Zwölf „soziale Unternehmer“, wie sie im Jargon des professionell organisierten Fundraising-Abends heißen, durften hier die gemeinnützigen Projekte ihrer Non-Profit-Organisationen vorstellen. Die Vereinsvorsitzenden hatten jeweils vier Minuten, um die anwesenden Spender vom Nutzen und den Erfolgschancen ihres jeweiligen Projekts zu überzeugen. Ermuntert durch das Moderatorenpaar konnten die anwesenden Spender nach dem umgekehrten Auktionsprinzip mit Beträgen von 5 000 bis 100 Euro auf jedes vorgestellte Projekt „bieten“. Insgesamt 1 020 781 Euro wurden an diesem Abend gesammelt.
Seit 2017 konnte die hinter der Gala stehende Stiftung damit insgesamt an die 8 Millionen Euro sammeln und an zahlreiche Vereine ausschütten. Sponsoren und Partner kommen für die Ausrichtung des Abends auf, sodass die gespendeten Beträge des Abends selbst komplett an die vorgestellten Projekte gehen. Gegründet wurde „La Nuit du Bien Commun“ von Pierre-Edouard Stérin (Siehe Porträt S.11), Stanislas Billot de Lochner und Thibault Farrenq. Stérin (47) hat sein als Unternehmer erwirtschaftetes Vermögen von 800 Millionen Euro kürzlich in eine von ihm gegründete Stiftung für gemeinnützige Zwecke gesteckt und macht aus seinem katholischen Glauben keinen Hehl. Stanislas Billot de Lochner (31) ist Gründer, Thibault Farrenq (34) Teilhaber der Beratungsfirma Obole Digitale. Das junge Unternehmen berät Non-Profit-Organisationen, darunter vor allem katholische Vereine und Bistümer, im Bereich Fundraising. Anfang 2018 erlangte Obole Digitale mit der Entwicklung von digitalen Spendenkörben für die sonntägliche Kollekte landesweite Aufmerksamkeit.
Großzügigkeit als Tugend
Die „Nuit du Bien Commun“ soll jungen, innovativen Vereinen bei der Finanzierung ihrer Projekte helfen und Großzügigkeit als Tugend und Praxis fördern. Der persönliche Kontakt zwischen Trägern der Projekte und Spendern sei zentral, erklärt Thibault Farrenq im Gespräch mit der „Tagespost“. „Man möchte die Leute gerne kennen, denen man Geld gibt und aussuchen können, wem man gibt.“ Alle drei Gründer sind Familienväter und gehen mit gutem Beispiel voran: Sie gehören einer Initiative an, die Franzosen dazu ermuntert, 10 Prozent ihres Einkommens oder Vermögens zu spenden. Ziel ist der Dienst am Gemeinwohl. „Ich definiere Gemeinwohl im Licht meines christlichen Glaubens“, so Billot de Lochner. Gemeinwohl bedeute, allen Menschen die materiellen und geistigen Bedingungen zu einem würdigen Leben zugänglich zu machen. Ganz bewusst sei der Begriff „bien commun“ gewählt worden und nicht „intérêt général“, betont Farrenq.
Beides lässt sich im Deutschen mit Gemeinwohl wiedergeben, aber nur Ersteres bedeutet Gemeinwohl im Sinne der kirchlichen Soziallehre. Das Konzept des „Intérêt général“ dagegen stammt aus der Aufklärung, fand im Zuge der Französischen Revolution Eingang in das politische Vokabular und spiegelt ein eher marxistisches Verständnis von Staat und Gesellschaft wider. Beim anschließenden Cocktail in der Vorhalle des Olympia läuft man Monseigneur Louis de Bourbon, Herzog von Anjou über den Weg. Er ist Vize-Präsident der Stiftung „La Nuit du Bien Commun“ und als direkter Nachkomme von Ludwig dem XIV. und Ludwig dem XVI. einer der Anwärter auf den Thron der Bourbonen. Als Erbe der französischen Könige fühle er sich dem Dienst am Gemeinwohl verpflichtet, schrieb er noch letzte Woche in einem Leitartikel des französischen Wochenmagazins „Valeurs actuelles“. Eine nach dem Gemeinwohl strebende Gesellschaft sei „auf höhere Ziele ausgerichtet und überwindet den Egoismus der individuellen Bedürfnisbefriedigung“. Zum Gemeinwohl gehöre auch die Verteidigung des Lebens von seiner Zeugung bis zu seinem natürlichen Ende, der Primat der natürlichen Familie und der Respekt vor Erziehungsrecht und -pflicht der Eltern.
Bunte Mischung verschiedener Anliegen
„Bei der Auswahl der Projekte achten wir darauf, den Spendern eine möglichst bunte Mischung aus verschiedenen Anliegen zu kredenzen: Sozial-Caritatives, Bildung und Erziehung, Behinderung, Armut, aber auch Kultur und die Wiederaufwertung unseres geistigen und materiellen Erbes sowie der ländlichen Regionen unseres Landes“, so Farrenq. Der Verein „Fertility Care & NaProTechnologie“ Frankreich durfte den Abend mit einer Einnahme von 111 830 Euro verlassen. Seit 2016 helfen die Beraterinnen und Ärzte von „Fertility Care“, Paare mit unerfülltem Kinderwunsch durch sorgfältige Beobachtung des weiblichen Zyklus und Behebung von Fruchtbarkeitsstörungen auf natürliche Weise ein Kind zu bekommen. Der erzielte Betrag dient der Eröffnung eines Ausbildungszentrums in Frankreich, damit Beraterinnen und Ärzte in Zukunft auf Französisch und in Frankreich statt wie bisher in den USA ausgebildet werden können. Sieger der Herzen und der Geldbeutel war „La Maison des plus petits“. Schockierend berichtete die Krankenschwester Violaine Roger von Kleinkindern mit oft mehrfacher Behinderung, die ihren Eltern wegen Misshandlung oder Gefängnisaufenthalt entzogen werden mussten. Diese müssten in Krankenhäusern leben, ohne Bezugspersonen, ohne Ferien, ohne Liebe. Die junge Organisation wird in Marseille ein erstes Haus zur Aufnahme solcher Kinder zwischen 0 und 6 Jahren einrichten, in dem sie fachgerecht betreut werden, aber vor allem ein Zuhause finden. Mit 207 940 Euro wurde bei der Gala das Spendenziel um mehr als das Doppelte übertroffen.
Potenzial für Innovation und Nachhaltigkeit
Auffällig ist das Vokabular, welches die Betreiber der Spendengala im Mund führen. Von „Spendenmarkt“ wird hier gesprochen, „sozialen Unternehmern“, Investoren, Strategie und Business Plan. Auch die Auswahlkriterien für die Projekte ähneln denen von Gründerzentren für Start-Ups. Gefördert werden junge Vereine, die nicht nur in der kirchlichen Soziallehre verwurzelt sind, sondern auch ein hohes Potenzial für Innovation und Nachhaltigkeit aufweisen. Dahinter steht die Überlegung, dass gut gemeint noch nicht gut gemacht ist und auch der kirchliche Non-Profit-Bereich ohne unternehmerisches Denken langfristig nicht auskommt.
Anders als in Deutschland können sozial-caritative und Bildungseinrichtungen auf dem Boden der kirchlichen Soziallehre in Frankreich meist nicht auf die sichere Einnahmequelle der Kirchensteuer zurückgreifen. Wer sich in der breiten Landschaft der Non-Profit-Organisationen behaupten möchte, muss nach den Regeln der freien Marktwirtschaft spielen und mögliche Spender vom tatsächlichen Nutzen, der Effektivität und dem nachhaltigen Erfolg der eigenen Aktivität überzeugen. Großspender sehen ihren finanziellen Einsatz als Investition, bei der sich die Kapitalrentabilität nicht monetär, sondern in gesellschaftlichem Impact misst. Freimütig um Geld für eine gute Sache zu bitten, ist da keine Schande, sondern Gebot der Stunde. Und: Spenden darf auch Spaß machen.
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