Diese Kolumne befasst sich regelmäßig mit Fragen zu Sexualität und Partnerschaft. Am Schluss des Textes können Sie anonym Ihre Fragen einreichen.
Wenn man bis zur Ehe „wartet“, kann es dann nicht schwierig werden, intime Nähe zuzulassen? Wenn wir als Katholiken sagen: „Sexualität gehört in die Ehe“, taucht eine Frage auf: Was, wenn es dann gar nicht geht – wenn Intimität mehr Druck und Angst weckt als Freude? Diese Frage stellen sich manche Paare, die sich auf das Ja-Wort vorbereiten und mit dem Geschlechtsverkehr warten.
Doch es gibt Unterschiede: Für jene mit guter Vorgeschichte vertieft das gelebte „Noch nicht“ die Liebe, ordnet das Begehren und lässt das Eheversprechen reifen. Für jene mit belasteter Geschichte ist allein schon das Wort Sexualität schwierig: Menschen, die Gewalt erlebt haben und deren Körper mit Scham besetzt ist; Menschen mit Beziehungsängsten, die fürchten, von der Nähe des Partners vereinnahmt zu werden; Menschen, die unter einem strengen „Nein“ alle Gefühle unterdrückt haben und vom Kontakt zum eigenen Körper entfremdet sind. Sie gehen der Hochzeit entgegen, wollen alles „richtig“ machen – und spüren doch, wie der Körper blockiert. Ein Kuss kann sich anfühlen wie „verschlungen werden“, eine Berührung Panik auslösen statt Geborgenheit.
Hat die Kirche dafür Worte? Thomas von Aquin kennt nicht nur die Unmäßigkeit, also das „Zuviel“ an Lust, sondern auch das Gegenstück: eine Gefühllosigkeit, die eheliche Gemeinschaft abwehrt. Beide Extreme verfehlen ihr Ziel – dass Mann und Frau sich schenken, leiblich und seelisch. Karol Wojtyla beschreibt Zärtlichkeit als die Fähigkeit, mit und für die ganze Person zu fühlen. Genau das braucht ein verwundeter Mensch vor der Ehe: keinen heimlichen Test, ob „im Bett alles funktioniert“, sondern einen Partner, der spürt, wann es zu viel wird, und mitgeht, wenn der andere nicht weiter kann. Sexualität ist keine Technik, die automatisch klappt, sobald der Trauschein unterschrieben ist. Sie ist eine Sprache, die man Schritt für Schritt lernt. Der Körper verletzter Menschen braucht Zeit: Berührung empfangen, Atmung spüren, Anspannung lösen, Gehaltensein genießen.
Behutsam Wege der Nähe suchen
Für ein Paar, das auf die Ehe zugeht, kann das bedeuten: schon vor dem Ja behutsam Wege der Nähe zu suchen. Eine Umarmung, bei der klar ist, dass nichts folgen muss; eine Hand auf der Schulter; neben-einander sitzen und spüren, wie sich die Wärme des anderen anfühlt. In einer ersten Umarmung den Geschlechtskörper des anderen spüren und die Grenze: Was ist gut und was überfordert? Was löst Nähe aus? Glaube ich, dass der andere meinen Geschlechtskörper achtet – oder fürchte ich, vereinnahmt zu werden? Vorsichtige Annäherung heißt, miteinander zu sprechen, bevor man weitergeht. Nur so entstehen Räume, in denen nichts „passieren“ muss, aber körperliches Vertrauen wachsen kann. Gut sind kleine Rituale: Sich einige Minuten halten, gemeinsam atmen, Schulter oder Rücken sanft massieren. Immer mit dem Fokus: Wie ist es, eine Berührung zu empfangen oder sich körperlich fallen zu lassen? Was entsteht in mir, wenn sich ein schönes Gefühl in meinem Körper ausbreitet?
Manchmal heißt vorsichtige Annäherung: Wir holen uns Hilfe, nicht erst in der Ehe, sondern schon vor dem Ja. Eine geängstigte Sexualität heilt nicht durch fromme Vorsätze, sondern indem man Schritte geht, Vertrauen schafft, Grenzen benennt, und Gott in die Verwundung einlädt.
Sicher: Manche wittern hinter den Empfehlungen Gefahren. Was aber ist, wenn der Körper in der Ehe blockiert? Was, wenn daraus Entzweiung wächst? Es ist essenziell, im schützenden Rahmen der kirchlichen Lehre der Intimität einen Weg zu bahnen, damit das gemeinsame „Ja“ nicht an Schwierigkeiten scheitert. Schließlich will gerade die kirchliche Lehre Schutzraum sein, damit die Liebe wachsen kann.
Der Autor ist Entwicklungspsychologe, Sexualberater und praktischer Theologe.
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