Wie eng Gesundheit, Krankheit und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit zusammenhängen, hat wohl jeder im Zuge der Corona-Pandemie erlebt. Familien mit lebensverkürzend erkrankten Kindern und Jugendlichen befinden sich jeden Tag in dieser Situation. Es ist keine kleine Gruppe, etwa 50.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland gehören dazu. Jährlich sterben etwa 5.000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene an einer lebensbegrenzenden Erkrankung.
Für ihre besonderen Bedürfnisse macht sich seit nunmehr 20 Jahren der Bundesverband Kinderhospiz e.V. (BVKH) stark. Er setzt sich gesellschaftlich dafür ein, eine Öffentlichkeit für das Tabuthema „Kinder und Tod“ zu schaffen und betroffene Kinder und Familien aus dem sozialen Abseits zu holen.
Kinder und Familien aus dem sozialen Abseits holen
Auf Initiative von ambulanten und stationären Kinderhospizen im Jahr 2002 in Olpe gegründet, ist der als gemeinnützige Verein anerkannte Fachverband Ansprechpartner für Politik, Wissenschaft, Ärzte, Kliniken und Kostenträger. In nationalen und internationalen Zusammenhängen vertritt er die Interessen seiner Mitglieder. Außerdem informiert und berät der Verband Betroffene, Interessierte, Fachkräfte, Initiativen und Einrichtungen. Heute sind 20 stationäre und rund 160 ambulante Kinderhospizeinrichtungen in ganz Deutschland für Familien mit schwerkranken Kindern da. Kinderhospizarbeit und Erwachsenenhospizarbeit unterscheiden sich grundlegend voneinander. Während Hospize für Erwachsene einen behüteten Ort in der finalen Lebensphase bieten, begleiten Kinderhospize die lebensbegrenzend erkrankten Kinder und ihre Familien auf dem Lebensweg. Dies beginnt bereits nach der Diagnose einer lebensbegrenzenden Erkrankung und geht über den Tod des Kindes hinaus. Hauptziel ist die Förderung der Lebensqualität der betroffenen Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie deren Familien. Zu den Grundsätzen der Kinderhospizarbeit gehört, dass sie das gesamte Familiengefüge als untrennbare Einheit betrachtet.
Kinderhospize sind für Familien mit unheilbar kranken Kindern ein „zweites Zuhause“, wie es das stationäre Kinderhospiz Bärenherz Leipzig formuliert. Hier erhalten die Eltern bei der Pflege und Betreuung ihres schwer kranken Kindes Unterstützung durch qualifizierte Pflegekräfte sowie eine psychosoziale Begleitung. Auch die Geschwister werden in den Blick genommen, da mit der Diagnose einer lebensverkürzenden Erkrankung der Schwester oder des Bruders auch das Leben der Geschwister ein völlig anderes wird. Das Konzept tut den Familien gut, wie Familie Ortega schildert: „Die Aufenthalte im „Bärenherz“ sind für unsere Familie ganz wertvolle Auszeiten vom anstrengenden Pflegealltag geworden. Während dessen genießen wir es sehr, Robert (dem gesunden Geschwisterkind – Anm. der Redaktion) eine Extraportion Aufmerksamkeit schenken zu können und tanken wieder Kraft für den Alltag.“
Unterstützung im Alltag und in der Krise
Ambulante Kinderhospizdienste unterstützen die betroffenen Familien über die auf das erkrankte Kind bezogene pflegerische und medizinische Betreuung hinaus in der Bewältigung des häuslichen Alltags vor Ort. Die Kinderhospizarbeit fördert die Sicherstellung der palliativen Pflege und palliativ-medizinischen Behandlung und bietet eine umfassende Trauerbegleitung an. Sie koordiniert die medizinisch-pflegerischen und psychosozialen Unterstützungsleistungen im unmittelbaren Lebensumfeld der betroffenen Familien (Case-Management). Auch die Qualifizierung und fachliche Begleitung der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Inhalt der Kinderhospizarbeit.
„Für mich sind die Mitarbeiter von Kinderhospizen die Samariter unserer Zeit“, sagt Dieter Hallervorden, Botschafter des BVKH, zur Kinderhospizarbeit. Er ist Schirmherr des sogenannten OSKAR-Sorgentelefons. OSKAR ist täglich rund um die Uhr unter der kostenlosen Nummer 0800 88 88 47 11 erreichbar. Betroffene können sich auch per Email melden, online mit anderen Familien austauschen oder eine Sozialberatung erhalten. Ausgebildete und erfahrene Fachkräfte aus dem psychosozialen, pflegerischen oder pädagogischen Bereich bieten Begleitung, Stärkung und Unterstützung in Krisensituationen, erläutert Franziska Kopitzsch, Geschäftsführerin des BVKH im Gespräch mit der „Tagespost“. OSKAR richtet sich an alle Menschen, die mit schwerstkranken Kindern und Jugendlichen zu tun haben: die erkrankten Kinder und Jugendlichen selbst, ihre Familien ebenso wie Freunde, Nachbarn oder Betreuer. „Familien können dort ihren Druck, ihre Wut und ihre Trauer loswerden, aber auch ihre Fragen zu verschiedensten Themen in der Kinderhospiz- und Palliativversorgung stellen“, erklärt Kopitzsch. Auch die kostenfreie Sozialberatung, bei der es beispielsweise um Hilfe bei der Durchsetzung von sozialrechtlichen Ansprüchen geht, werde gut angenommen.
Gesellschaftliches Bewusstsein für die Hospizarbeit
Die Finanzierung des Bundesverbands Kinderhospiz e.V. basiert fast ausschließlich auf Spenden, wie aus dem aktuellen Jahresbericht hervorgeht. In Verbindung mit Projekten und mit „viel Liebe und Charme“ versucht der Verband, auf sich aufmerksam zu machen. Er stützt sich dabei auf ein großes Netzwerk, das Kopitzsch‘ Vorgängerin Sabine Kraft in den 18 Jahren ihrer Tätigkeit für den BVKH aufgebaut hat. „Ich wollte, dass das Wort ,Kinderhospiz‘ in Deutschland so bekannt wird wie ,Kindergarten‘“, nimmt Kraft in der Jubiläumsbilanz des Magazins „365 Tage für das Leben“ auf ihre Antrittsrede Bezug. Für ihren Einsatz für die Kinderhospizarbeit wurde Kraft 2019 von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Bundesverdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen. „Das war für mich eine überwältigende Freude, weil es zeigt, wie sehr Kinderhospizarbeit inzwischen gesehen und wertgeschätzt wird“, so Kraft.
Aktuell bereitet der Verband den Kinderlebenslauf 2024 vor, der alle zwei Jahre stattfindet. Im letzten Jahr haben mehr als 3 000 Menschen daran teilgenommen. „Beim Kinderlebenslauf wird in ganz Deutschland eine Fackel von der einen zur nächsten Kinderhospizeinrichtung getragen. Die Art und Weise, wie die Fackel transportiert wird, entscheidet immer die jeweilige Einrichtung. Es darf aber nicht mit dem Auto sein“, erzählt Kopitzsch. Vom Boot über Flugzeug oder Traktor sei schon alles dabei gewesen. Für 2024 wünscht sich Kopitzsch, dass wieder viele Kinderhospizeinrichtungen aktiv mit ihren Familien mitmachen, und auch neue Teilnehmer wie etwa Schulen dazukommen.
Steinmeier: Nicht nur Respekt, sondern Unterstützung für Kinderhospizbewegung
In politischer Hinsicht macht der Verband unermüdlich auf Schieflagen bei der Versorgung lebensverkürzend erkrankter Kinder aufmerksam. So weist er in seinem aktuellen Positionspapier darauf hin, dass betroffene Eltern bei einem Aufenthalt in einem stationären Kinder- und Jugendhospiz kein Pflegegeld mehr erhalten. Diese Regelung verschärft aber die in vielen Familien wirtschaftlich angespannte Situation, bei denen durch die Versorgung des Kindes meist nur ein Elternteil berufstätig sein kann. Für Hilfsmittel, Spezialnahrung und Verbrauchsmittel wie Windeln fallen hohe Zuzahlungen an, und die Aufenthalte im Kinderhospiz finden zur Entlastung der Familien wiederholt, nicht nur einmalig am Lebensende statt.
Daher fordert der Verband eine Weiterzahlung des Pflegegelds in voller Höhe bis zu 28 Tagen im Jahr. Weiter ruft er den Erlass eigenständiger Richtlinien für Kinder und Jugendliche in der außerklinischen Intensivpflege (AKI) in Erinnerung, die der Gesetzgeber zum 31. Oktober 2021 verlangt hatte. Voller Hochachtung würdigt Frank-Walter Steinmeier, ebenfalls Botschafter des Dachverbands, das unentbehrliche Engagement der Kinderhospizbewegung: es verdiene „großen Respekt, aber mehr als das: vor allem nämlich öffentliche Unterstützung".
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