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Wenn das Herz zum Kampfplatz wird

Warum die menschliche Liebe verwundet ist – und wie Gottes treue Liebe unsere Sehnsucht nicht aufgibt.
Verlorener Sohn
Foto: Wikicommons/Verlag für Volkskunst/Eugène Burnand | Durch die Ursünde verliert der Mensch die Freiheit zur Liebe. Doch wie im Gleichnis vom verlorenen Sohn kommt der Vater ihm entgegen, legt ihm im Sakrament der Taufe ein neues Gewand an und schenkt die Kraft zum ...

Im Anfang war Vertrauen. Die Bibel schildert den Menschen in ungebrochener Gemeinschaft mit Gott und in aufrichtiger Verbundenheit zwischen Mann und Frau: „nackt, und sie schämten sich nicht“. In dieser Unbefangenheit war der andere Geschenk, nicht Mittel zum Zweck. Begehren bedeutete: Ich will dir gut sein und mich dir schenken.
Doch ein Flüstern stört die Harmonie. Die Schlange sät Misstrauen: „Hat Gott wirklich gesagt…?“ – mit dem Unterton: „Gott gönnt euch das Glück nicht; nehmt es euch selbst.“ Der Zweifel trifft das Herz. Was zuvor empfangen wurde, soll nun ergriffen werden. Eva sieht die Frucht als „Augenweide“, greift zu – und der Mensch kehrt dem Gott der Liebe den Rücken. Er denkt, er gewinne Freiheit, und verliert die Freiheit der Liebe.

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Die Folgen sind unmittelbar. Adam und Eva erkennen ihre Nacktheit und verstecken sich. Scham tritt an die Stelle der Unbefangenheit; aus Scham wird Angst. Diese Nacktheit ist mehr als fehlende Kleidung – sie ist ein inneres Bloßgestelltsein, der Verlust der Sicherheit, gewollt und angenommen zu sein. Der Blick auf Gott wird verzerrt, der Blick auf sich selbst unsicher. Der Mensch bejaht seinen Leib nicht mehr spontan; er verbirgt ihn und zieht sich zurück.

„Täuschung des Herzens“

Auch die Beziehung zwischen Mann und Frau gerät aus dem Gleichgewicht. Was ursprünglich Ausdruck der Hingabe war, kann nun in Begierde umschlagen: Der andere erscheint als Objekt der Befriedigung. Aus Gegenseitigkeit wird Anspruch, aus Annahme Kontrolle. Johannes Paul II. fasst diese Umkehrung als „Täuschung des Herzens“ zusammen: Der Mensch will lieben, ist aber versucht, zu besitzen. Liebe gibt – Begierde nimmt.

Diese Wunde prägt die Geschichte bis heute. Wir kennen die subtile Versuchung, den anderen für eigene Ziele einzusetzen. So verflacht die Sprache der Liebe zu einer Technik des Konsums. Doch die Sehnsucht bleibt. Tief innen spüren wir: Wir sind zur Liebe geschaffen. Wir suchen Erfüllung in Leistung, Lust, Kontrolle – und werden nicht satt. Ersatzgüter füllen das Herz nicht; sie hinterlassen Leere, die oft mit neuen Ersatzgütern gefüllt wird – ein Kreislauf, der selten zum Ziel führt.
Die Bibel und die Erfahrung nennen eine Ursache: Der Zweifel an der Güte Gottes zerstört zuerst das Vertrauen, und ohne Vertrauen bricht die Fähigkeit zur Hingabe. Statt zu empfangen, greifen wir. Statt uns zu schenken, sichern wir uns ab. Das Herz wird zum Kampfplatz zwischen Liebe und ihrer Karikatur. Nicht alles, was sich Liebe nennt, ist Liebe; Begierde tarnt sich als Freiheit, Egoismus als Selbstbestimmung.

Der Mensch verliert die unbefangene Freundschaft mit Gott; die sichtbare Welt wird fremd und bedrohlich. Auch das Selbstbild leidet: Wer sich nicht als gewollt erlebt, kann sich nur schwer verschenken. Jesus legt den Finger auf die Wunde, wenn er vor dem „Ehebruch im Herzen“ warnt (Mt 5,28): Nicht erst die Tat, schon der Blick, der Gedanke, kann den anderen zum Objekt machen. Diese Wahrheit spricht Jesus an, wenn er sagt: Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Innern schon Ehebruch mit ihr begangen. Doch Christus klagt unser Herz nicht an, er spricht es an und öffnet den Weg zu echter Freiheit – und zu einem neuen Blick auf sich selbst.

Gerade hier setzt Hoffnung an. Gott gibt den Menschen nicht preis. Noch im Garten Eden bekleidet er Adam und Eva und macht ihnen ein Gewand aus Fellen – ein erstes Zeichen seiner Barmherzigkeit. Von nun an zieht sich ein roter Faden durch die Geschichte: Gott sucht den Menschen, der sich vor ihm verbirgt; er ruft, begleitet, vergibt. Prophetische Stimmen werben um das Herz, und schließlich kommt an Weihnachten Gott selbst in Jesus Christus, um den Riss zu heilen, den wir nicht aus eigener Kraft schließen können.
Jesu Gleichnis vom barmherzigen Vater macht dies greifbar. Der Sohn, der sein Erbe verspielt hat, kehrt zurück; der Vater läuft ihm entgegen, umarmt ihn, legt ihm ein neues Gewand an, steckt ihm den Ring an – das Zeichen, dass er wieder Sohn ist. So handelt Gott: Er stellt nicht bloß, er stellt wieder her. In der Taufe legt er uns das Gewand seiner Gnade an; in der Versöhnung erneuert er es. Gnade löscht nicht die Geschichte aus, sie verwandelt sie – und schenkt die Kraft zu einem neuen Anfang.

Was bedeutet das konkret? Heilung beginnt nicht im Gefühl, sondern in der Wahrheit. Wer sich selbst, seine innere Haltung, seine Blicke prüft, gewinnt Freiheit. Der Leib ist nicht Gegner, sondern Ort der Berufung – Ort, an dem Liebe sichtbar oder verfälscht wird. Der Weg ist ein Prozess. Entscheidungen, kleine Entscheidungen zur Treue, langsames Reifen – so lernt das Herz, sich wieder zu verschenken, und widersteht der Versuchung, den anderen zu gebrauchen.

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Gott stellt nicht bloß

Dieser Weg ist keine Last, sondern eine Befreiung. Wo das Vertrauen in Gottes Güte wächst, verliert die Begierde an Reiz; wo die Würde des anderen gesehen wird, schrumpft der Impuls, ihn zu besitzen. Liebe wird möglich, weil sie nicht allein auf unserer Leistung ruht, sondern auf einer geschenkten Wahrheit: Du bist gewollt, geliebt und berufen.
Darum endet die biblische Geschichte nicht im Exil, sondern in der Verheißung. Gott verspricht ein „neues Herz“ (Ez 36,26) – kein Ersatzteil, sondern die Wiederherstellung der inneren Ordnung. So wird das Herz, das zum Kampfplatz wurde, zur Wohnstatt der Liebe. Vertrauen wächst, Angst weicht, und der Blick wird klar und rein. Die alte Lüge verliert ihre Macht, weil eine größere Wahrheit den Raum erfüllt – und diese Wahrheit ist eine Person: Christus selbst. Der Advent lädt ein, ihm Raum zu geben und den Weg in unseren Herzen für ihn zu bereiten.


Der Autor ist Studienleiter des Studiengangs Theologie des Leibes und Mitarbeiter der Initiative Christliche Familie.

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