Als ob Familien nicht andere Probleme hätten. Aufgrund einer Vereinbarung der Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD aus dem Jahr 2017 soll bis zum Ende des Jahres ein Gesetzestext formuliert sein, der Kinderrechte explizit in die Verfassung bringt.
Wer ist der Anwalt der Kinder: die Eltern oder der Staat?
In der Diskussion ist das Argument nicht mehr zu überhören: Kinderrechte drohen gegen Elternrechte ausgespielt zu werden, denn die Menschenrechte sind eindeutig im Grundgesetz geregelt und da Kinder auch Menschen sind, sind diese inkludiert. Auch die Fragen, die aus diesem Vorhaben auftauchen, sind ungeklärt: Wer ist der Anwalt der Kinder? Wer vertritt die Kinder? Bislang die Eltern, künftig der Staat? Aus Kitarecht könnte bald Kitapflicht werden – die Altersgrenze beliebig verschiebbar.
Der ohnehin schon lange Arm von Vater Staat würde sichtbar länger. Bisher ist das Verhältnis Eltern–Staat zwar konfliktreich, aber halbwegs intakt, weil generell Eltern die Verantwortung sowie die Haftung für ihre Kinder übernehmen. Die Familie wurde allgemein – weniger in den Medien und in der Politik – als Einheit betrachtet, als schützendes Nest, als ein Ort, wo man füreinander einsteht. Das war auch im kollektiven Bewusstsein so. „Eltern haften für ihre Kinder“, hieß es.
Da klingt auch ein uneingeschränkter Vertrauensvorschuss der Eltern an ihre Kinder mit! Das Vertrauen der Kinder in ihre Eltern wird hingegen seit Jahren durch Staat, Schule, Erziehungsstätten und Jugendämter schleichend ausgehöhlt. Möglicherweise lautet die Devise bald: „Kinder lassen ihre Eltern verhaften.“ Erste Anzeichen erleben Familien bereits, wie folgende Beispiele zeigen:
„Mutti, das ist Kinderarbeit. Und Kinderarbeit ist verboten.“
Die Mutter, stolz darauf, ihren siebenköpfigen Familienhaushalt gut organisiert zu haben, bittet ihre neunjährige Jüngste: „Marie, du hast diese Woche Spülmaschinendienst. Bitte räum den Geschirrspüler noch aus, bevor du zum Training gehst.“ Die Tochter kontert widerborstig: „Mutti, das ist Kinderarbeit. Und Kinderarbeit ist verboten. Das haben wir in der Schule gelernt.“ Es entspinnt sich eine längere Diskussion. Die Mutter wundert sich über den Widerstand und die generell steigende Diskussionsbereitschaft ihrer Jüngsten, die es zunehmend schwieriger macht, Bitten zu äußern, Anweisungen zu geben, Verbote zu rechtfertigen und überhaupt Erziehung zu leisten.
Den Familienalltag erschweren auch vermehrte Forderungen der Heranwachsenden an ihre Eltern, wie zum Beispiel der Anspruch auf ein neues Handy, weil das eigene veraltet sei. Der zehnjährige Tobias erklärt seinen Eltern, dass es Kinderrechte gäbe, das habe er in der Schule gelernt. Aus tiefster Überzeugung versichert er, dass das Recht auf ein Handy dazugehöre.
Wo früher konsequente Entscheidungen der Eltern akzeptiert wurden, quälen sich heute Familien mit Endlosdiskussionen. Eine Mutter erzählt, dass ihr Sohn neulich die Telefonnummer der Polizei wählte, weil er gegen das verhängte Handyverbot vorgehen wollte. Er habe ein Recht auf Handynutzung. Außerdem sei er sich nach Überlegungen mit einem Freund einig, dass Kinder ab zehn Jahren ein Handy verantwortlich zugestanden werden solle.
„Jedes Kind hat das Recht auf Beteiligung in allen Angelegenheiten, die es betreffen. Seine Meinung ist entsprechend seinem Alter und seiner Entwicklung in angemessener Weise zu berücksichtigen. Die staatliche Gemeinschaft achtet, schützt und fördert die Rechte des Kindes und trägt Sorge für kindgerechte Lebensbedingungen.“
Ausschnitt aus dem Gesetzesentwurf der Fraktion der SPD zur Änderung des Art. 6 Grundgesetz vom 23.04.2017; Drucksache 17/13223.
Er könnte sich künftig auf folgenden Passus berufen: „Jedes Kind hat das Recht auf Beteiligung in allen Angelegenheiten, die es betreffen. Seine Meinung ist entsprechend seinem Alter und seiner Entwicklung in angemessener Weise zu berücksichtigen. Die staatliche Gemeinschaft achtet, schützt und fördert die Rechte des Kindes und trägt Sorge für kindgerechte Lebensbedingungen.“ (Ausschnitt aus dem Gesetzesentwurf der Fraktion der SPD zur Änderung des Art. 6 Grundgesetz vom 23.04.2017; Drucksache 17/13223). Wer sollte zum Beispiel nach diesem Gesetz nun entscheiden, wann ein Kind die nötige Reife für ein eigenes Handy besitzt? Das Kind, die Eltern oder der Staat? Es steht zu befürchten, dass Zusätze im Grundgesetz eher das Leben verkomplizieren.
Familien werden der Willkür des Staates ausgeliefert
Als übergriffig kann schon heute der Sexualkundeunterricht mancher Lehrer betrachtet werden, weil jede Mutter, jeder Vater andere Toleranzgrenzen und Maßstäbe und vor allem jedes Kind andere Schamgrenzen hat. Neulich erzählte ein Vater, dass es in der Sexualfragestunde der Schule keine Tabus gab und keine Schülerfrage offen blieb. Erstaunt musste dieser Papa feststellen, dass sein Kind bereits in der vierten Klasse über Begriffe und Sexualpraktiken besser informiert war, als er selbst im frühen Erwachsenenalter. Da muss die Diskussion erlaubt sein, wie weit die Aufklärung von Kindern gehen soll/darf und wie weit Eltern das Eingreifen der Lehrer in ihre Erziehungsarbeit dulden müssen.
Grundsätzlich kann man beobachten, dass die neue Lehrer- und Erziehergeneration offenbar angeleitet wird, mehr auf die Bedürfnisse, Gefühle und Aussagen von Kindern zu achten. So weit, so gut. Nur wer zieht die Grenze zwischen Privatsphäre im Elternhaus und Schule? Meist wird mit vernachlässigten Kindern und der Pflicht des Staates, darauf ein Auge zu haben, argumentiert. Auch gut, obwohl dies in der Praxis nicht immer gut funktioniert, wie dramatische Verläufe von Kinderschicksalen zeigen, die bereits unter der Obhut von Jugendämtern standen, denen aber doch nicht geholfen wurde. Besteht nicht vielmehr die Gefahr, dass noch weitere Zugriffsrechte des Staates die Familien mehr und mehr der Willkür des Staates ausliefern?
Kinder müssen Position beziehen: Gegen Lehrer oder Eltern
Während eines Elternabends zum Ganztagsangebot in der Grundschule sagte eine junge Lehrerin schwärmerisch: „Wir leben hier Familie.“ „Nein!“, merkte mein Mutterherz auf. „Familie findet zu Hause statt. Das hier ist nur die Schule.“ Es mag ja durchaus Kinder geben, die kein Nest zuhause haben, aber das ist längst nicht die Mehrzahl. Auch wenn die politischen Bestrebungen im letzten Jahrzehnt massiv darauf hingewirkt haben, die Mütter möglichst bald nach einer Geburt zur Erwerbsarbeit außer Haus zu schicken und somit von der Familie zu entfernen, so schaffen die meisten Eltern es dennoch, Familie zu leben.
Es drängt sich der Verdacht auf, dass das Mitreden und Einmischen von Lehrern und Erziehern in die Elternarbeit ein weiteres Werkzeug zur Entzweiung der Familie wird. Sicher ist eine gute Zusammenarbeit zwischen Elternhaus und Schule richtig und wichtig. Im Einzelfall gut gemeint, kann es doch Zwietracht säen, wenn ein Lehrer, der zweifelsohne auch Bezugsperson für seine Schüler ist, gegenüber dem Schüler die Kompetenz der Eltern in Frage stellt.
Es kommt immer wieder vor, dass Themen in der Schule kontrovers zum Elternhaus diskutiert werden – auch Erziehungsfragen. Das Kind sitzt dann zwischen den Stühlen und muss Position beziehen. Entweder gegen den Lehrer oder gegen die Eltern. Das gibt dem Kind zugleich eine gewisse Machtposition. So wie es Eltern gibt, die bei der kleinsten Beschwerde ihres Nachwuchses beim Lehrer vorstellig werden, um für das Kind Partei zu ergreifen, gibt es auch Lehrer, die bei Kindern, die über ihr Elternhaus jammern, vorschnelle Schlüsse ziehen und meinen, tätig werden zu müssen.
Spaltung und Rivalität durch die geplante Grundgesetzänderung
So wurde neulich eine Mutter zum Elterngespräch bestellt, weil der Sohn in der Schule erzählt habe, der ältere Bruder habe ihn grundlos geschlagen und getreten. „Sie müssen verstehen, ich bin verpflichtet, solchen Aussagen nachzugehen“, erklärt die Pädagogin der erstaunten Mutter. Gottlob kann die Mutter schlüssig aufklären, dass es sich um normale Balgereien unter Geschwistern gehandelt hatte. Aber was, wenn die Mutter nicht so eloquent ist? Was, wenn die Lehrerin Notizen dazu macht und das Kind bald darauf mit einer Beule – zugezogen vom Fußballspiel – in die Schule kommt? So dankbar man für aufmerksame Lehrer sein mag, so sehr ist aber auch Überwachung durch den Staat zu fürchten. Würden Lehrer heutzutage merken, wenn sie für solche Zwecke von ihrem Dienstherren missbraucht würden?
Man lasse die Kirche im Dorf: Erziehung gelingt in den meisten Familien immer noch gut und man darf diesen Eltern zunächst unterstellen, dass sie liebevolle und erfolgreiche Erziehungsarbeit leisten, die sich fruchtbar und damit auch gesellschaftlich stabilisierend auswirkt. Früher und zwar vor nicht allzu langer Zeit waren Eltern, Lehrer und Ärzte gleichermaßen Respektpersonen, die in gegenseitigem Vertrauensverhältnis zum Wohl der Kinder zusammenwirkten.
Heute beäugt man sich oft gegenseitig sehr kritisch. Das trägt zur Verunsicherung auf allen Seiten bei und besonders bei den Kindern. Diese wiederum wissen solche Unsicherheit clever zu ihrem vermeintlichen Vorteil auszunutzen. Die geplante Grundgesetzänderung könnte einer Spaltung und Rivalität ausgerechnet jener Menschen Vorschub leisten, die sich von Herzen um das Wohl unserer Kinder sorgen. Das umso mehr, als diese Änderung völlig unnötig ist. Es sei denn, man wolle aus ideologischen Gründen die Familie abschaffen oder gefügig machen. Eine Hilfe ist diese Änderung jedenfalls nicht.
Hinweis
Der Verein „Durchblick“ hat eine Broschüre „WENDEPUNKT“ zum Thema Kinderrechte vorgelegt, die Argumente an die Hand gibt, warum eine zusätzliche Verankerung von Kinderrechten in der Verfassung überflüssig, sogar kontraproduktiv ist. Die Broschüre wird an Bundestagsabgeordnete, Familienverbände und Journalisten verteilt.
Zu beziehen bei Durchblick e.V.: info@verein-durchblick.de, Tel: (0 72 51) 35 91 81
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