Die Vertragsstaaten bemühen sich nach besten Kräften, die Anerkennung des Grundsatzes sicherzustellen, dass beide Elternteile gemeinsam für die Erziehung und Entwicklung des Kindes verantwortlich sind. Für die Erziehung und Entwicklung des Kindes sind in erster Linie die Eltern verantwortlich. Dabei ist das Wohl des Kindes ihr Grundanliegen.“ (Artikel 18, UN-Kinderrechtskonvention, Verantwortung für das Kindeswohl) Die UN-Kinderrechtskonvention formuliert sehr deutlich drei wichtige Anliegen: Erstens sollen sich beide Elternteile gemeinsam um die Erziehung der Kinder kümmern, zweitens sind in erster Linie die Eltern verantwortlich für die Erziehung und nicht eine Institution (außer in Notsituationen) und drittens muss das Kindeswohl im Vordergrund stehen. Drei Forderungen, die in der Diskussion um außerhäusliche Kinderbetreuung, ganz besonders der Unter-Dreijährigen, zu Gunsten der Anliegen der Wirtschaft in den Hintergrund getreten sind.
Zur Illustrierung der Wichtigkeit von achtsamer Kinderbetreuung von Unter-Dreijährigen sei ein kleiner Exkurs in die Bindungsforschung erlaubt. Der britische Pionier der Bindungsforschung Edward John Bowlby hat die Theorie entwickelt, dass der Säugling sich mit seinem angeborenen Verhaltensrepertoire im ersten Lebensjahr die Nähe seiner Bezugsperson sichert, zu welcher er ein interaktives Bindungssystem aufbaut. „Das Bindungsverhalten zeigt sich insbesondere im Suchen der Bindungsperson, im Weinen, Nachlaufen, Festklammern an derselben und durch Protest, Ärger, Verzweiflung und Trauer sowie emotionalen Rückzug und Resignation beim Verlassen-werden.“ Diese Bindungstheorie besticht vor allem durch die hohe Vorhersagbarkeit der Stabilität der Bindungsqualitäten vom ersten Lebensjahr auf spätere Lebensphasen. Dem folgend klassifiziert die Verhaltensbiologin Dr. Gabriele Haug-Schnabel das Alter von 12-18 Monaten als besonders schwierig, um mit einer Fremdbetreuung zu beginnen, da zu dieser Zeit der primäre Bindungsprozess noch im Gang ist; sie erachtet einen Betreuungsbeginn nach dem 24. Lebensmonat als am kindgerechtesten.
Kinderbetreuungs-Ampel: ein sinnvolles Hilfsmittel
Eine wichtige Hilfestellung für Eltern hat Serge Sulz, Vize-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychotherapie, auf Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse entwickelt. Im Leitfaden „Kinderbetreuungs-Ampel“ ist überblicksartig nach den Ampel-Farben rot, gelb und grün aufgelistet, welche Form einer institutionellen Betreuung für kleine Kinder geeignet, oder weniger bis gar nicht zu empfehlen ist, weil sie die Kinder überfordert. Der Leitfaden kann unter www.familie.at (Homepage des Katholischen Familienverbandes Österreich) heruntergeladen werden.
Die bekannte österreichische Familientherapeutin Martina Leibovici-Mühlberger, Ärztin, Erziehungscoach und Mutter von vier Kindern, sieht die Ampel als überaus praktikables Instrument: „Die Gesellschaft wünscht sich, dass unsere Kinder zu starken, erfolgreichen Menschen heranwachsen. Umfassende neurobiologische Studien zeigen, dass für die Ausbildung eines leistungsstarken Motivations- und Stresssystems die Qualität der frühkindlichen Betreuung maßgeblich ist. Wenn wir uns an den tatsächlichen Bedürfnissen unserer Jüngsten orientieren, ihrem Wunsch nach ruhiger Geborgenheit und einem stufenweisen Ausschwärmen in den Sozialraum, sind wir für diese Zielsetzung mit der Ampel gut beraten.“ Und die legendäre Familienexpertin und Philosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz bringt es auf den Punkt: „Wie es einen Artenschutz für Pflanzen und Tiere gibt, sollte man auch über einen Artenschutz für Kinder nachdenken. Das Ampelmodell ist dafür eine sichtbare und vernünftige Hilfe.“
Mehr Freiheit in der Wahl der Betreuungsformen
Und schließlich findet auch der Neurowissenschaftler, Psychiater und Vater von fünf Söhnen, Raphael M. Bonelli sehr klare Worte zur Fremdbetreuung von Unter-Dreijährigen: „Die Kinderbetreuungs-Ampel ist durch die Pionierarbeit der Kollegen Sulz, Walter und Sedlacek wissenschaftlich äußerst valide und fasst die Datenlage dessen, was Kinder brauchen, ausgezeichnet zusammen. Insofern unterscheidet sie sich in erfrischender Weise von den ideologiegesteuerten Fremdbetreuungsexzessen, die sich weder um Forschungsergebnisse noch um das Wohl der Kinder scheren. Kinder brauchen in den ersten 30 Monaten die Nähe ihrer Eltern – ganz besonders ihrer Mutter – und nicht die Betreuung von unbeteiligten, wechselnden Professionisten. Die Kinderbetreuungs-Ampel bietet so einen lebensnahen Leitfaden für eine gute Erziehung und eine glückliche Kindheit.“
Der deutsche Verband „Familienarbeit e.V.“ fordert ein Elterngeld, das die elterliche Kindererziehung und -betreuung als eigenständige Leistung anerkennt und honoriert. Nur so erlangen die Eltern eine echte Wahlfreiheit in der Entscheidung, ob sie das Geld als Lohn für erbrachte Kindererziehung und -betreuung behalten oder es zur Bezahlung von Fremdbetreuung einsetzen, so die Familienlobbyisten.
In Österreich haben Eltern Anspruch auf das Kinderbetreuungsgeld, das in den verschiedensten zeitlichen Varianten bis zum dreißigsten Monat des Kindes unabhängig vom vorangegangenen Erwerbsstatus der Mutter ausbezahlt wird. Für Mütter, die vor der Geburt außerhäuslich erwerbstätig waren, ist ein einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld vorgesehen, das ein Jahr lang konsumiert werden kann und bis zu 2000 Euro monatlich beträgt. Es stellt aber Eltern spätestens ab dem ersten Geburtstag des Kindes vor das Problem einer Kinderbetreuung, will die Mutter nicht ihren Job verlieren. Neben dem breiten Angebot an Kinderkrippen mit allen damit verbundenen Problemen, wie der Gruppengröße, wechselnden Bezugspersonen und unflexiblen Öffnungszeiten, stehen – leider oft nur theoretisch – weitere Optionen zur Verfügung. Genannt seien hier beispielsweise Tageseltern, „Leihomas und -opas“, Babysitter und Aupair-Mädchen.
Betreuung zu Hause ist oft zu teuer
Für Kleinkinder am meisten gefragt ist eine Betreuung, die zu Hause in der gewohnten Umgebung des Kindes stattfindet. Kindermädchen sind hierbei die teuerste Variante, besonders in Österreich, da Nannys dem Hausangestelltengesetz aus dem (tatsächlich) vorigen Jahrhundert mit 99 Varianten, nach denen sich die Bezahlung richtet, zugeordnet werden, wie zum Beispiel: Füttert die Nanny auch das Kind oder bereitet sie „nur“ die Milchflasche für die Mutter vor? Füttern bedeutet einen höheren Lohn. Und nicht nur das, Hausangestellte erhalten in Österreich bei Vollanstellung 15 Monatsgehälter jährlich. Dass diese Form der innerhäuslichen Kinderbetreuung ausschließlich sehr vermögenden Eltern vorbehalten bleibt, ist evident. Aber auch Aupair-Mädchen sind in Österreich zum Luxus geworden. Anders als in Deutschland, wo ein Aupair für 80 Euro Taschengeld der Familie wöchentlich 30 Stunden bei der Betreuung der Kinder und im Haushalt helfen muss, arbeiten die Mädchen in Österreich nur 18 Stunden pro Woche und müssen geringfügig beschäftigt werden, mit dem Höchstsatz von heuer 485,85 Euro. Und sie unterliegen ebenfalls dem Hausangestelltengesetz mit 15 Monatsgehältern. Bleibt noch die mobile Tagesmutter, die es in Österreich praktisch nur auf dem Papier gibt, weil Tageseltern in ihrer eigenen Wohnung betreuen, sowie sogenannte „Leihomas“, die sich aber immer am Rand der Legalität bewegen, da sie eigentlich ebenfalls nach dem Hausangestelltengesetz beschäftigt werden müssten.
Tatsache ist, dass weder in Deutschland noch in Österreich die Kinderbetreuung zu Hause, sei es von den Eltern selbst oder zugekaufter Betreuung, gefördert wird. Im Gegenteil, es werden frisch-fröhlich Kitas gebaut, obwohl das Personal fehlt, anstatt die Familien in ihren Bedürfnissen zu hören und das Kindeswohl der Unter-Dreijährigen in den Fokus zu stellen.
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