Pandemie

Mehr Home als Office?

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geriet durch die Corona-Krise in den Stresstest.
Vor allem Frauen geraten angesichts der Corona-bedingten Homeoffice-Regeln unter Druck.
Foto: dpa | Vor allem Frauen geraten angesichts der Corona-bedingten Homeoffice-Regeln unter Druck.

Heute schon gezoomt, geskypt oder ein Meeting – niemals Besprechung sagen, das ist nicht cool – über Google abgewickelt? Gleichzeitig die Homeschooling-Aufgaben der Sprösslinge kontrolliert, die Waschmaschine eingeschaltet und den Kühlschrank nach Essbarem durchforstet? Seit Mitte März vergangenen Jahres hat sich der Alltag in Familien drastisch verändert.

Zurzeit wird zwar wieder so etwas wie Normalität versucht, die Schulen haben wieder geöffnet und die Homeofficer besuchen wieder tageweise – überwiegend erleichtert und glücklich, dem familiären Chaos zu entfliehen – ihr Büro. Dort gibt es nämlich echte Mittagspausen, und der Besuch der Toilette ist in der Regel auch ohne Hämmern von kleinen Kinderfäusten an der Türe möglich. Wie sich die nächsten Monate allerdings angesichts neuerlich steigender Corona-Zahlen entwickeln werden, ist nicht wirklich prognostizierbar.

Deutschlands Bundesgesundheitsminister Jens Spahn stellt schon die Rute ins Fenster, mit der Ankündigung von strengerer Maskenpflicht und eventuellem Wechselunterricht. Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz wiederum schließt einen neuerlichen totalen Lockdown kategorisch aus. Ungeimpfte haben allerdings mit drastischen Einschränkungen ihres Lebens zu rechnen.

Zwischen Schnuller, Windeln und Laptop

So gesehen macht es Sinn, sich mit dem Familienalltag und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie in den zurückliegenden 18 Monaten zu beschäftigen. Die HR (Human Resources) Beauftragte eines führenden Mobilfunkanbieters bringt es so auf den Punkt: „Am Beginn des Lockdowns waren noch alle bei Zoom-Meetings entzückt, wenn kleine Windelträger durchs Bild gewackelt sind und wahlweise Mama oder Papa ihnen Schnulli angeboten haben, während die neuesten Umsatzzahlen besprochen wurden. Mittlerweile werden Besprechungen in Schlafenszeiten von Kleinkindern gelegt oder erwartet, dass es eine Betreuung für den mitteilungsbedürftigen Nachwuchs gibt.“

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Fakt ist, dass Homeoffice nicht von der Notwendigkeit einer (Klein)kindbetreuung zu Hause entbindet. Eine qualitative Längsschnittstudie „Corona: Arbeit und Care“ im Auftrag der Österreichischen Arbeiterkammer (AK), gibt Einblicke in die Lebenssituation von 32 Eltern mit Kindern im Kindergarten- und Schulalter in Österreich während der Ausbreitung des Coronavirus. Diese wurden zu neun unterschiedlichen Zeitpunkten zwischen März und Dezember 2020 befragt.

Eine harte Zeit

O-Ton von befragten Eltern: „Es kommt jetzt eine harte Zeit, wir sind zuhause, wir haben ein Familienleben, wir haben genau das, wie wenn Ferien wären, nur halt irgendwie mit der Aufgabe, dass wir Sachen erledigen müssen für die Schule.“ Und: „Man kann der Illusion natürlich entsagen, dass man da hundert Prozent arbeitseffektiv ist und gleichzeitig die Kinderbetreuung – also das ist de facto sicher nicht möglich. Gut bist du wahrscheinlich, wenn du auf überhaupt fünfzig Prozent Arbeitsleistung kommst.“

Die österreichische Gewerkschafterin Korinna Schumann äußert sich besorgt über die Situation von Frauen nach den langen Monaten des Lockdowns: „Die Frauen sind am Limit. Sie haben über lange Zeit hinweg einen massiven Mehraufwand stemmen müssen. Der Druck ist mittlerweile enorm. Frauen brauchen nun dringend Entlastung – es ist Zeit zu handeln.” Die Corona-Pandemie hat nicht nur den Familienalltag neu geprägt, sondern auch den Arbeitsalltag.

Viele Betriebe haben auf Kurzarbeit umgestellt, was teilweise zu finanziellen Einbußen führte, oder überhaupt ihren Betrieb stillgelegt. Angst vor der (finanziellen) Zukunft und die neue Qualität des Familienlebens – 24 Stunden in teilweise beengtem Raum Zusammensein – hat verständlicherweise zu Konflikten geführt. Laut Arbeiterkammer lebt in Österreich jedes fünfte Kind in beengten Wohnverhältnissen.

Der Küchentisch als Home-Arbeitsplatz

Die anfängliche Homeoffice-Euphorie ist also ziemlich schnell einer Ernüchterung gewichen. Ab und zu am Laptop zu Hause E-Mails checken, das ist nicht mehr. Homeoffice heißt im Lockdown einen Vollarbeitsplatz im Büro zu ersetzen. Dazu haben die meisten Haushalte weder die technische Ausrüstung noch in der Regel die Platzkapazitäten.

Cristina C. sagt: „Wir haben sechs Kinder im schulpflichtigen Alter, und nur zwei Laptops. Wenn mein Mann ein Zoom-Meeting hat und gleichzeitig die Schulen Distance Learning praktizieren, bricht regelmäßig die Internetverbindung zusammen. Wenn dann noch der älteste Sohn eine Onlineprüfung im Rahmen seines Studiums zu absolvieren hat, muss er ins Büro seiner Mutter ausweichen, in dem ohnehin Lockdown ist.“

Doppelter Fernunterricht

Besonders spannend ist der Familienalltag mit Fernunterricht, wenn die Mutter Lehrerin ist und „fernunterrichtet“, während der kleine Sohn daneben sitzt und seine Stunden via Bildschirm abarbeiten muss. Da kommt es dann zu solchen Dialogen: „Mama, ich habe nicht verstanden, was die Lehrerin gesagt hat!“ Die Mutter und gleichzeitig Lehrerin: „Moment Kinder, lest den Text, ich muss meinem Sohn etwas erklären, was er im Fernunterricht nicht versteht.“ Es geht leise die Türe auf, die kleine Schwester (ein Kindergartenkind) lugt vorsichtig beim Türspalt herein: „Mama, wann bist du fertig, ich habe so Hunger!“

Eines der größten Probleme im Homeoffice ist, dass die räumlichen und zeitlichen Grenzen zwischen Arbeit und Familie verschwinden. Der Küchentisch wird zum Schreibtisch, das Wohnzimmer zum Spielplatz und das Kinderzimmer zum Home Meeting Room.

Eltern ersetzen Lehrer

Fast jeder, der mit seinen Kindern vor Corona für diverse Tests und Prüfungen gelernt hat, weiß, wovon ich schreibe. Voll Motivation wird das Vokabelheft aufgeschlagen, die ersten Wörter abgefragt. Spätestens nach dem Zweiten: „Diese Vokabeln können wir auslassen, die brauchen wir nicht.“ – „Wieso stehen sie dann im Heft?“ – „Keine Ahnung!“ Resignatives Kopfschütteln meinerseits. Abgang! Nicht so beim Homeschooling, denn da müssen Eltern praktisch die Lehrer ersetzen. Da können Eltern nicht auf die Autorität von Lehrern hoffen. Dass sich viele Eltern da heillos überfordert fühlen, beweist auch eine Studie, die von Prognos im Auftrag des deutschen Familienministeriums durchgeführt wurde. Nur 19 Prozent der Befragten trauen sich zu, Kita und Schule ersetzen zu können. 43 Prozent der Eltern erwarten auch tatsächlich langfristig Nachteile durch Homeschooling.

Familienbewusste Unternehmen auf dem Vormarsch

Das bestätigt eine von Professor Andreas Frey geleitete Studie der Frankfurter Goethe-Universität: „Die durchschnittliche Kompetenzentwicklung während der Schulschließungen im Frühjahr 2020 ist als Stagnation mit Tendenz zu Kompetenzeinbußen zu bezeichnen und liegt damit im Bereich der Effekte von Sommerferien.“

So hart der Alltag zu Hause war und ist, so sehr haben Unternehmen ihre Einstellung zur Familienfreundlichkeit überdacht. „Die Corona-Pandemie hat in vielen Unternehmen dazu geführt, ein neues Bewusstsein für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu entwickeln. So sind 88 Prozent der Unternehmen mit ihrer Entscheidung zufrieden, in der Krise vereinbarkeitsfördernde Maßnahmen eingeführt oder ausgeweitet zu haben.“ Zu diesem Ergebnis kommt die repräsentative Studie „Aus der Corona-Krise lernen: Erfahrungen und neue Impulse für die betriebliche Vereinbarkeitspolitik“ der Prognos AG im Rahmen des Unternehmensprogramms „Erfolgsfaktor Familie“.

41 Prozent der Unternehmen haben im Laufe der Krise Homeoffice ausgeweitet oder neu eingeführt. Nachhaltigkeit hat dabei Priorität: Rund zwei Drittel der Unternehmen (65 Prozent) möchten ihr Angebot vereinbarkeitsfördernder Instrumente auch nach der Krise beibehalten.

Ein Tag im echten Büro

In zwei von drei Unternehmen sind durch die Corona-Pandemie Ansätze entstanden, die aus Sicht der Personalverantwortlichen und der Geschäftsführungen weiterverfolgt werden sollten. 78 Prozent der Unternehmen sprechen sich für eine aktive Vaterschaft und gegen eine Re-Traditionalisierung der Elternrollen aus. An sich sehr erfreuliche Ansätze zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die aber nicht die neuen Anforderungen im Homeoffice lösen. Und ab und zu ist ein familienfreier Tag im „real“ Office nicht zu verachten – ja fast wie Urlaub.

Die Autorin ist fünffache Mutter und fünffache Großmutter, Chefredakteurin des Familienmagazins „Family Extra“ und Geschäftsführerin des Vereins „Family Business“.

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