Ehe und Partnerschaft

Lebensprojekt Liebe

Liebe ist eine Fähigkeit, die erlernt und trainiert werden kann. Fünf Prinzipien sind dabei handlungsleitend.
Ein Ehepaar blickt auf die See. Was macht Beziehungen langfristig stark?
Foto: Mauro Grigollo (www.imago-images.de) | Ein Ehepaar blickt auf die See. Was macht Beziehungen langfristig stark?

 Wie ein Adler zum Fliegen geschaffen ist, so ist es der Mensch für die Liebe. Wie tief diese Sehnsucht in unser Wesen eingeprägt ist, zeigt sich, wenn uns die Schönheit der Liebe erhebt, aber auch, wenn uns ein Mangel an Liebe niederdrückt oder wir auf einen Irrweg geraten, der in die Leere führt oder sogar alles zerbrechen lässt. Der Mensch hat die Freiheit, sich der Liebe immer wieder zu öffnen. Er ist frei, Lieblosigkeit mit Liebe zu füllen und in der Liebe zu wachsen. Liebe ist eine Fähigkeit, die erlernt werden kann. Wie eine Art Kompass können einige Prinzipien dabei helfen, daraus ein Lebensprojekt zu machen.

Prinzip 1: Mut zur Wahrheit über sich selbst. Nehme ich mich selbst an? Verspüre ich inneren Frieden? Oder ist in mir ein Defizit, das permanent gestillt werden will? Vielleicht geht es mir im Moment in erster Linie um das, was ich erwarte, will, brauche? Indem ich dominiere, kontrolliere, manipuliere, möchte ich „Liebe“ vielleicht sogar erzwingen. Die andere Person wird so „Mittel zum Zweck“– ob es mir bewusst ist oder nicht. Der andere wird benutzt und mich kettet es dabei an mich selbst. 

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Die Entscheidung, wer man sein möchte, liegt bei einem selbst

Auch wenn meine Grundvoraussetzungen vielleicht nicht optimal waren, bin ich frei, zu meinen Gegebenheiten Stellung zu beziehen. Ich kann mein Leben betrachten und mich entscheiden, wer ich sein möchte: Will ich am Ende meines Lebens Spuren der Liebe hinterlassen oder eine Schneise des Egos schlagen? Ich habe die Freiheit, mich zu entscheiden. Es gibt Menschen, die trotz schwierigster Startvoraussetzungen eine bewegend schöne Lebensgeschichte geschrieben haben, weil sie sich dem Geschenk der Liebe geöffnet haben. Es beginnt mit dem Mut, in die Wahrheit über sich selbst einzutreten, sich zu erkennen und die Realität anzunehmen. Dann ist eine wirksame Veränderung möglich. 
Wo braucht es eine Erneuerung meines Herzens? Welche Gewohnheiten oder Handlungsweisen möchte ich aus Liebe verändern? Welcher erste Schritt ist dazu erforderlich?

Prinzip 2: Liebe sagt „Du“. Beziehung kann erfüllend, aber auch frustrierend sein, vor allem dann, wenn man sich selbst zum Maßstab macht. Versuche ich, an meinen Partner herumzumodellieren, bis er meiner Vorstellung entspricht? Damit wähle ich meine eigene Beschränktheit. Bereicherung ist da möglich, wo ich in Demut annehme, dass ich nicht das Zentrum der Welt bin und quasi in das Herz des anderen „eintauche“. Wie sehr bin ich dazu im Stande? 

Liebe sieht in das Herz

Es ist eine Ursehnsucht, erkannt werden zu wollen. Liebe kann das. Sie sieht in das Herz. Sie sieht durch äußere Masken und innere Mauern hindurch und erkennt, wer der Mensch ist und wer er sein kann. Dazu braucht es die freie Bereitschaft, den eigenen Komfort- und Kontrollbereich zu verlassen. Ein erster Schritt ist die Selbsterkenntnis: Wenn ich mir bewusst bin, dass ich ein zerbrechlicher Mensch mit Stärken und Schwächen bin, erwarte ich auch von meinem Gegenüber keine Perfektion. Ich verabschiede mich von einer märchenhaften Idealisierung und nähere mich gleichzeitig der Schönheit der echten Liebe.

„Es ist eine Ursehnsucht, erkannt werden zu wollen. Liebe kann das. Sie sieht das Herz.“

Dann lasse ich mich ganz ein auf das „Du“, ich schaffe in mir Raum für den geliebten Menschen. Ich mache mich verletzlich. Nur dann kann die Liebe mich berühren. Und es ist mein Wunsch, mich zu verschenken, nichts zurückzuhalten. Nicht, weil ich selbst nichts wert bin, sondern gerade weil um meinen Wert weiß. Hingabe verlangt Stärke, was ein Blick auf die Heiligen verdeutlicht. Je mehr ich Hingabe übe, umso mehr gewinne ich an innerer Größe. „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“ (Johannesevangelium 12, 24) Jesus zeigt, wie das geht. Wenn er in uns leben darf, können wir liebesfähiger werden.

Habe ich den Mut, mich hinzugeben? Was hält mich zurück?

Prinzip 3: Werte vor Gefühlen. Gefühle können gute Indikatoren der eigenen Verfassung sein. Ihnen aber das Kommando zu überlassen, oder basierend darauf gravierende Entscheidungen zu treffen, kann fatal sein. Es gibt Gefühle, die das Schlechteste aus dem Menschen herausholen, zu echten Beziehungskillern werden und in die Leere führen, etwa Wut, Neid oder Argwohn. Werte hingegen sind stabile Orientierungspunkte, nach denen man sich immer wieder neu ausrichten kann. Der Mensch entscheidet aus freiem Willen, wer er heute und am Lebensende sein möchte, an dem die Summe seiner Entscheidungen sichtbar wird.

Zur Hingabe gehört Mut

Wenn mich jemand abwertet oder beleidigt, kann das Gefühl von Wut die Folge sein – je nach Intensität. Dann ist es gut, das wahrzunehmen. Wenn ich dem Gefühl der Wut jedoch nichts entgegensetze, kann diese immer mehr Kontrolle über mich übernehmen. Setze ich jedoch den Wert der Vergebung entgegen, werde ich trotz des Schmerzes über die Abwertung inneren Frieden spüren. Das Negative hat dann keine Macht über mich, weil das Wahre, Gute und Schöne von Gott kommt und dadurch unendlich stärker ist.

„Durch jeden ,Ego-Tod', den ich aus Liebe sterbe, wächst die Schönheit und Kraft der Liebe Gottes in mir.“

Echte Gefühle des Glücks und der Erfüllung sind eine Frucht des Tuns: aufmerksam und wohlwollend zuhören, eine kleine Freude bereiten, für jemanden da sein, Vergebung schenken, sich selbst überwinden. Paare, die diesen Modus „aktivieren“, verlieben sich oft nach zehn, 20 oder 30 Jahren neu.

Wie sehr lasse ich mich von negativen Gefühlen leiten? Wieviel investiere ich durch mein Tun in meine Beziehung?

Prinzip 4: Liebe und Freiheit gehören zusammen. Liebe, die erzwungen wird, ist keine Liebe. Liebe kann nur durch Liebe wachsen. Der Raum der Liebe öffnet sich in Freiheit und schenkt Vertrauen, Wärme, echte Begegnung, Schutz, Halt, Geborgenheit und ermöglicht so die Entfaltung der Person und der Beziehung. Hier ist die Liebe in ihrer Schönheit und Fülle erfahrbar – realistisch und bedingungslos zugleich.

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Wahre Liebe hilft dem Menschen, sich selbst zu überschreiten

Wahre, in Freiheit geschenkte und empfangene Liebe aktiviert das Gute und Schöne. Es bewirkt, dass der Mensch sich selbst überschreiten kann und zugleich innere Freiheit findet. Denn je weniger er an sich und seine Wünsche gebunden ist, umso mehr kann er ein liebender Mensch werden. Liebe ist damit umgekehrt auch ein Risiko: Weil sie untrennbar mit Freiheit verbunden ist, ist sie nicht kontrollierbar, prognostizierbar, berechenbar.

Bin ich bin bereit, mich zu verschenken und mich zugleich dem Geschenk der Liebe zu öffnen, ohne Garantie, dass auch Liebe zurückkommt?

Prinzip 5: Hingabe statt Ego. Die Liebesfähigkeit wird dort immer tiefer entwickelt, wo nicht mehr man selbst der Mittelpunkt meines Denkens und Handelns ist, sondern Gott, die Liebe selbst. Wahre Liebe macht möglich, dass jeder die beste Version seiner selbst werden kann. Als Ehepaar dürfen wir uns dabei gegenseitig helfen. Wir „schleifen uns gegenseitig zu einem Edelstein“, was in der Regel nicht ohne Schmerz und Schrammen abgeht. 
Wenn das Ego stirbt, schreit es auf. Liebe kostet einen Preis. Das Kreuz weist uns darauf hin.

Mensch steht ein Leben lang zwischen Selbstbezogenheit  und Selbstlosigkeit 

Doch durch jeden Ego-Tod, den ich aus Liebe sterbe, wächst die Schönheit und Kraft der Liebe Gottes in mir. Motivation, Handlung und Gewohnheit richten sich neu darauf aus, da Sinn nur außerhalb des eigenen Ichs gefunden werden kann. Bis an das Lebensende werden wir vermutlich hin- und hergerissen sein zwischen Ego und Hingabe. Folgende Fragen können helfen, sich immer wieder neu auszurichten: Wer bin ich im Moment wirklich? Wer möchte ich sein? Welchen konkreten Schritt braucht es dazu? Und dann eine entsprechende Entscheidung in Freiheit und Verantwortung. Mein Tun prägt mich.

Gott ist da. Jederzeit können wir in den Raum dieser unendlichen, ewigen Liebe eintreten. Auch in guten und schwierigen Momenten. Die Quelle der Liebe selbst will jeden Einzelnen immer wieder neu beschenken, heilen, befreien und befähigen, die Liebe in Ehe, Familie und Welt zu leben. Nur Liebe bleibt in Ewigkeit. „Zu lieben ist das Sinnvollste, das der Mensch tun kann“, sagte Papst emeritus Benedikt XVI. einmal. 


Lucia Hauser leitet die Initiative Liebe Leben, die Paaren dabei hilft, sich auf die Ehe vorzubereiten, Beziehungskrisen vorzubeugen, zu überwinden und ihre Beziehung zu vertiefen. Termine für Paarwochenenden: www.liebeleben.com

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