Wenn ich am Abend mit meinem dreijährigen Sohn bete und Jesus dafür danke, dass er da ist und uns sieht, stellt er oft die Frage: „Aber Mama, wo ist denn Jesus?“ Es ist sein großer Wunsch, Jesus einmal richtig zu sehen. Auch Nathanael war ein Mann, der Jesus – beziehungsweise den Messias – unbedingt sehen wollte. Im ersten Kapitel des Johannesevangeliums können wir seine Geschichte lesen.
Nathanael sitzt unter dem Feigenbaum. Dort ist es schön kühl, da der Baum mit seinen großen Blättern viel Schatten spendet. In Israel kann es sehr heiß werden. Hier hat er außerdem etwas Ruhe und kann allein sein. Was er genau unter dem Feigenbaum getan hat, berichtet der Evangelist Johannes nicht. Doch es kann sehr gut sein, dass er mit Gott gesprochen hat. Sicher hat ihn vieles bewegt. Das Leben war nicht leicht unter der Herrschaft der Römer. Sie behandelten das jüdische Volk sehr schlecht, nahmen ihnen Geld und Freiheit. Wann würden sich die Schriften endlich erfüllen? Wann würde endlich der Messias kommen und sie befreien? Vielleicht betete Nathanael mit ganzem Herzen: Siehst du uns, Gott? Hast du uns nicht vergessen? Wann kommst du, Messias?
Jesus überrascht
Auf seinem Weg nach Hause traf Nathanael auf seinen Freund Philippus. Vermutlich wunderte er sich schon, als er ihn sah. Denn Philippus sah irgendwie verändert aus. Was war nur geschehen? Er schien ganz aufgeregt und gleichzeitig von einem großen Glück erfüllt zu sein. Philippus kam mit der ungeheuren Nachricht zu Nathanael: Wir haben den gefunden, über den Mose im Gesetz und auch die Propheten geschrieben haben: Jesus aus Nazareth, den Sohn Josefs.
Im ersten Moment konnte Nathanael nicht glauben, was Philippus sagte. „Aus Nazareth? Kann von da etwas Gutes kommen?“, fragte er. Er kannte die Schriften gut und daher wusste er, dass der Messias aus dem kleinen Ort Bethlehem kommen werde. Nazareth wurde weder in den alten Schriften erwähnt, noch hatte es sonst eine besondere Bedeutung. Aus einem solchen Ort konnte doch nicht wirklich der Messias kommen, dachte er. Hatte Philippus sich also getäuscht? Hatte er einen Mann gefunden, der sich nur als der Messias ausgab, es aber nicht wirklich war?
Auch später im Johannesevangelium posaunten einige Pharisäer laut heraus, dass Jesus gar nicht der Messias sein könnte, weil er ja aus Nazareth kommt, der Messias jedoch der Schrift nach aus Bethlehem kommen müsse. Was sie nicht wussten, ist, dass Jesus tatsächlich in Bethlehem geboren worden war. Doch hatten Maria und Josef mit ihm nach Ägypten fliehen müssen und kamen später dann nach Nazareth, wo Jesus seine Kindheit und Jugend verbrachte.
Jesus kennt Nathanael
Philippus versuchte gar nicht erst, Nathanael mit Erklärungen zu überzeugen, sondern sagte ihm einfach: „Komm und sieh!“ Er war sich sicher, dass Nathanael Jesus nur selbst sehen musste, um zu glauben, dass er wirklich der Messias war. Natürlich war Nathanael nun neugierig geworden und ging mit seinem Freund zu Jesus. Und schon als Jesus Nathanael auf sich zukommen sah, sagte er über ihn: „Da kommt ein echter Israelit, ein Mann ohne Falschheit.“
Damit hatte Nathanael nun wirklich nicht gerechnet. Dieser Jesus, der jetzt vor ihm stand, kannte ihn. Aber wie konnte das sein? Nathanael kannte ihn doch gar nicht. Wie konnte Jesus dann ihn kennen und so ein hohes Lob über ihn aussprechen? Jesus sah sein aufrichtiges Herz. Und er sah in Nathanael einen Mann, der Gott wirklich sucht. Vielleicht hat sich Nathanael an den Psalm 32 erinnert, als er hörte, dass Jesus ihn einen Mann ohne Falschheit nennt. In dem Psalm heißt es: „Wohl dem Menschen, dem der Herr die Schuld nicht zur Last legt und dessen Herz keine Falschheit kennt.“ Der Psalm, ein Lied aus dem Alten Testament, sagt, dass es das Beste für uns Menschen ist, wenn wir unsere Schwächen und Fehler nicht vor Gott verstecken, sondern sie ihm bekennen. Wenn wir versuchen, etwas vor Gott zu verschweigen, geht es uns schlecht, wenn wir ihm aber alles erzählen, kann er uns vergeben. Und das ist sein größter Wunsch, weil wir ja seine Kinder sind. Nichts soll zwischen Gott und uns stehen. Nathanael gehörte also zu den Menschen, die vor Gott nichts verbergen und ehrlich sind. Das sah Jesus.
Es musste einfach Gott sein!
Nathanael fragte Jesus, woher er ihn denn kenne. Und darauf gab ihm der Herr eine Antwort, die ihn sofort zum Glauben brachte. Er sagte: „Schon bevor dich Philippus rief, habe ich dich unter dem Feigenbaum gesehen.“ Nathanael trafen diese Worte mitten ins Herz. Er hatte keinen Zweifel mehr daran, dass Jesus der ist, auf den sie alle gewartet hatten. Er musste Gott sein, wenn er ihn unter dem Feigenbaum gesehen und sein Gebet gehört hatte. Deswegen war seine Reaktion: „Rabbi, du bist der Sohn Gottes, du bist der König von Israel.“
Nathanael kam zum Glauben an Jesus, weil dieser ihn unter dem Feigenbaum gesehen hatte. Doch Jesus erklärte ihm, dass er noch Größeres sehen werde. Das heißt, er werde als sein Jünger immer mehr von Jesus erkennen und sehen, wie groß seine Herrlichkeit ist. Sehr bald würde er auf der Hochzeit in Kana dabei sein und miterleben, wie Jesus Wasser in Wein verwandelte. Das war sein erstes Wunder, auf das noch viele folgen würden.
Der geöffnete Himmel
Dann sagte Jesus noch etwas sehr Wichtiges zu Nathanael und denen, die dabeistanden: „Amen, amen, ich sage euch: Ihr werdet den Himmel geöffnet sehen und die Engel Gottes auf- und niedersteigen sehen über dem Menschensohn.“ Bei diesem Wort musste Nathanael sicherlich an Jakob aus dem Alten Testament denken: Er hatte einen Traum von einer Leiter, die bis zum Himmel reichte und auf der die Engel Gottes auf- und niederstiegen (Gen 28,10–22). So zeigte Jesus: Er selbst ist die Verbindung zwischen Himmel und Erde. Der Himmel steht offen, weil er nun da ist. Jesus hat uns Menschen einen Weg zum Himmel eröffnet, dadurch, dass er am Kreuz für uns gestorben und auferstanden ist.
Wenn du die Bibel liest, kannst du dich immer fragen, was Gott dir persönlich durch sein Wort sagen möchte. Was bedeutet die Geschichte von Nathanael für dich und dein Leben? Sicher kannst du darauf vertrauen, dass Jesus dich sieht, wenn du im Verborgenen mit ihm sprichst. So wie er Nathanaels Herz kennt, kennt er auch deines. Und er möchte sich dir immer mehr zeigen, wie er ist: heilig, allmächtig und ganz liebevoll und nah.

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