Es war ein klarer Frühlingstag, als Maxi und Leni mit ihren Großeltern in einem Reisebus durch das südliche Polen fuhren. Heute war ein besonderer Tag ihrer Pilgerreise: Sie wollten den Geburtsort von Papst Johannes Paul II. besuchen – Wadowice. „Er hieß ursprünglich Karol Wojtya“, erklärte Opa. „Er wurde hier geboren und in der Pfarrkirche getauft.“ „Und da gehen wir jetzt hin?“, fragte Maxi. „Ja“, nickte Oma. „Wir wollen an dem Ort beten, an dem ein großer Heiliger sein Leben begann. Und wir haben Glück: Ein besonderer Mann wird uns dort etwas erzählen. Er war Teil einer berühmten Geschichte mit Johannes Paul II.“ Leni runzelte die Stirn. „Welche Geschichte?“ Oma lächelte geheimnisvoll. „Warte ab.“
Die Fahrt endete vor einer wunderschönen Kirche. Drinnen war es kühl, buntes Licht fiel durch die Fenster. Die Kinder knieten kurz nieder. Maxi sah neugierig umher. Einige Menschen standen vor dem Taufbecken, wo Karol Wojtya getauft worden war. Weiter hinten saß ein Mann allein in einer Bank, den Kopf in den Händen. Er weinte leise. Maxi stupste Leni an, doch da rief Opa schon: „Kommt, Kinder! Die Führung beginnt.“ Vorne am Altar wartete ein älterer Mann mit weißem Haar und warmen braunen Augen. „Das ist Pater Stanisaw“, stellte der Reiseleiter vor. „Er hat eine besondere Geschichte mit Johannes Paul II.“
Der verlorene Sohn
„Willkommen in Wadowice“, sagte der Pater. „Hier wurde der heilige Papst Johannes Paul II. getauft.“ Und nach einigen Erklärungen sagte er: „Vielleicht darf ich auch berichten, was ich selbst mit dem Papst erlebt habe?“ Maxi war sofort hellwach. Pater Stanisaw begann: „Kardinal Karol Wojtya war mein Bischof. Er kannte mich als jungen Priesterseminaristen in Krakau. Er war sehr gläubig und gleichzeitig so fröhlich. Er ging mit uns sogar Kanufahren. Als ich dann zum Priester geweiht wurde, war er bereits Papst in Rom. Und ich war als junger Kaplan voller Träume, voller Freude. Doch ich… ich wurde schwach. Ich fing an zu trinken. Zuerst heimlich, dann immer mehr. Ich vergaß mein Priestersein, vergaß meine Gemeinde, meine Freunde – ich vergaß sogar Gott. Irgendwann verschlug es mich nach Rom – da ist es wärmer und man friert nachts nicht so auf der Straße. Ich lebte als Obdachloser auf der Piazza Risorgimento, nicht weit vom Vatikan. Niemand wusste, wer ich war. Ich redete mit niemandem über mein Leben. Ich schämte mich.“
Er hielt inne. Die Kinder spürten, dass dieser Mann wirklich gelitten hatte. „Eines Tages traf mich ein polnischer Bischof dort auf der Straße. Er erinnerte sich an mich aus früheren Zeiten. Doch er hatte einen Termin bei Johannes Paul II. und musste schnell weiter. Dort erzählte er dem Papst von mir und was aus mir geworden war. Er kannte mich ja. Und der Heilige Vater sagte sofort: „Hol Stanisaw schnell zu mir. Ich muss ihn sehen.“ Ich wollte nicht. Ich roch schlimm, meine Hose war zerrissen. Aber der Bischof bestand darauf. Also stand ich, ein Bettler, plötzlich im Papstpalast vor dem Heiligen Vater. Wir sahen uns an – nach vierzig Jahren. Und er umarmte mich. Einfach so.“
Der Papst beichtete bei ihm
Pater Stanisaw schluckte schwer, während er sprach: „Plötzlich bat der Papst den Bischof, uns kurz allein zu lassen. Dann geschah etwas, das ich nie vergessen werde: Der Papst kniete sich vor mich hin und sagte: „Ich möchte, dass du mir die Beichte abnimmst.“ Ich war ganz erschrocken und sagte: „Heiliger Vater, das geht nicht! Ich darf das nicht mehr. Ich bin doch meinem Priesterberuf untreu geworden.“ Aber der Papst sah mich an und sagte ruhig: „Ich bin der Papst. Ich erlaube es.“ Und so beichtete der Papst bei mir. Ich war nur ein armer Bettler – aber jetzt durfte ich ihm als Priester zuhören, am Ende die Hand zum Segen erheben und beten: „Ich spreche dich los von deinen Sünden.“
Das war so heilig und schön, dass ich selber nicht anders konnte, als vor dem Papst auf die Knie zu gehen. Nun wollte auch ich meine Sünden bekennen. Ich wollte in der Beichte Jesus alles anvertrauen und um die Heilung von meinen Sünden bitten. Ich erzählte alles, was ich falsch gemacht hatte, in all den Jahren. Der Papst und ich – wir beide weinten. Und er sprach mich los. Wenn ich hier am Taufbecken des heiligen Papstes stehe, denke ich daran, dass auch mich Gott damals durch diese Beichte reingewaschen hat. Und so begann mein Weg zurück. Ich durfte wieder Priester sein und kümmerte mich um kranke und arme Menschen, die kein Zuhause haben. Ich bekam eine neue Chance.“ Er blickte in die Runde. Einige Besucher wischten sich Tränen aus den Augen. Auch Maxi und Leni waren ganz still.
Neues Leben
Während Pater Stanisaw weitersprach, schaute Maxi immer wieder zu dem Mann, der hinten in der Bank saß. Er weinte noch, aber es sah so aus, als ob die Tränen ihm etwas Last von den Schultern nahmen. Nach der Führung ging er zu Pater Stanisaw und flüsterte ihm etwas zu. Dann verschwanden beide im Beichtstuhl.
Maxi und Leni hörten nichts, aber sie spürten, dass etwas Heiliges geschah. Nach einer Weile kam der Mann wieder heraus. Seine Augen waren gerötet, aber in seinem Gesicht lag ein Lächeln, das heller strahlte als das Licht, das durch die bunten Fenster fiel. Die Kinder schauten schüchtern zu ihm. Als er an ihnen vorübergehen wollte und den Blick der Kinder sah, hielt er kurz inne. In die Stille hinein sprach Leni: „Ich freue mich, dass Sie wieder lächeln.“
Mit Gott kann man neu anfangen
Der Mann überlegte kurz – dann flüsterte er leise, sodass es nur die Kinder und ihre Großeltern hören konnten: „Ich habe lange Zeit Gott vergessen und Böses getan. Heute… heute habe ich um Vergebung gebeten. Und ich habe gespürt: Gott gibt mir die Kraft, neu anzufangen.“ Und er lächelte wieder. Auf dem Rückweg durch die Gassen von Wadowice gingen Maxi und Leni zwischen ihren Großeltern. Die Luft roch nach Frühling, irgendwo läuteten Kirchenglocken, und über den Dächern ragte der Turm der Taufkirche in den Himmel. „Opa?“, fragte Leni nach einer Weile, „glaubst du, der Mann schafft das wirklich – ganz neu anzufangen?“
Opa blieb stehen, sah sie an und nickte. „Ja, weißt du, Gott schenkt jedem einen neuen Anfang, wenn er nur darum bittet. So wie Karol Wojtya hier an diesem Ort getauft wurde und sein Leben als Christ begann – so darf auch dieser Mensch wieder neu als Christ anfangen. Und Pater Stanisaw hat es ja auch geschafft.“ Maxi sah nachdenklich auf seine Schuhe. „Es ist irgendwie schön, dass ein Ort, an dem ein Papst getauft wurde, jetzt anderen hilft, wieder gut zu werden.“ Oma legte den Arm um ihn. „Ja, manchmal brauchen wir genau solche Orte, an denen Menschen spüren, dass Gott sie nie aufgibt.“ Opa lächelte. „Das ist das Geheimnis der Barmherzigkeit Gottes. Und die ist stärker als alles, was wir falsch gemacht haben. Der heilige Papst Johannes Paul II. hat uns das wunderbar gezeigt.“

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