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Ist es falsch, einen Orgasmus vorzutäuschen?

„Fake it till you make it“ ist keine gute Basis für eine Partnerschaft. Die Kolumne zu Sexualität und Partnerschaft.
Nachdenkliche Frau im Bett
Foto: Joseffson via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | Offen mit den eigenen Gefühlen umzugehen, ist gar nicht immer so leicht.

Diese Kolumne befasst sich regelmäßig mit Fragen zu Sexualität und Partnerschaft. Am Schluss des Textes können Sie anonym Ihre Fragen einreichen.


„Ist es verwerflich, bei der partnerschaftlichen Sexualität einen Orgasmus vorzutäuschen?“ Übersehen wir nicht die Not, die hinter dieser Frage steckt, denn: Warum möchte jemand einen Orgasmus vortäuschen, faken? Erlebe ich die gemeinsame Sexualität als unbefriedigend oder sogar schmerzhaft und möchte den Akt daher schnell hinter mich bringen? Oder fällt es mir grundsätzlich schwer, zu einem Orgasmus zu kommen, wenn ich mit meinem Partner schlafe und möchte ihn nicht enttäuschen oder verunsichern? Möchte ich ihm damit helfen, mit sich und mit mir und unserer Sexualität zufrieden zu sein?

Solche Motive sind gut nachvollziehbar. Dahinter steckt der Wunsch, dem Partner Gutes zu tun oder ihm eine Grenze, eine Enttäuschung, nicht zuzumuten. Doch so gut gemeint das klingen mag, geht es doch letztlich darum, die Wirklichkeit zu biegen, um sich selbst und den Partner zu schonen. „Fake it until you make it“ kann in der Liebe zwischen Mann und Frau keine gültige Formel sein.

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Vergleichen wir das mit einem anderen Thema: Wenn man beispielsweise für den Partner regelmäßig das vermeintliche Lieblingsgericht kocht, ohne zu wissen, dass es ihm gar nicht wirklich schmeckt … Das klingt vielleicht wie eine Kleinigkeit im Alltag. Aber tatsächlich können sich solche kleinen Momente, in denen ich mein Herz verberge, zur inneren Distanz, zum Vertrauensverlust auswachsen.

Dein Partner hat die Wahrheit verdient

Wenn ich meinen Partner liebe, dann schenke ich ihm mein Herz, dann darf er sehen, was ich wirklich fühle und denke. Dann möchte ich nichts vorspielen um des lieben Friedens willen. Dann habe ich die Sehnsucht, dass alles, was in mir ist, in unserer Beziehung einen Raum hat. Dann weiß ich, dass mein Partner die Wahrheit verdient hat. Dann traue ich ihm zu, die Wirklichkeit zu meistern, auch wenn sie herausfordernd oder gar enttäuschend sein mag.

Was immer dich motivieren mag, einen Orgasmus vorzutäuschen: Du hast verdient, dass deine Ängste, deine Sorgen dahinter gesehen, gehört, verstanden und getröstet werden. Dein Partner hat verdient, dass man ihm die Wirklichkeit zumutet und zutraut. Ihr als Paar habt verdient, dass eure Sexualität in ehrlicher Hingabe, in völliger Offenheit füreinander, im gemeinsamen Tragen aller Grenzen und Einschränkungen gelebt werden kann.

Wenn man zur Wahrheit steht, seinem Partner ehrlich sagt, wie es einem geht, dann kann man gemeinsam an Lösungen arbeiten. Man kann nichts Gutes tun, ohne sich an der Wirklichkeit zu orientieren. Das gilt in einer Ehe für beide Partner gleichermaßen. Dies zeigt uns auch klar die Tugendlehre von Josef Pieper, wenn er von der Gerechtigkeit spricht, also dem rechten Handeln, das dem anderen das gibt, was ihm zukommt: „Die Voraussetzung für Gerechtigkeit ist die Wahrheit. (…) Und also bedeutet der Vorrang der Klugheit zuerst zwar die Ausrichtung des Wollens und Wirkens an der Wahrheit; zuletzt aber meint er die Ausrichtung des Wollens und Wirkens an der objektiven Wirklichkeit. Das Gute ist zuvor klug; klug aber ist, was der Wirklichkeit gemäß.“

Das zeigt: Nur wenn ich die Wahrheit über eine Situation erkenne und akzeptiere, kann ich richtig, also „gerecht“ handeln. Gutes Handeln kann nicht aus einer Täuschung entstehen. Seien wir also mutig und wagen es, gemäß der ganzen Wirklichkeit unserer Person, unserer Gefühle und Bedürfnisse zu handeln, und unserem Partner die Chance zu geben, gemäß der ganzen Wirklichkeit zu handeln. Das Streben nach Wahrheit ist ein Dienst an der Liebe, nicht ihr Gegensatz. Es schafft die Basis für eine Beziehung, in der beide wachsen und sich sicher fühlen können.

Der Autor ist Diplom-Sozialarbeiter und seit über 20 Jahren als Sexualberater tätig. Vor Kurzem schloss er einen Universitätslehrgang im Bereich Sucht ab.


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