Die Beachtung besonderer Speisegebote prägte seit alters her die österliche Bußzeit, denn der bewusste Verzicht auf äußerliche Annehmlichkeiten ermöglicht mehr Innerlichkeit. Da aber in einer Welt des Überflusses ein ausladender Bauch längst kein Statussymbol mehr ist und die meisten Menschen von ihrem Smartphone viel mehr abgelenkt werden als von einer Schweinshaxe, denken immer mehr Christen über digitales Fasten nach. Während man bis zum Abitur etwa 15.000 Stunden in der Schule verbringt, soll es Menschen geben, die bis zum Ende der Regelstudienzeit rund 50.000 Stunden in Videospiele investieren.
Inspiration und Geschenkidee
Wäre da die Fastenzeit nicht ein willkommener Anlass, den Stecker zu ziehen und das Gesellschaftsspiel neu zu entdecken? Im Gegensatz zum digitalen Daddeln frisst analoge Unterhaltung kaum Zeit, stiftet Gemeinschaft und bietet Gelegenheit, an Geduld und Frustrationstoleranz zu wachsen. Spiele erhöhen außerdem die Resilienz, entwickeln Persönlichkeit, fördern den Sprachgebrauch, aktivieren mathematische Kompetenzen, schulen planvolles Denken und verschaffen Freude! Der folgende Überblick über aktuelle Spielehits möchte auch Unerfahrene und (vermeintliche) Spielemuffel inspirieren – und vielleicht findet sich auch die eine oder andere Geschenkidee für Kinder oder Enkelkinder.
Was ist der Unterschied zwischen einer „Burg“ und einer „Festung“? Wie zeichnet man einen „Wunsch“ so, dass er von einer „Idee“ zu unterscheiden ist? Bei „Pictomania“ (Heidelbär) müssen alle Spieler gleichzeitig Begriffe mit ihrem Bleistift skizzieren, damit sie von den anderen benannt werden können. Wichtiger als künstlerische Qualifikationen ist die Fähigkeit, die wesentlichen Unterschiede bei verwandten Wörtern zu finden. „Pictomania“ ist ein Gute-Laune-Spiel für Sprachakrobaten.
Für Partys: Knobeln und Kommunizieren
„Anno Domini“ (Abacus) kann ohne große Erklärungen bei jeder Fete gespielt werden und aktiviert nebenbei die Geschichtskenntnisse, denn es gilt historische Ereignisse in chronologisch richtiger Folge zu ordnen. 30 inhaltlich verschiedene Themensets mit jeweils 336 Karten sind erhältlich, etwa mit Fragen über Deutschland, die Kirche, Kunst, Münzen oder Forschung. Bei „The Key“ (Haba) liegen alle Hinweise für ein Verbrechen offen aus. Eilig werden Karten gezogen, um sich die besten Indizien zu sichern; die Spieler folgen Spuren, prüfen und deduzieren. Nachdem „Sabotage im Lucky Lama Land“ 2021 es mit einem relativ einfachen Fall auf die Empfehlungsliste zum Spiel des Jahres schaffte, kamen jetzt anspruchsvollere Krimis wie „Einbruch im Royal Star Casino“ (für Fortgeschrittene) und „Flucht aus Strongwall Prison“ (für Experten) heraus. Jede Schachtel enthält mehrere grandiose Fälle, die immer wieder gespielt werden können. „The Key“ ist ein faszinierender Wettstreit für Meisterdetektive.
„Die Abenteuer des Robin Hood“ (Kosmos) erzählt eine mittelalterliche Geschichte. Ein gigantischer Spielplan wird zusammengepuzzelt, die Spielsteine ausgekippt, das Begleitbuch aufgeschlagen – los geht´s! Im Team muss die Gruppe Aufgaben lösen, jeder zieht frei umher, sammelt Gegenstände, kann feindliche Soldaten bekämpfen, Anwohner befragen und Orte erkunden. Ein ebenso intelligenter wie einfacher Mechanismus bewegt fremde Charaktere, im Begleitbuch findet sich der Fortgang der Story mit der Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen. 2021 wurde „Die Abenteuer des Robin Hood“ zum Spiel des Jahres nominiert, nun kam mit „Bruder Tuck in Gefahr“ die erste große Erweiterung heraus.
Zwei U-Boot-Besatzungen simulieren in „Capitain Sonar“ (Pegasus) ein komplexes Schiffeversenken. Jeder Spieler hat eine andere Rolle: Der Kapitän gibt den Kurs vor, der Funker versucht die Lage des Feindes zu ermitteln, der Erste Offizier bringt Waffen- und Aufspürgeräte zum Einsatz, der Maschinist muss alle Systeme funktionstüchtig halten. Das Echtzeit-Strategie-Spiel fordert Aufmerksamkeit, Disziplin und exzellente Orientierung. Nichts für schwache Nerven.
Für Familien: Planen und Umplanen
„Roll and Write“-Spiele erlebten während der Corona-Zeit einen Aufschwung, weil sie sich über Videokonferenz miteinander spielen lassen. Jeder muss einen Zettel so ausfüllen, dass miteinander konkurrierende Parameter bestmöglich berücksichtigt werden. Bei der „Railroad Ink Challenge“ (Horrible Guild) werden Bahnschienen gewürfelt und zu Streckennetzen verbunden und bei „Blätterrauschen“ (Kosmos) gilt es Tiere und Pflanzen in ihrem Lebensraum aufzuspüren. Herausragend ist das sich über zwölf Runden hin fortsetzende „My City – Roll & Write“ (Kosmos), bei dem man Länder urbar machen, Gegenden kultivieren, Gold schürfen und Verbrecher stellen muss. Bei diesem Städtebauspiel darf die Errichtung von Kirchen natürlich nicht vergessen werden. Noch komplexer ist „Johanna – Orleans Draw & Write“ (dlp), eine großartige Neuerscheinung. Das Spiel orientiert sich thematisch am 2015 zum Kennerspiel des Jahres nominierten „Orleans“ und wird jeden begeistern, der sich auf diffizile Mechanismen einlässt und strategisch denken kann.
Ohne Stift kommt „Cascadia“ (Kosmos), das Spiel des Jahres 2022, aus – doch auch hier gilt es, zufällig gezogene Optionen optimal in die eigene Auslage zu integrieren. Bären, Lachse, Adler sowie andere Tiere aus der nordamerikanischen Wildnis sind das Thema dieses anmutigen Zeitvertreibs. Nach Einstiegsrunden mit einfachen Regeln sorgen immer neue Wertungssysteme für eine stetig steigende Begeisterung.
Über mehrere Runden wird in „Dorfromantik“ (Pegasus) am Ausbau der ländlichen Struktur getüftelt: Bei dem kooperativen Spiel gilt es immer wieder, den eigenen Rekord zu schlagen, um neue Kärtchen freizuschalten und noch bessere Ergebnisse sichern zu können – ideal für Menschen, die in kürzeren Abständen immer wieder gerne gemeinsam Herausforderungen bewältigen möchten.
„Die Zukunft von Camelot“ (Schmidt) wird mit einem Tableau gespielt, dessen vier Teile gewendet und auf unterschiedliche Weise kombiniert werden können. Dort müssen Figuren durch das Ziehen von Karten geschickt platziert werden. Vorausschauendes Handeln, das Abwägen von Wahrscheinlichkeiten sowie die richtige Einschätzung der gegnerischen Absichten bescheren dem gewieftesten Taktiker den Sieg.
Angelehnt an den Klassiker von Jules Verne reisen die Spieler bei „80 days“ (Piantnik) in möglichst kurzer Zeit einmal um die Welt, wobei es Abenteuer zu bestehen gilt, für die man Ausrüstung braucht. Ständig muss abgewogen werden, ob man zuerst die nächste Etappe fährt oder sich seine Ausstattung kauft, denn je später man etwas erwerben will, desto teurer wird es.
Für Kinder: Gedächtnis und Geschicklichkeit
War da nicht eben noch ein Blumenstrauß? Oder hat der Einbrecher vielleicht doch die Gießkanne mitgenommen? Bei „Tapikékoi“ (Djeco) verschwinden in verschiedenen Räumen über Nacht mehrere Gegenstände. Wer kann sich am besten daran erinnern, was vom Inventar fehlt? „Tapikékoi“ ist ein liebenswürdiges Memo-Spiel im 60er-Jahre-Look; 2021 kam es auf die Empfehlungsliste für das Kinderspiel des Jahres.
Bei „Memoarrr!“ (Pegasus) liegen fünf Tiere in fünf verschiedenen Gegenden, also 25 Karten aus, die so aufgedeckt werden müssen, dass entweder das gleiche Tier oder die gleiche Gegend erscheint. Durch einen ausgetüftelten Mechanismus und erweiterbare Regeln wird „Memoarrr!“ nie langweilig. 2018 war es auf der Empfehlungsliste „Spiel des Jahres“.
Durch „Die wandelnden Türme“ (Abacus) wird ebenfalls das Erinnerungsvermögen geschult. Reihum ziehen die Spieler ihre Figuren im Kreis, um sie allesamt in ein Ziel zu führen, welches ständig seine Position ändert. Dabei werden die Figuren auf Türmen mitgetragen bzw. von anderen Türmen verdeckt, weshalb man sich merken muss, wo sie sich befinden, um sie zur rechten Zeit wieder zu befreien. „Speedy Roll“ (Piatnik) verlangt einiges an Fingerfertigkeit. Beim Kinderspiel des Jahres 2020 gilt es einen Ball dergestalt über Blätter, Äpfel und Pilze zu rollen, dass man den schnellsten Weg durch den Herbstwald findet. Noch mehr Hindernisse und Abwechslung bietet „Speedy Roll & Friends“. „Tal der Wikinger“ (Haba) ähnelt einer Kegelbahn. Beim Kinderspiel des Jahres 2019 muss man aber nicht nur behände eine Kugel ins Ziel steuern, sondern auch strategisch denken.
Nonverbale Kooperation
Ein kooperatives Spiel ist „Magic Maze Kids“ (Pegasus), welches 2019 auf der Empfehlungsliste „Kinderspiel des Jahres“ stand. Ohne miteinander zu sprechen, werden die Figuren von allen Akteuren gleichzeitig gelenkt, wobei jeder nur in eine Himmelsrichtung ziehen darf. Über mehrere Levels hinweg lernt man zunächst den Mechanismus, bis man dann im Finale gemeinsam mehrere Aufgaben lösen muss. Eine Echtzeit-Herausforderung, die Konzentration und Teamgeist erfordert. Bei „Kipp mir Saures“ (Zoch) geht es um die Herstellung von Süßigkeiten mithilfe von unterschiedlich großen Würfeln, die aus einer Kippvorrichtung rollen. Ein haptisches, farbenfrohes Spiel, bei dem man Gewichte taxieren und Farben taktisch einsetzen muss, um das leckerste Zuckerwerk herzustellen. „Heckmeck am Bratwursteck“ (Zoch) ist ein rasches Würfelspiel, bei dem permanent gerechnet wird. Ideal, um bei Jung und Alt die Gehirnzellen zu aktivieren.
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