Erziehung

Elternratgeber: Erziehen heißt Lieben lernen

Ein neuer Elternratgeber aus den USA schlägt vor, aus der Kindererziehung einen geistlichen Weg zu machen.
Philip Mamalakis mit seiner Familie in Massachusetts
Foto: privat | Philip Mamalakis lebt mit seiner Familie in Massachusetts, wo er unterrichtet und in seiner Praxis mit Paaren und Familien arbeitet. Die Familie durfte vor Kurzem das erste Mitglied der nächsten Generation begrüßen.

Eine halbe Minute lang war das Morgengebet harmonisch. Dann fällt der Becher mit Kakao auf den Boden. Die Stimmung aller Anwesenden ist im Keller und die Fortsetzung des Gebets von erheblichen Schwierigkeiten begleitet. Später, beim Versuch einer kleinen privaten Andacht, kommt auch heute wieder der Jüngste auf die Idee, sich mit seiner großen Schwester zu zanken. Das Gebet muss einer Standpauke von Mama weichen. So manchen Eltern werden diese Szenen bekannt vorkommen.

Große Ziele, kleine Schritte

Wer Kinder hat, weiß, wie schnell das eigene geistliche Leben im Familienalltag untergeht. Aber warum nicht geistliches Leben und Kindererziehung zusammen denken? Eine wundervolle Anleitung dazu findet sich im kürzlich vom Fontis Verlag auf Deutsch publizierten Erziehungsbuch „Große Ziele, kleine Schritte“ von Philip Mamalakis. 2016 erschien das englische Original im orthodoxen nordamerikanischen Verlag Ancient Faith Publishing. Der Bestseller wurde seither in mehrere Sprachen übersetzt, jetzt auch ins Deutsche. Der Autor, der selbst eine deutsche Großmutter hat, lebt mit Frau Georgia und sieben Kindern in Boston, Massachusetts. Privat wie beruflich ist Erziehung das große Thema für Mamalakis. Der griechisch-orthodoxe Theologe ist Ehe- und Familientherapeut und vielgefragter Referent über Familienthemen. Darüber hinaus kann er als Assistenzprofessor für Seelsorge an der Holy Cross School of Theology in Brookline auch eine rege akademische Tätigkeit vorweisen.

Das Fundament der Erziehungsmethode in „Große Ziele, kleine Schritte“ ist die Frage nach dem Ziel der Erziehung. Für Mamalakis klären sich letztlich alle Einzelfragen, wenn das Ziel geklärt ist: Was wollen wir für unser Kind? Wie soll es leben? Die Antwort wiederum gewinnt der Autor aus dem christlich-orthodoxen Menschenbild: „Leben gelingt, wenn Kinder im tiefsten Herzen wissen, dass sie von Gott und von uns geliebt sind, und das Verlangen haben, diese Liebe freigebig zu erwidern.“ Dabei ist es ihm sehr wichtig, dass nicht einfach „perfekte Christen“ herangezogen werden, sie sich nach außen hin tugendhaft verhalten. In seiner Berufspraxis als Ehe- und Familientherapeut hat Philip Mamalakis gerade bei Eltern, die ihre Kinder christlich erziehen wollen, festgestellt, dass häufig viel zu sehr das Bild dominiert, wie ein Christ nach außen hin zu erscheinen hat.

Das Kind als Christus-Ikone

Hier spielt häufig auch der eigene Stolz und die eigene Ehre der Eltern eine große Rolle. Mit autoritärer Strenge wird christlich-tugendhaftes Verhalten von den Kindern manchmal geradewegs erzwungen. „Aber ich will zeigen, dass es für uns darauf ankommt, dass wir selbst wie Christen leben und das heißt: An sich selbst arbeiten und offen dafür sein, Fehler zu machen“, erzählt Mamalakis im Interview mit der „Tagespost“ auf die Frage nach seiner Motivation für das vorliegende Erziehungsbuch. Mamalakis dreht den Spieß um: Nicht, wie das eigene Kind sich benimmt, ist entscheidend, sondern, ob es seine Eltern als Christen leben sieht und sich von ihnen und von Gott geliebt weiß. „Für uns als Eltern ist das eine große Aufgabe, aber das ist unsere Berufung.“ Die Gewissheit, geliebt zu sein, kann das Kind nur erlangen, wenn die Eltern selbst an ihrem geistlichen Weg arbeiten, wenn sie auf Gottes Stimme in ihrem Leben und gerade im Erziehungsalltag hören und wenn sie mit dem Heiligen Geist kooperieren.

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Dem Heiligen Geist mehr Raum im Leben geben

„Alle Erziehungsmethoden, die in diesem Buch beschrieben werden, setzen voraus, dass wir uns als Eltern auf dem Weg befinden, dem Heiligen Geist mehr Raum in unserem Leben zu geben“, so Mamalakis. Für den Blick auf das Kind heiße es, sich darin einzuüben, das Kind als Christus-Ikone zu begreifen. In der orthodoxen Spiritualität ist in der Ikone Christus selbst gegenwärtig. Deshalb werden Ikonen auch berührt und geküsst, weil man darin Christus selbst erkennt. Blicke man auf sein Kind als Ikone Christi, ergibt sich eine grundsätzliche Haltung des Respekts gegenüber dem Kind. Dieser verlange es nichtsdestoweniger, ihnen klare Grenzen zu setzen und diese Grenzen auch einzuhalten. Das sei nötig, weil das Kind auf ähnliche Grenzen auch später im Erwachsenenleben stoßen wird, erklärt der siebenfache Vater. Der Autor ist sich dessen bewusst, dass das klare Setzen von und Festhalten an Regeln für die Eltern oft nicht einfach ist, weil sie in der Regel auf viel Widerstand beim Kind stoßen werden. Aber „wenn wir Angst davor haben, unsere Kinder mit Herausforderungen kämpfen zu sehen, dann werden sie lernen, Angst vor Herausforderungen zu haben“, schreibt Mamalakis. Dabei dürfe die Grenzsetzung aber nicht zu einer Art Zwei-Fronten-Krieg führen. Vielmehr sollen die Eltern gemeinsam mit dem Kind die Grenze aushalten und es durch Empathie dabei unterstützen, wenn es unter einer Grenze leidet.

Heilung statt Perfektionismus

So sehr Philip Mamalakis in seinem Erziehungsbuch klare Regeln und Grenzen propagiert, so wenig sollen sie seiner Ansicht nach eingesetzt werden, um das eigene Leben der Eltern zu erleichtern. Auch wenn ein gut erzogenes Kind den Eltern die eine oder andere Anstrengung oder Peinlichkeit erspart, dürfe Erziehung nie verzweckt werden. Paradoxerweise soll für Mamalakis Erziehung nicht einmal die vorrangige Funktion haben, zu erzogenen Kindern zu führen. „In der Erziehung geht es nicht darum, Kinder dazu zu bringen, das Richtige zu tun, oder ihnen das Leben leicht zu machen. Es geht vielmehr darum, dicht bei ihnen zu bleiben, während sie darum ringen, das Richtige zu tun.“ So sind für Mamalakis Fehltritte der Kinder sogar in einem gewissen Sinne begrüßenswert, denn sie sind immer wieder neue Möglichkeiten, etwas zu lernen – sowohl für die Kinder als auch für die Eltern. „Wenn unsere Kinder beständig am Lernen sind, dann erfordert dies von uns, dass wir sie beständig lehren.“ Die Liebe zum Kind verlangt es, jede einzelne Fehlsituation als Lernsituation aufzufassen und mit Geduld und Liebe die Situation genau einzuschätzen und zu handeln.

Als das Herzstück seiner Methode begreift Mamalakis die Bereitschaft zur Buße – bei Eltern wie Kindern. Dabei gehe es um die Fähigkeit, seine Fehler einzugestehen, gerade auch der Eltern vor den Kindern. „Die Bereitschaft zur Buße schützt uns vor den Gefahren des Perfektionismus und heilt den Schmerz der Sündenerkenntnis. Buße sprengt unsere eigenen Grenzen und bringt die Gnade Christi und des Heiligen Geistes in unsere Erziehung hinein.“ Die Kinder sollen durch den Umgang der Eltern mit deren Fehlern lernen, dass es nicht darum geht, perfekt zu sein: Fehler sind nicht schlimm, es ist nur wichtig, sie offen einzugestehen und dem anderen zu verzeihen. Hier sieht Mamalakis auch einen wichtigen Anknüpfungspunkt zum sakramentalen Leben. Die Eltern ermutigt er, die Beichte als integralen Bestandteil einer gesunden Familienkultur zu sehen. „Nur wenn wir Christus ins Zentrum unseres Herzens und unseres Zuhauses rücken, kann er unsere Gebrochenheit heilen und die gestörten Beziehungen wiederherstellen.“

Wertvolle Tipps und Anregungen

„Große Ziele, kleine Schritte“ findet eine gute Mitte zwischen Kontrolle und Gehenlassen. Gerade für die Fragen und Probleme christlicher Eltern bietet das Werk wertvolle Tipps und Anregungen, etwa konkret zu Themen wie Gebet und Gottesdienstgang. Vor allem aber zeigt der Ratgeber, wie aus dem Wachsen als Eltern und dem Wachsen im Glauben ein einziger Prozess wird. Damit sich das Kind als geliebtes Kind Gottes fühlen kann und in einen starken Glauben hineinwachsen darf, braucht es seitens der Eltern die Arbeit an sich selbst und am eigenen Glauben.

Philip Mamalakis: Große Ziele, kleine Schritte. Überraschende Erziehungsperspektiven aus den Quellen der christlichen Tradition. Fontis Verlag, Basel 2023, 332 Seiten, ISBN 9783038482475, EUR 19,90

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