Missbrauchsdebatte

Eltern gegen Bischöfe?

Ein Positionspapier zur Prävention von Missbrauch und sexueller Bildung wirft viele Fragen auf. Der Elternverein NRW sieht „pädophile Ansätze“.
Kind wehrt sich mit ausgestreckten Armen
Foto: Imago Images/blickwinkel/Begsteiger

Die Missbrauchsdebatte kennt kein Ende und selbst die Bemühungen zur Prävention von Missbrauch geben jetzt Anlass zu heftiger Kritik. So kritisiert der Elternverein in Nordrhein-Westfalen in einem offenen Brief an die Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz mit erstaunlicher Schärfe das im Frühjahr veröffentlichte „Positionspapier zur Prävention sexualisierter Gewalt und sexueller Bildung an Minderjährigen und schutz- und hilfebedürftige Erwachsenen“.

Zwar sei es „eigentlich lobenswert, dass die Katholische Kirche ein Papier erstellen wollte, um Missbrauch an Schutzbefohlenen im Rahmen ihrer Einrichtungen und ihrer Arbeit in Jugendgruppen aber auch in katholischen Schulen und Kindergarten zukünftig präventiv zu verhindern“. Aber das Papier sei wegen eines „pädophilen Ansatzes“ eher dazu geeignet, das lobenswerte Vorhaben in sein Gegenteil zu verkehren. Darüber sein man „erschüttert“ und „fassungslos“.

Konzept zur „sexuellen Bildung“

Konkret werfen die Vertreter der Elternschaft den Autoren des Papiers und auch den Bischöfen vor, „dass das gesamte Papier, das nicht nur Missbrauch verhindern, sondern auch als Konzept zur „sexuellen Bildung“ dienen soll, von den Theorien des bekanntermaßen pädokriminellen Helmut Kentler geprägt ist“.

Die Präventionsbeauftragten aller deutschen Diözesen würden somit „eine Sexualerziehung empfehlen“, bei der es nicht mehr nur um Wissensvermittlung gehe, sondern in Anlehnung an die Thesen des umstrittenen Freundes von Kentler, Prof. Uwe Sielert, „ausdrücklich auch um die Anwendung des Vermittelten“. Denn, so Sielert, „Wissensvermittlung, die nicht an Erfahrung anknüpfen kann, bleibt unverständlich“. Kinder bräuchten nach dieser Theorie „die Möglichkeit, möglichst unzensierte Intimkontakte mit anderen Kindern aufzunehmen, wenn sie nicht auf die Eltern fixiert bleiben sollen“.

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Folgen frühzeitiger Sexualisierung

Der offene Brief zitiert Sielert und führt aus: „In den von ihm formulierten Standards zur Sexualerziehung empfiehlt er in der Rubrik ,Wissen und Kompetenzen‘ für das Kindesalter von 0 bis 4 Jahren u.a. Masturbation“. Wie konkret er das meine, könne man nicht nur den Abbildungen seines Aufklärungsbuches „Lisa und Jan“ entnehmen, sondern auch seiner Aufforderung an Eltern, die Mädchen bewusster und öfter zu ermuntern, „sich an der Klitoris zu streicheln, um sich selbst Lust zu machen“. Obzwar das Papier der katholischen Präventionsbeauftragten Sielert nur einmal wörtlich zitiere, so heißt es in dem Brief, „ist der ganze Text von dessen Verständnis sexueller Bildung durchsetzt“, die einen „eindeutig pädophilen Ansatz“ verfolge, „geht sie doch von der These einer Kontinuität sexueller Bedürfnisse bei Kindern und Erwachsenen aus. Wer Kinder auf diese Weise frühzeitig sexualisiert, beschützt sie nicht etwa vor Missbrauch, sondern öffnet dem Missbrauch Tür und Tor. Johann Wilhelm Rörig, der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, lehnt deshalb die „Sexualpädagogik der Vielfalt“, die sich ausdrücklich auf Sielert und Kentler bezieht, als gefährlich und kontraproduktiv ab; sie erschwere den Kindern Grenzen zu ziehen und Nein zu sagen“.

Gefährdete Kinder

Das „Entsetzen“ der Elternvertreter bezieht sich nicht nur auf die Grundierung des Papiers durch die wissenschaftlich längst überholten Thesen Kentlers und Sielerts. Als weitere positive Quelle wird in dem Positionspapier auch der französische Philosoph Michel Foucault als Referenz angeführt, gegen den aktuell schwere Vorwürfe wegen des Missbrauchs junger Kinder im Tunesien der 60er Jahre erhoben wurden und der sich 1977 in Frankreich lautstark gegen ein Gesetz zur Bestrafung von Sexualität mit Kindern unter 15 Jahren einsetzte. Denn seines Erachtens gäbe es keinen Grund, warum sexuelle Beziehungen, in die Kinder einwilligen, nicht erlaubt sein sollten. Dazu die Elternvertreter wörtlich: „Dass die Katholische Kirche solche „Experten“ als Referenzen nennt, macht uns fassungslos! Als Vertreter der Elternschaft stehen wir ohne jedes Verständnis und zutiefst besorgt vor der Tatsache, dass die katholische Kirche ihre Präventionsarbeit auf dieser im Ansatz pädophilen sexuellen Bildung aufbauen will“. „Völlig unverständlich“ sei auch, so die Vorsitzende des Elternvereins, Andrea Heck, in einer Pressemitteilung, dass „in diesem katholischen Papier zur Prävention und sexueller Bildung die Worte Ehe, Familie, Liebe gar nicht vorkommen.“ Man sei „zutiefst beunruhigt über diesen Paradigmenwechsel der Katholischen Kirche im Verständnis von Sexualität, betrifft es doch die Arbeit der Kirche in ihren vielfältigen Jugendgruppen, aber auch in katholischen Kindergärten und Schulen. Es geht also um Millionen von Kindern.“

„Papier umgehend überarbeiten“

Der Elternverein NRW appelliert an die Deutsche Bischofskonferenz „als oberste Verantwortliche, dies befremdliche Papier umgehend zu überarbeiten“ oder zu „verwerfen“ und sich „bei aller Offenheit und Benennung unterschiedlicher Sexualitäten und Beziehungsmodellen im Kontext sexualpädagogischer Arbeit auf die Werte von Ehe und Familie“ zu besinnen. Man rufe die deutschen Bischöfe dazu auf, „für eine ganzheitliche, entwicklungssensible und die Schamgrenzen der Kinder achtende Pädagogik in katholischen Einrichtungen einzutreten, in der Sexualität als identitätsstiftende Grundlage der Person, als Körpersprache der Liebe, Zeichen und Kraft der Bindung, Quelle des Lebens und natürlich auch der Lust und des Glücks dargestellt wird. Das sollte die Aufgabe der Kirche sein“.

Auf Anfrage der Tagespost teilte die Deutsche Bischofskonferenz mit: „Wir kommentieren Offene Briefe grundsätzlich nicht“. Zu erfahren war: Das Positionspapier sei „kein Dokument der Deutschen Bischofskonferenz, sondern alleinig in der Verantwortung der Präventionsbeauftragten der Bistümer“.

Kein Positionspapier der Bischöfe?

Man habe das Dokument und deren Pressemitteilung „als Dienstleistung verschickt, da die Konferenz der Präventionsbeauftragten keine eigene Infrastruktur hat“. Mehr war vorerst nicht zu erfahren. Allerdings bleiben einige Fragen offen. Zum Beispiel: Kontrolliert die DBK nicht, was sie verschickt? Könnte man auf diese Weise auch problematische Inhalte in Umlauf bringen? Wer prüft die Verlautbarungen der Präventionsbeauftragten auf ihre Stimmigkeit mit der geltenden Lehre zu Moral und Sitten? Gelten für die Beauftragten noch die allgemeinen Regeln der Loyalität zum Auftraggeber? Wie ist die Auswahl der Beauftragten zustande gekommen? Wie sehen die Auftraggeber den Zusammenhang zwischen Ehe, Familie und Sexualität? Und schließlich: Was passiert jetzt mit diesem Positionspapier? Distanziert man sich von ihm oder soll es zur Anwendung kommen? Und wenn ja, in welchen Diözesen?

Können Eltern in den betreffenden Diözesen dann noch darauf vertrauen, dass ihre Kinder im Geiste der katholischen Lehre erzogen werden und nicht pädophilen Erziehern in die Hände fallen? Unabhängig von diesen Fragen steht nicht nur für die Vertreter der Elternschaft die Frage im Raum, ob dieses sensible Thema „Missbrauchsprävention und sexuelle Bildung“ wegen der zu erwartenden medialen Aufmerksamkeit nicht allgemein zur Chefsache in den Diözesen gemacht werden soll. Gibt es so viel Wichtigeres als den Schutz der Kinder?

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