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Den Nerv getroffen

Experten diskutierten bei einer Fachtagung zu Frühförderung und Geschlechtsidentität über Themen wie das richtige Kita-Alter und die hochkomplexe Entwicklung Jugendlicher.
Ein Mädchen vor einem zerbrochenen Spiegel
Foto: Thomas Imo/photothek.net (imago stock&people) | Laut Kinder- und Jugendpsychiater Alexander Korte kann Geschlechtsdysphorie bei Mädchen Ausdruck eines Entwicklungskonfliktes sein. Er verweist auf Parallelen zur Magersucht, etwa in der gestörten Körperwahrnehmung.

„Die Konferenz hat einen Nerv getroffen!“ So das Fazit eines Teilnehmers nach den Beiträgen der Kinderneuropsychiaterin Mariolina Ceriotti Migliarese und des Kinder- und Jugendpsychiaters Alexander Korte, einem differenziert argumentierenden Kritiker trans-affirmativer Herangehensweisen bei Minderjährigen, die sich im ‚falschen Körper‘ fühlen.

Migliarese sprach bei der Fachtagung „Entwicklung begleiten – Fachliche Perspektiven zu Frühförderung und Geschlechtsidentität“, die am 22. November 2025 in Unterschleißheim stattfand, organisiert durch den Eichstätter Verein Knotenpunkt – Begegnung verbindet e. V., über die Herausforderungen für Eltern und Kind in dessen ersten drei Lebensjahren. Die zentrale Achse der Familie ist für sie die Beziehung zwischen Mann und Frau. Ihr Grundprinzip: Ein Paar ist nie perfekt, muss aber bereit sein, immer wieder zueinander Ja zu sagen. Kinder seien eine wunderbare Gelegenheit, zu reifen und ohne Angst über die eigene Geschichte hinauszuwachsen. In allen menschlichen Beziehungen sei es entscheidend, die richtige Position einzunehmen, persönliche Grenzen zu beachten und eine angemessene Distanz zum anderen zu wahren.

In Hinblick auf das geeignete Lebensalter für den Einstieg in die Kita-Betreuung empfahl Migliarese: nicht in den ersten sechs Lebensmonaten und überhaupt in den ersten zwei bis drei Lebensjahren nur mit Aufmerksamkeit dafür, wer die Bezugspersonen sein werden. Denn die Fähigkeit des Kindes, die Abwesenheit der Mutter als vorübergehend zu erkennen und Fremde anzunehmen, wachse nur allmählich. Das Bewusstsein des Kindes für die eigene geschlechtliche Zugehörigkeit entwickle sich etwa ab dem zweiten Lebensjahr. Es entdecke: Vater und Mutter haben unterschiedliche Körper. Zudem beginne das Kind erst dann, seine Identität durch Worte wie „ich“, „mein“, „nein“ abzugrenzen.

Bezugspersonen im Blick haben

Dies war ein guter Übergang zum zweiten Thema des Tages, der Geschlechtsdysphorie bei Minderjährigen. Diagnostik und Therapie werden in Deutschland kontrovers diskutiert. Die federführende Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (DGKJP) befürwortet einen trans-affirmativen Ansatz. Das heißt in der Praxis, dass das Missempfinden gegenüber dem eigenen Körper, obwohl es im Laufe der Pubertät meist vorübergeht, nicht hinterfragt wird, sondern viel zu schnell Pubertätsblocker, gegengeschlechtliche Hormone und chirurgische Eingriffe angewendet werden, auch gegen den Willen der Eltern. Zu den Folgen gehört eine lebenslange Unfruchtbarkeit.

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Wer auf diese Problematik hinweist, sieht sich – wie es bei ihm erst vor wenigen Wochen anlässlich einer Konferenz in Berlin der Fall gewesen war – aggressiven Bedrohungen durch Aktivisten ausgesetzt. Das berichtete Alexander Korte zu Beginn seines ersten Vortrages, in dem er den wissenschaftlichen Erkenntnisstand zur Geschlechtsdysphorie bei Minderjährigen zusammenfasste.

Bei vielen sei die Trans-Identifizierung eine Möglichkeit, einem ganz anderen Leiden einen gesellschaftlich akzeptierten Ausdruck zu geben. Zu Kortes Hypothesen gehört, dass sich hinter der Geschlechtsdysphorie vor allem bei Mädchen oft ein Entwicklungskonflikt verberge. Es bestehe eine Diskrepanz zwischen der psychosexuellen und der im Vergleich dazu fortgeschritteneren körperlich-sexuellen Entwicklung. Auffällig sei die Analogie zur Magersucht, einer häufigen Begleiterkrankung der Geschlechtsdysphorie. Das veranschaulichte Korte in seinem zweiten Beitrag unter dem Titel „Wahlverwandtschaften?“. Ähnlich wie bei der Geschlechtsdysphorie liege auch bei der Anorexie eine Körperbildstörung vor, die durch viele Faktoren ausgelöst werde. Dazu gehörten ungelöste Entwicklungsaufgaben wie die sexuelle Reifung und das Erwachsenwerden. Stets gehe es um die Suche nach Grenzen und Identität. Essensverweigerung solle dazu dienen, die Zeit anzuhalten – und das sei auch die Grundidee bei der Verabreichung von Pubertätsblockern. Eine Illusion.

Nie muss der Mensch in sehr kurzer Zeit mehr Anpassungsleistungen vollbringen als in der Pubertät. Komplexe Umbauprozesse im Gehirn stehen an, die zunächst eine erhöhte Vulnerabilität mit sich bringen. Und ausgerechnet in dieser Zeit sollen junge Menschen über Maßnahmen entscheiden, die ihren Körper ein Leben lang irreversibel verändern? Für Korte ein Unding.

Mädchen haben es noch schwerer als Jungen, weil bei ihnen die körperliche Reifung oft mit Schmerzen, Gewichtszunahme und einem depressiven Selbstkonzept einhergehen kann.

Mädchen haben es noch schwerer als Jungen

Die daraus resultierende geringe Körperzufriedenheit werde verstärkt durch unrealistische Schönheitsideale, wie oft in den sozialen Medien vermittelt, die auch die äußeren Geschlechtsorgane betreffen. Die Entwicklung einer stabilen weiblichen Identität sei hochkomplex, anspruchsvoll, störungsanfällig und von Krisen begleitet. Die angemessene Antwort ist für Korte eine aufmerksame und geduldige psychotherapeutische Begleitung.

Die Fachtagung richtete sich an thematisch involvierte Berufsgruppen wie Ärzte, Psychologen, Lehrer und Sozialarbeiter. Zugleich gelang es, Eltern und andere Bezugspersonen zu erreichen und so einen Wissenstransfer zwischen Fachwelt und Betroffenen sowie ihren Familien zu vollziehen. Wie notwendig das ist, zeigten die lebhaften Diskussionen, die auch in den Pausen fortgesetzt wurden. Ein Ansatz, der Handlungsfelder eröffnet und Vernetzung ermöglicht. Das ist gerade dort erforderlich, wo Minderjährigen Behandlungskonzepte zugemutet werden, die eine irreversible Weichenstellung für das ganze Leben bedeuten. Gerade weil nicht wenige Transitionierer später diesen Schritt bedauern, sind in vielen Ländern Europas – im Gegensatz zu Deutschland – mittlerweile entsprechende Eingriffe bei Minderjährigen nicht mehr erlaubt.


Der Autor ist Gymnasiallehrer für Katholische Religion und Deutsch.

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Thomas Werner

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