Sexualpädagogik

Das unheilvolle  Erbe Kentlers

Die "Sexualpädagogik der Vielfalt", die heute Standard in  Schulen und Kindergärten ist, geht auf den Missbrauchstäter  Helmut Kentler zurück  .
Kind vor einer Wand
Foto: evgeny atamanenko (189909762) | Das ist das Vermächtnis Kentlers: Ein Konzept, das die Schamgrenzen einreißt und die Kinder sexualisiert.

Unter der Begründung, sexuellen Missbrauch verhindern zu wollen, hat Bischof Georg Bätzing vor Kurzem im Bistum Limburg sexualpädagogische Leitlinien für kirchliche Einrichtungen eingesetzt. Diese ignorieren die kirchliche Lehre und stehen der katholischen Sexualmoral entgegen, wie dem Dokument auch der Philosoph Stephan Herzberg in der April-Ausgabe der "Herder Korrespondenz" bescheinigt.

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Reifemangel

"Ein Mangel an sexueller Reife und qualifizierter sexueller Bildung sind Risikofaktoren für sexualisierte Gewalt und Grenzverletzung", erklärt dazu Holger Dörnemann, Religions- und Sexualpädagoge sowie LSBTI-Beauftragter des Bistums Limburg, der die neuen Leitlinien redaktionell verantwortet. Der Mensch sei "von Geburt an ein sexuelles Wesen mit eigener Sexualität", heißt es in den Leitlinien, und Sexualität eine "positive Lebenskraft". Kinder sollen schon in KiTas lernen, "selbstkompetent" über diese Lebenskraft zu verfügen, um für sich und andere Verantwortung übernehmen zu können. Das pädagogische Ziel, seinen Körper kennenzulernen und seine Sexualität anzunehmen, sei "ein Leben lang zu fördern", beginnend im "Säuglingskurs".

Diese Thesen sind nicht neu. Sie entstammen der "emanzipatorischen Sexualpädagogik", die der einst gefeierte Star der Sexualforschung, Helmut Kentler, 1970 in seinem Buch "Sexualerziehung" entworfen hat. Dort behauptet er, Sexualität sei eine von Geburt an zu fördernde Grundfähigkeit, die wie Sprechen oder Laufen durch Übung erlernt werden müsse. Jedes Kind habe ein Recht auf ein eigenes Sexualleben. Kentler, der Pädophilie befürwortete   während der Strafrechtsreform in den 1970er trat er für völlige Straffreiheit sexueller Beziehungen mit Kindern ein  , promovierte 1975 an der TU Hannover, wo er anschließend als Professor für Sozialpädagogik lehrte.

Seine Dissertation "Eltern lernen Sexualerziehung", erschien als Ratgeberbuch bei Rowohlt. Darin beschreibt er seine Thesen vom "Kind als Sexualwesen" und der Bedeutung der proaktiven Betätigung durch die Eltern: "Lernen durch Tun! (...) So lautet die Grundregel der sexualfreundlichen Erziehung, denn Sexualität kann nur erzogen werden, wenn etwas Sexuelles passiert."

Von Kentler zur Sexualpädagogik der Vielfalt

Helmut Kentler genoss hohe Anerkennung, trat im Fernsehen auf, war bestens vernetzt und äußerst einflussreich. Die von ihm völlig neu begründete Sexualpädagogik trat im Klima der 68er-Bewegung einen wahren Siegeszug an. Sein Meisterschüler wurde der 20 Jahre jüngere Uwe Sielert, dem Kentler ein "väterlicher Freund" gewesen sein soll.  

Sielert, der als habilitierter Pädagoge an der TU Dortmund lehrte, entwickelte Kentlers Ideen ab 1984 in einer von Familienministerin Rita Süssmuth eingesetzten Forschungsgruppe weiter. Mit dieser Gruppe gründete Sielert 1988 das Institut für Sexualpädagogik Dortmund (ISP), in dem er immer noch als wissenschaftlicher Beirat tätig ist.

Das ISP ist heute an Universitäten angegliedert, beliefert die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) mit Publikationen, und wer in Deutschland als Sexualpädagoge anerkannt sein will, hat seine Lehrgänge dort besucht. Aktuelle ISP-Seminare lauten "Wenn da nicht die Eltern wären" oder "Wenn s still wird in der Kuschelecke". Unter Führung des ISP gründete sich 1998 die "Gesellschaft für Sexualpädagogik" (GSP), die seit 2008 ein "Qualitätssiegel" für Sexualpädagogen vergibt. Auch Dörnemann publiziert bei der GSP.

Öffentliche Aufträge

Anfang der 1990er Jahre erarbeitete Sielert im Auftrag der BZgA die neue, länderübergreifende Konzeption von Sexualpädagogik. Versatzstücke daraus sind nahezu wortgleich auch bei Kentler zu finden: Zentral geht es um sexuelle Lust, die bei Kindern durch Erwachsene geweckt werden müsse. Via BZgA brachte Sielert die Sexualpädagogik seines Mentors sogar in die "Standards zur Sexualaufklärung in Europa" der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 2011 ein.

Die kindliche Lebensenergie (= Sexualität) müsse erst befreit werden. Eltern und Erzieher sollen dabei "deutlich über das den Kindern Bekannte und von ihnen Gefragte hinausgehen, weil man sie sonst in ihren schicksalhaft gegebenen Lebensmilieus belassen würde", schreibt Sielert im Beitrag "Sexuelle Bildung von Anfang an! Sexualität und Sexualerziehung im Bildungsauftrag von Kindertagesstätten". 

Stimulation kindlicher Lust

Was er damit meint, hat Sielert in "Lisa und Jan. Ein Aufklärungsbuch für Kinder und ihre Eltern" gezeigt. Illustrationen sexueller Handlungen von Kindern und Erwachsenen und Ermunterungen zu sexuellen Übergriffen reihen sich aneinander: "Kinder brauchen die Möglichkeit, möglichst unzensierte Intimkontakte mit anderen Kindern aufzunehmen, wenn sie nicht auf die Eltern fixiert bleiben sollen. ( ) Wissensvermittlung, die nicht an Erfahrung anknüpfen kann, bleibt unverständlich. ( ) So müssen Mädchen etwas bewusster und öfter ermuntert werden, sich an der Klitoris zu streicheln, um sich selbst Lust machen zu können."

Sielert kombiniert ab 2001 den Kentler-Ansatz mit dem Gender Mainstreaming zur "Sexualpädagogik der Vielfalt". Als Netzwerker, Lobbyist, Ausbilder und Multiplikator treibt er die "sexuelle Bildung" der Kinder unter den Vorzeichen Missbrauchsprävention und Antidiskriminierung im gesamten deutschsprachigen Raum voran. Seine "Sexualpädagogik der Vielfalt" durchdringt inzwischen sämtliche staatlichen und kirchlichen Bildungsträger und -pläne. Eine finanzielle Beschleunigung und Monopolisierung erfuhr sein Projekt durch die Missbrauchsskandale an der Odenwaldschule und in der katholischen Kirche. Selbstredend saß Sielert 2010 in der Arbeitsgruppe Prävention sexueller Missbrauch des Bundesbildungsministeriums. 

Kentler- Experiment 

Den Kentler-Nachfolgern vom ISP dürften ihre zahlreichen Referenzhinweise auf den 2008 verstorbenen Helmut Kentler inzwischen leidtun. Dessen Absturz kam posthum. Ende 2022 bestätigte sich, dass der populäre Sexualreformer ein pädosexueller Missbrauchstäter gewesen war. Kentler lebte offen homosexuell, hatte drei Adoptivsöhne und einen Pflegesohn. Im Zuge seines "Kentler-Experiments" hatte er ab 1969 in Berlin mit Hilfe des Senats und der Jugendämter jahrzehntelang Jungen aus prekären Verhältnissen im Alter von 6 bis 14 Jahren bei pädosexuellen Männern untergebracht. Die "Pflegeväter" waren teilweise vorbestrafte Sexualstraftäter. Die "Resozialisierungsmaßnahmen" dienten als wissenschaftliche Fassade für das pädosexuelle Netzwerk, das Kentler bediente.

Seit 2016 wird Kentler und sein "Experiment" in verschiedenen Studien untersucht. Zwei Opfer   fürs Leben gezeichnet   gingen erstmals an die Öffentlichkeit. Für die Universität Hannover untersuchte Teresa Nentwig Kentlers Doktorarbeit: Zahlreiche Behauptungen waren nicht belegt, bis auf wenige Ausnahmen fehlten sämtliche Nachweise, einige Aussagen waren frei erfunden. Von Wissenschaft keine Spur. Hinzu kommt, dass die Datenbasis seiner von Alfred C. Kinsey übernommenen These vom Kind als sexuellem Wesen ebenso verbrecherisch wie unwissenschaftlich ist. Kinsey stützte sich dabei auf dokumentierte Beobachtungen von Kinderschändern, die notiert hatten, wie oft und wie lange die von ihnen missbrauchten Kinder und Säuglinge zum Orgasmus gekommen waren.

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Prävention muss Schamgrenzen beachten

Nun hat ein Zwischenbericht der Universität Hildesheim zur Studie "Helmut Kentlers Wirken in der Berliner Kinder- und Jugendhilfe   Aufarbeitung der organisationalen Verfahren und Verantwortung des Berliner Landesjugendamtes" etwas Klarheit in den trüben Sumpf der pädophilen Verstrickungen gebracht. Hinter Kentler stand ein bundesweit agierender Pädophilen-Ring, dessen Machtstrukturen sich bis heute durch anerkannte Funktionsträger aus Kirche und Wissenschaft erhalten haben. Und Kentler war nicht nur Vermittler, sondern selbst Täter. Das Netzwerk wirke bis in die Gegenwart, heißt es in der Studie, deren Autoren nur anonymisierte Quellen erhalten haben. Zu den Akteuren gehören laut Studie auch genau jene Wissenschaftler, die Kentlers Schriften weiterhin rezipieren, anstatt sich von seinen Positionen und Handlungen zu distanzieren.

Die "emanzipatorische Sexualpädagogik", die heute über Schule und Kindergarten immer mehr Kinder und Jugendliche erreicht, ist das Vermächtnis Helmut Kentlers: Ein Konzept, das die Schamgrenzen einreißt und die Kinder sexualisiert. Der ehemalige Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, hat vor einiger Zeit das Schamgefühl als einen wichtigen Schutz vor Missbrauch bezeichnet und zu einer Sexualpädagogik aufgerufen, die dies respektiert. "Es ist eine bekannte Täterstrategie, Kinder in Gespräche mit sexuellen Themen zu verwickeln und ihre schützenden Widerstände mit falscher Scham abzutun. Bei Mädchen und Jungen, die Grenzüberschreitungen gewohnt und deshalb desensibilisiert sind, haben die Täter ein leichteres Spiel."


Zur Autorin: Hedwig von Beverfoerde ist Sprecherin von "Demo für Alle" und Vorsitzende des Vereins "Ehe-Familie-Leben". 

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