Eltern und Erziehern aufzeigen, was Erwachsene konkret tun können, um Kindern und Jugendlichen zu helfen und so den seelischen und sozialen Folgen der Pandemie entgegenzuwirken, ist das Hauptanliegen dieser Neuerscheinung. Die Autoren, Mitbegründer des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), schildern zwölf sehr unterschiedliche Einzelschicksale junger Menschen im Alter von drei bis einundzwanzig Jahren. Sie beschreiben Angst und Einsamkeit, Schuldgefühle und geschwundenes Selbstvertrauen, körperliche Symptomatik wie Bettnässen und Bauchschmerzen, gewachsene Aggressivität oder regelrechtes Verstummen sowie den Verlust an Lebensfreude, Kontaktschwierigkeiten und das Gefühl, die Welt wie durch eine Scheibe zu sehen, was vor allem junge Erwachsene betrifft.
Kinder mit sicherer Bindung leiden in Krisen weniger
Tatsächlich wirkten sich die erlebten Beziehungsdefizite individuell verschieden aus. Dies hänge mit der Beziehungsdynamik zwischen Eltern und Kind zusammen, Ausgangspunkt für die meisten seelischen Probleme, Sorgen, Nöte und Verletzungen von Kindern. Demnach tun sich sicher gebundene Kinder, die Resonanz von ihren Eltern erfahren, leichter als Kinder, auf deren Gefühle schon vor der Pandemie zu wenig eingegangen wurde oder sich zu oft abgelehnt gefühlt haben. Soziale Benachteiligung, enge Wohnverhältnisse oder die Überforderung in Trennungsfamilien machten es Eltern zusätzlich schwer, ihren Kindern das zu geben, was sie bräuchten.
Darin liege ein Auftrag an die gesamte Gesellschaft, durch materielle Verbesserungen und umfassende Hilfsangebote gleichwertige Bedingungen zum Aufwachsen von Kindern zu schaffen.
Eine große Wertschätzung für die pädagogischen Berufe als Beziehungsberufe spricht aus dem Kapitel über Schule als Beziehungsort. Weiter wird die außerordentlich hohe Bedeutung des kindlichen Spiels, auch zur Heilung von Verletzungen, erläutert. Ein weiteres Kapitel widmet sich dem Gedächtnis der Gefühle, dem Phänomen ungelebten Lebens in der Pandemie und Traumafolgen.
Den Kindern hilft das Gespräch
Zur Unterstützung von Kindern und Jugendlichen an Kitas und Schulen haben das Institut für soziale Innovationen (ISI) und das Pädagogische Institut Berlin die „Kreativen Stärkungsgruppen“ entwickelt und erprobt. Auch Eltern-Kind-Aktivitäten können auf kreative Weise zum Gespräch anregen und „Unsagbares“ zum Vorschein bringen. Die Autoren präsentieren einige Aktivitäten wie das Basteln von Mutstempeln oder Wunschblumen. Weitere, ansprechend bebilderte Anregungen lassen sich unter www.soziale-innovationen.de und www.paedagogisches-institut-berlin.de finden.
Für ein gutes Leben nach der Pandemie empfehlen die beiden Experten Eltern und Erziehern, Begegnungen zu ermöglichen, den Kindern aber Zeit bei einem langsamen Übergang zu lassen.
Nur wenn auch Eltern ihre Gefühle mitteilten und darüber sprächen, schafften es Kinder, sich zu öffnen und Hilflosigkeit oder Ohnmacht gegenüber dem Virus zu verarbeiten. Erklärungen zum Corona-Virus sollten altersgerecht formuliert werden, und betonen, dass Kinder nicht schuld sind, wenn sich jemand ansteckt. Beim Finden einer neuen Alltagsstruktur, die den Bedürfnissen aller Beteiligter möglichst weitgehend entspricht, sollte auf eine klare Trennung zwischen Arbeitszeiten und Spielzeiten geachtet werden.
Gefühl der Wirksamkeit stärken
„Spielen, spielen, spielen“ lautet ein weiterer Tipp. Wenn Kinder sich in irgendeiner Weise veränderten, bestehe der Königsweg darin, mit ihnen zu spielen. Brettspiele, gemeinsames Musizieren mit einfachen Klangerzeugern wie Rasseln oder offene Spiele im Freien böten Chancen auf Entwicklung und Veränderung. Das Gefühl der Wirksamkeit könnten Eltern durch Handlungen stärken, mit denen Kinder und Jugendliche tatsächlich etwas bewirken, etwa gemeinsames Kochen oder die Reparatur eines Fahrrads. Beziehungswirksamkeit bedeute, die Kinder nicht zu übersehen oder überhören, sondern sich Zeit für sie zu nehmen. Eltern sollten sich aber nicht unter Druck setzen, immer sofort etwas bewirken zu müssen. Innehalten, hinspüren und achtsam sein helfe dabei. Mit wertvollen Tipps zur Selbstfürsorge für Eltern und Pädagogen schließt das empfehlenswerte Buch.
Udo Baer, Claus Koch: Corona in der Seele. Was Kindern und Jugendlichen wirklich hilft. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2022, ISBN: 978-3-608-98086-8, EUR 18,-
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