Die einzigen Opfer von Corona sind die Frauen“, „Zunahme der häuslichen Gewalt“: Solche Titel kennzeichnen den Trend vieler Medienbeiträge zum Thema „Familie in Zeiten der Pandemie“. Die positiven Aspekte der Entwicklung werden selten angesprochen, obwohl sie real vorhanden sind. Ein erster Überblick macht es deutlich.
Alles begann mit der Verkündung des Lockdowns durch die Bundesregierung Ende März dieses Jahres. Eine Folge war: Die Bildungseinrichtungen inklusive Kitas gingen in den Schlafmodus und die Kinder blieben ganz einfach zu Hause. Dazu gesellten sich die Eltern, die auch zu Hause bleiben mussten. Die klassische Familie war komplett. Und sie kehrte damit, nolens volens, zu ihrer eigentlichen Rolle als kleinste Zelle und Stütze der Gesellschaft zurück.
Familie vermittelt Stabilität
In Krisenzeiten vermittelte Familie schon immer Stabilität, Sicherheit, sie war und ist Hort der Geborgenheit. So auch in Zeiten von Corona. Ohne besonderen Auftrag übernahm sie wieder – fast wie selbstverständlich – bisher staatliche Aufgaben in der Pflege und Kinderbetreuung. Und nach Anweisungen durch die Lehrkräfte wurden Familien sogar zu Außenstellen des Digitalunterrichts, Stichwort: „Homeschooling“. Die in Deutschland noch bestehende Schulpflicht, und damit das Verbot des Hausunterrichts, wurde so auf kaltem Wege ausgehebelt, wenigstens zeitweise. Auch die Diskussion um das Homeschooling wurde belebt. Immerhin ist Deutschland das einzige Land in Europa, in dem die Bildungspflicht auf die Präsenz in der Schule focussiert ist – sie heißt eben Schulpflicht – während sie in anderen Ländern auch zuhause erfüllt werden kann. Angesichts zunehmender Übergriffe des Staates in die Erziehungshoheit der Eltern – etwa beim Sexualkundeunterricht – ist die Option homeschooling durchaus aktuell. Eine weitere Belebung der Debatte ist in diesem Sinn wünschens-, ja erstrebenswert.
Entschleunigung durch Homeschooling
Der Elternverein NRW hat dazu ausführlich die Eltern befragt und es haben auch viele Eltern geantwortet (siehe www.elternverein-nrw.de). Die positiven Ergebnisse werden so zusammengefasst: „Die Homeschooling-Zeit hat sich als eine entschleunigende Zeit gezeigt, die die meisten Familien sehr gut genutzt haben. Es wurde sehr oft genannt, dass es gut war, viel mehr Zeit füreinander zu haben, und dass es gut für das Kind war, zusammen zu lernen. Viele Eltern berichteten, dass sie ihr eigenes Kind nun besser einschätzen können und seine Schwächen und Stärken besser kennen. Es wurde sogar oft berichtet, dass die Kinder nun eine Verbesserung in bestimmten Fächern erreicht oder dass sie endlich eine bessere Rechtschreibung entwickelt haben. Eine sehr große Zahl der Eltern plädiert für die grundsätzliche Zulassung von Homeschooling.“
Ferner hätten „die Kinder durch diese Zeit zuhause eine deutliche Verbesserung im Lernverhalten erlebt“, sie seien „selbstständiger geworden und haben den Umgang mit dem PC und mit den Medien verbessert“. Deutlich verbessert hätte sich auch „der Zusammenhalt in der Familie, unter den Schülern und sogar bei den Eltern untereinander“. Auch „die Grenzen der Vollzeit-Berufstätigkeit sind durch diese Zeit erkennbar geworden“. Etwas weniger als ein Drittel der Eltern hätten, so die Umfrage, „keine positiven Erfahrungen in dieser Zeit gehabt. Als störend wurde empfunden, dass innerhalb einer Stadt jede Schule komplett anders agiert, was chaotisch wirkt. Mehrere Eltern schrieben, dass ihre Kinder die Schule und den geregelten Alltag sehr vermissen und dass sie extrem überfordert sind mit allen Aufgaben, mit denen sie jetzt konfrontiert sind.
Win-Win-Situation durch Homeoffice
Außer der Bildung zuhause gibt es noch einen wesentlichen und vielleicht sogar systemrelevanten Bereich, der sich in die Familie verlagert hat: die Büro-Arbeit. Viele Arbeitgeber haben sozusagen „Niederlassungen“ in den Familien gegründet. Für bestimmte Arbeitgeber stellen Väter oder Mütter ihre Wohnung ganz selbstverständlich für das „Homeoffice“ zur Verfügung. Das soll jetzt sogar gesetzlich geregelt werden. Mit Corona wurde das Homeoffice jedenfalls ohne große gesellschaftliche Diskussion zu einer kostengünstigen Alternative der Arbeitsplatzgestaltung. Diese Alternative entwickelt sich allmählich zu einer Win-Win-Situation für den Arbeitgeber und auch für den Arbeitnehmer. Letzterer nutzt den Vorteil einer flexiblen Arbeitszeitgestaltung mit gleichzeitiger Präsenz in seiner Familie.
Für die Arbeitsabläufe problematisch ist die Betreuung der Kleinkinder, sie könnten mitunter ein konzentriertes Arbeiten im Homeoffice behindern. Aber auch das gehört zum bundesweiten Experiment Zusammenleben in der Arbeits- und Beziehungsgemeinschaft „Familie“ in Zeiten von Corona. Zusammenleben bedeutet in diesem Kontext ein intuitives, praxisnahes Rollenverhalten von Vater und Mutter. Mit der Präsenz aller Familienmitglieder zu Hause bekommt die von Fall-zu-Fall-Arbeitsaufteilung einen praktikablen Stellenwert.
Gleichgewicht zwischen Arbeit und Familie
Ein weiterer positiver Punkt ist der Zeitgewinn. Der Wegfall einer nervigen, fast täglichen Planung der Zubringerfahrten für die Kinder (Schule, Kindergarten, Ballet et cetera) bedeutet mehr Zeit für eine flexible Freizeitplanung mit den Kindern, zum Beispiel für Spiele am Küchentisch. Oder Vater geht mit dem Sohn zum Fußball, Mutter mit der Tochter Shoppen oder zum Sandkasten und einmal wöchentlich hat Pappi einen ganzen Tag Babytag. Allerdings verdient auch die Diskussion über das Homeoffice eine weitere Diskussion. Es muss verhindert werden, dass, wie Arlie Russell Hochschild in ihrem Buch „Keine Zeit“ schon vor fast 20 Jahren schrieb, „die Firma zum Zuhause wird und zu Hause nur Arbeit wartet“. Die berühmte Work-Life-Balance sollte tatsächlich im Gleichgewicht zwischen Arbeit und Familie gehalten werden, der Effizienzkult sollte die Familie nicht überrollen oder versklaven. Angesichts der Verfügbarkeit vieler Arbeitnehmer und entsprechend langer Zeiten am Arbeitsplatz ist die Diskussion über eine neue Aufteilung der Arbeit in Büro und Zuhause aber durchaus positiv zu sehen.
Das Verlassen von eingeübtem Verhalten in Vor-Corona-Zeiten bringt auch kritische Punkte. Die doppelte Belastung seitens der Frauen und die daraus folgende notwendige Rollenanpassung kann auch zunächst mehr Reibungspunkte zur Folge haben. So gibt es auch Artikel, in denen Frauen sich darüber beklagen, dass sie ihrer bisherigen Routine nicht entfliehen können. Auch ein erwartetes Rollenverhalten ihrer Umgebung kann das Selbstverständnis ihrer Rolle, zum Beispiel als Vollzeit-Mutter, untergraben. Hinzu kommt der häufig von Frauen beklagte Unwille der Väter, Familienarbeit mit zu übernehmen. Hier setzen Feministen mit ihrer Kritik an. Jutta Allmendinger, die bekannteste feministische Professorin, warnte vor einem „Re-traditionalismus“. War's das? Wahrscheinlich nicht. Die große Zukunft des Feminismus und des Genderismus liegt in der digitalen Indoktrinierung über die Tablets der Schüler – vorbei an den Lehrern und Eltern. Ein großer deutscher Konzern für Bildung und Wissen hat sich in diesem Sinn schon lange vor Corona vorbereitet auf die Digitalschule. Auch hier ist das kritische Auge der Eltern zuhause sicher positiv zu werten.
Rückkehr der Familie zur Häuslichkeit
Noch leben wir in Corona-Zeiten und niemand weiß, wie die Entwicklung verlaufen wird. Aber eins lässt sich für die große Mehrheit der Familien als positives Ergebnis und Erlebnis schon heute sagen: Es ist die Rückkehr der Familie zur Häuslichkeit mit Gewinn an Zeit für ein längst vergessenes Miteinander. Fast frei von staatlichen und externen Abhängigkeiten hat die Familie jetzt die Chance, zu einer neuen Selbstverantwortlichkeit zurückzufinden. Und welche Entwicklung sich auch immer durchsetzt, Corona hat jetzt schon gezeigt: Die Familie war in der Lage, wie immer in Krisenzeiten, der Gesellschaft Halt zu geben und sich kreativ dem Zeitgeist zu widersetzen.
Der Autor ist Publizist und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft AGENS eV. Sie setzt sich ein für eine gelebte Ungleichheit in einem neuen Miteinander zwischen Mann und Frau.
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