„Das Böse selbst hat sich hier gezeigt.“ Der Erzbischof von San Francisco, Salvatore Cordileone, findet deutliche Worte für das, was am 19. Juni im Golden Gate Park passiert ist. „Hier geschah ein Sakrileg. Das ist ein Akt des Bösen.“ Der Erzbischof redet nicht abstrakt. Er sagt deutlich „the Evil One“. Für Cordileone muss der Teufel dabei gewesen sein, als der Mob hier wütete. Dabei riss er nicht nur das Denkmal von Ulysses S. Grant nieder, der als General auf Seiten der Unionstruppen im Amerikanischen Sezessionskrieg kämpfte. Rund hundert Randalierer zogen auch die Statue des heiligen Junípero Serra zu Boden. Damit schlugen die Aufständischen nicht nur das Denkmal, sondern auch das Kreuz in der Hand des Missionars in den Dreck. „Die Statue wurde auf blasphemische Weise niedergerissen“, sagt Cordileone. Der Erzbischof sah sich deswegen am 27. Juni zu einem Exorzismus veranlasst – und stimmte mit Gemeindemitgliedern das Gebet des heiligen Michael am selben Ort an.
Verfälschtes Gedenken
Cordileone wuchs in der Nähe von San Diego auf, der ersten Mission, die Junípero in Kalifornien gründete. Zeit seines Lebens hatte er eine starke Bindung zu diesem Missionar Kaliforniens, dessen Gründungen nicht nur Basis der späteren katholischen Gemeinden waren, sondern auch vieler Städte an der Westküste. Er fühle eine große Wunde in seiner Seele, wenn das Gedenken an den Heiligen so verfälscht würde, der ein „großer Held“ und ein „großer Verteidiger“ der indigenen Bevölkerung gewesen sei. Die Proteste hinsichtlich des Unrechts von Schwarzen in der amerikanischen Gesellschaft seien „wichtig“, jedoch von einem „von Gewalt getriebenen Mob“ gekapert worden.
Der Fall hatte auch im Ausland für Aufsehen gesorgt. Die Spanische Botschaft schaltete sich ein: „Wir bedauern zutiefst die Zerstörung der Statue des heiligen Junípero Serra.“ Sie drückte außerdem ihre Besorgnis darüber aus, dass weitere Stätten „geteilter Geschichte“ zum Ziel von Attacken werden könnten. In der US-Politik wird der Fall dröhnend beschwiegen. Die Demokraten, die jahrzehntelang als Interessenvertreter katholischer Wähler galten, sehen sich unter Druck. 2015, als die Heiligsprechung des gebürtigen Mallorquiners bevorstand, versuchte die Partei vom vatikanischen Glanz zu profitieren.
„Pionier Kaliforniens“
Der kalifornische Gouverneur Jerry Brown verteidigte ihn als einen der „Pioniere Kaliforniens“, der heutige Präsidentschaftskandidat Joe Biden posierte mit Papst Franziskus bei seiner US-Visite vor einer Statue des Missionars. Heute versuchen die Demokraten selbst Kapital aus den „Black Lives Matter“-Protesten zu schlagen, um über den Volkszorn ins Weiße Haus zurückzukehren. Ironischerweise führt der Wahlkampf mit Minderheiten ad absurdum: denn das Heischen um die schwarze Minderheit vernachlässigt nicht nur die katholische Klientel, sondern auch die hispanische, die in dem katholischen Spanier und der damit verbundenen Identität Kaliforniens als ehemals mexikanische Provinz eine identitätsstiftende Figur sieht. Ganz offenbar sind einige Minderheiten gleicher als andere – oder die Demokraten glauben, vom Krokodil nicht gefressen zu werden, so sie es nur genügend füttern.
Rückkehr des Anarchismus
Was die Neue Welt seit einigen Monaten sieht, ist die veritable Rückkehr eines Anarchismus, der zuerst den Süden des Doppelkontinents erfasst hat. Die Ursachen und die Exzesse der dortigen Unruhen beachtete der Westen lange nicht. Bereits im November brannten chilenische Kirchen. Sie wurden gewissermaßen als „Kollateralschäden“ bei zivilen Unruhen eingestuft. Ähnliches gilt für die aktuellen Fälle in den USA. Dabei ist das Milieu, aus dem sich der gewaltbereite Teil der BLM-Bewegung speist, offensichtlich linksextrem. Das jakobinische, revolutionäre Element linker Gruppen hat dabei historisch weder in der Französischen Revolution noch in der Oktoberrevolution aus reinem Zufall gegen christliche Einrichtungen randaliert. Und der „Fall Junípero“ ist im aktuellen ikonoklastischen Kapitel nicht der Beginn, sondern dessen Schlüsselpunkt.
Denn bereits in der ersten Juniwoche beschmierten „Black Lives Matter“-Anhänger eine maronitische Kirche in Los Angeles mit Parolen wie „Tötet alle Polizisten“ und verunstalteten sämtliche Außenwände. Ähnlich erging es der berühmten St. Patrick?s Cathedral in New York, die am helllichten Tag Opfer von Graffiti wurde. Die Kathedralbasilika von Denver wurde mit Sprüchen wie „Gott ist tot“ oder „Pädophile!“ bekritzelt; die Türen gelten als irreparabel beschädigt. In Dallas schlugen die Randalierer die Fenster der St. Jude Chapel während der Sonntagsmesse ein. „Ich schaute in ihre Augen und dachte: Wow, die wissen nicht einmal, was sie tun. Da war nur dieses Lächeln, dass sie etwas Gutes tun“, erzählt Vater Jonathan Austin, der an diesem Tag predigte. In der Basilika von Minneapolis wurde Feuer unter einer Bank gelegt, das sich jedoch nicht ausbreitete.
Geschichte neu schreiben
Die Ausradierung der eigenen Geschichte zugunsten einer neuen, selbst geschaffenen Ordnung ist kein unbekanntes Element; das Christentum als Quelle westlicher Identität war dabei auch nie ein kollaterales „Nebenopfer“ oder stand gar am Ende der Verfolgungskette. In Frankreich wie Russland wendeten sich die Wegbereiter der Revolution noch vor der Machtübernahme gegen die Kirche, die mit ihrem universalen Anspruch als ideologischer Überfeind gelten musste. Kein Ausfall, sondern zwingend logisch war es demnach, als Shaun King von der BLM-Bewegung die Zerstörung von Christusbildern forderte, weil diese die „Weiße Suprematie“ darstellten. Dass christliche Kunst sich an keinem rassischen Ideal orientiert, sondern an der regionalen Kultur – die mestizische Madonna von Guadalupe ist das beste Beispiel –, kann da mal schnell vergessen werden.
Der jüngste Versuch, den heiligen Ludwig IX. vom Sockel zu ziehen, verdeutlich den grundsätzlich jakobinischen Charakter. „Es ist Revolution, es ist Zeit, dass sich was ändert, und es ist unsere Mission Nummer eins, das Ding runterzuziehen“, sagt Moji Sidiqi, die nicht nur den Bilderstürmern, sondern auch dem Regional Muslim Action Network angehört. Die Stadt, die den Namen des französischen Königs trägt, solle ebenfalls umbenannt werden. Der Selbstmord der westlichen Zivilisation könnte kaum deutlicher beschrieben werden, als die damnatio memoriae eines allerchristlichsten Königs und die Tilgung seines Namens aus einer Stadt, die ihm seine Identität erst verdankt.
Gläubige werden gehetzt
Anders als Junípero kommen in St. Louis Katholiken zur Hilfe. „Sankt Ludwig war ein Mann, der sein Königtum dazu nutzte, um seinem Volk Gutes zu tun“, verkündet Vater Stephen Schumacher. Wie beim spanischen Heiligen will die Belehrung nicht wirken. Die Absurdität, christliche Statuen niederzureißen, um „religiöse Diversität“ zu erreichen, kann man offensichtlich nicht erkennen; vielleicht ist das angesichts tatkräftiger Unterstützung durch Muslimverbände auch gar nicht gewollt. Stattdessen werden die betenden Gläubigen gejagt, mit Knüppel gehetzt und tätlich angegriffen. Doch die Betenden können den Fall des heiligen Königs abwenden. Es ist derselbe Tag, an dem Cordileone in Los Angeles seinen Exorzismus durchführt.
„Der momentane, säkulare Ikonoklasmus wird keine Versöhnung, keinen Frieden, keine Heilung bringen. Solche Gewalt wird nur Vorurteile und Hass verstetigen, den sie angeblich zu beenden sucht. Nur die Liebe Christi kann ein verletztes Herz heilen, nicht ein zerstörtes Stück Metall“, sagt Bischof Donald Hying von Madison in einem Schreiben vom 23. Juni. Es sind Worte, die in dieser Situation verzweifelt klingen. Denn der Bildersturm hat auch Europa erreicht. Auf Mallorca war es wieder der heilige Junípero, dessen Statue mit der Parole „Rassist“ beschmiert wurde. Im polnischen Breda erkoren die Vandalen ein Madonnenbild auf einem Soldatenfriedhof zum Zielobjekt. Dass es dabei ausgerechnet eine Schwarze Madonna traf, zeigt den wahren Geist des neuen Jakobinertums.
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