Der „wahre Kern“?

Weil er nicht an Jesus glauben konnte, bastelte sich Thomas Jefferson seine eigene Bibel. Von Burkhardt Gorissen
Thomas Jeffersons cut-and-paste-Bibel
Foto: Foto: | Jesus ohne Wunder: Thomas Jeffersons cut-and-paste-Bibel. IN

Thomas Jefferson war einer der führenden Köpfe seiner Zeit. Er war einer der Gründerväter der USA, deren dritter Präsident er wurde. Nebenbei produzierte der bekennende Freigeist auch noch eine eigene Version des Neuen Testaments. Im Riva-Verlag erschien sie 2018 erstmalig in Buchform auf Deutsch. Der für seine „soziale Phobie“ bekannte Jefferson war nach heutigem Verständnis ein Nerd. Er forschte als einer der Ersten in den Staaten auf dem Feld der Archäologie und gilt zudem als einer der Begründer der historischen Jesusforschung. Damit nicht genug. Vom Kongress beauftragt, verfasste er die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika.

Die Haltung des intellektuellen Tausendsassas in Religionsfragen erklärt sich aus dem Deismus der Aufklärung. Wie viele Aufklärer gehörte auch Jefferson der Bruderschaft der Freimaurer an, nach deren „Alten Pflichten“ es gilt, sich „zu der Religion zu verpflichten, in der alle Menschen übereinstimmen“. Jesus ist dieser relativistischen Interpretation nach nicht „der Weg, die Wahrheit und das Leben“, sondern steht in einer Reihe mit Weltlehrern wie Konfuzius, Buddha, Platon, Sokrates und Mohammed. Warum Gott und Kirche keinen Platz im Kosmos der Aufklärer haben, begründete Jefferson so: „Der Korruption des Christentums stehe ich in der Tat ablehnend gegenüber, aber nicht den wahren Prinzipien Jesu. Ich bin ein Christ in dem Sinne, wie er es wollte.“ Die Prinzipien Jesu wollte er allerdings selbst bestimmen, denn die Bibel bezeichnete er als Märchenbuch. Folglich fiel alles weg, was sich rational nicht erklären ließ. Mit seinem Rasiermesser schnitt Jefferson jene Passagen aus den Evangelien, die für den christlichen Glauben die wichtigsten sind: Die Gottessohnschaft Jesu, die Jungfräuliche Geburt, die Auferstehung und die Himmelfahrt. Sie passten ebenso wenig in sein materialistisches Weltbild, wie Engel, Wundertaten oder Heiligkeit. Von Jesus stammte, so meinte der selbsternannte Pionier der Religionsfreiheit, nur „der feinste und gütigste Moralkodex, der je der Menschheit angeboten wurde“. Die von ihm ausgewählten Passagen seiner cut-and-paste-Version stellte er chronologisch neu zusammen. Zurück blieb ein im Original 82-seitiges humanistisch-gnostisches Fragment, in dem jegliche Basis der christlichen Lehre fehlt.

„Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge./ Und als acht Tage um waren und man das Kind beschneiden musste, gab man ihm den Namen Jesus“, heißt es in Kapitel 1. Mehr berichtet die Humanistenbibel nicht über die Geburt Jesu. Herausgeschnitten auch die Stelle aus Lukas 12, 20, aus der hervorgeht, dass die Seele eines Menschen nicht ihm selbst gehört, sondern Gott, der sie zurückfordern wird. Böse Absicht oder Hybris? Jefferson nannte seine Schnippelei „The Life and the Morals of Jesus of Nazareth“, besser bekannt unter dem Namen „Jefferson Bible“.

Um die Beweggründe zu verstehen, lohnt eine nähere Beschäftigung mit einem der weltweit einflussreichsten Männer seiner Epoche. Als Abgesandter der Vereinigten Staaten in Frankreich riet er Ludwig XVI. dazu, sein Vermögen in die überseeische Kolonie Amerika zu stecken. Das bedingte nicht zuletzt die Staatspleite, in deren Folge die Französische Revolution entstehen konnte. Uneigennützig war der Ratschlag keineswegs, Jefferson war nicht nur Parteigänger des revolutionären Chaos, er bereitete es tatkräftig vor, unter anderem als Mitglied der Pariser Loge „Les Neuf Soeurs“ (Die Neun Schwestern) – der Logenname ist von den neun Musen abgeleitet. 1778 wurden Benjamin Franklin und Voltaire Ehrenmitglieder der „Neun Schwestern“. Franklin wurde sogar ein Jahr später Logenmeister. Als er nach langem Auslandsaufenthalt nach Amerika zurückkehrte, wurde an seiner Stelle Thomas Jefferson aufgenommen.

Jefferson hielt sich viele Sklaven und hatte Affären

Allem Geheimbündlerischen zum Trotz, Jefferson war ein kühler Rechner. So gibt es einen Beleg von 1792, der feststellt, dass jedes „neugeborene Negerkind“ einem Profit von vier Prozent per annum gleichkomme. Was für seine gewerblichen Einnahmen galt, zählte auch familiär. Kinder jedenfalls zeugte er einige. Der „freie Mann von gutem Ruf“ hatte ein Verhältnis mit der 15-jährigen Schwarzen Sally Hemings. Er zeugte mit der 30 Jahre jüngeren Sklavin ein Kind nach dem anderen. Mindestens sechs, vielleicht auch sieben. Mit dem Slogan „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ nahm es der Philosoph und Plantagenbesitzer eben nicht unbedingt so genau. In einem normalen Arbeitsjahr besaß er etwa 200 Sklaven. Dass er während seiner Lebenszeit zwei und mit seinem Testament fünf befreite, mutet wie ein schlechter Scherz an. Was die Jefferson-Bibel anbelangt, sie wird in unserer relativistischen Zeit bewusst nach oben gespült. Ins Deutsche übersetzt hat sie Tobias Huch, „eine der schillerndsten Figuren im deutschen Internet“ (Rhein Zeitung, Koblenz). Der vom Koblenzer Landgericht wegen Steuerhinterziehung verurteilte „Erotikunternehmer aus Mainz“ (Spiegel), schreibt in seinem Vorwort, die „Jefferson-Bibel“ habe ihn geerdet.

Den Untertitel der deutschen Ausgabe gibt es im Original nicht, wie jedoch aus „Life and Morals of Jesus of Nazareth“ im Deutschen „Der wahre Kern des Neuen Testaments“ wird, lässt sich kaum mit Erdung oder Freiheit des Geistes erklären. Fragen bleiben bei der Lektüre. Wozu dient die Jefferson-Bibel heute? Ein veraltetes, kunstloses Fragment als Basis für die Neue-Welt-Religion? Eine Art archaisches Welt-Ethos? Jedenfalls der Inhalt ist vorne konvex und hinten konkav.„Es war aber an der Stätte, wo er gekreuzigt wurde, ein Garten und im Garten ein neues Grab, in das noch nie jemand gelegt worden war./ Dahin legten sie Jesus,/ und wälzten einen großen Stein vor die Tür des Grabes und ging davon.“ Damit endet Jeffersons vergeblicher religiöser Flugversuch.

Natürlich ist es absurd, in einem Text, der eindeutig nur aus einer weltanschaulichen Perspektive zusammengestoppelt wurde, den „wahren Kern des Neuen Testaments“ zu sehen. In Wahrheit ging es wohl darum, den wahren Kern zu verhüllen mit dem Ziel, Jesus zu entchristlichen. Es ist der „Rauch Satans“, der aufsteigt, wenn Jesus zum Wunderrabbi herabgewürdigt wird, oder das Neue Testament auf einen diesseitsorientierten Humanismus zurechtgestutzt wird.

Auch der Glaube will verteidigt werden. Welchen Wert hätte das Christentum ohne die biblisch verbriefte Gottessohnschaft? Jeder rechtgläubige Katholik weiß, das Beharren auf der Einzigartigkeit des Christentums hat nichts mit Fundamentalismus zu tun, sondern ist schlichtweg Grundlage des Glaubens. Alles andere wäre Gottesleugnung – oder heidnische Schwärmerei. Übrigens, das Jefferson Memorial ist dem römischen Pantheon nachgebildet, einer heidnischen Kultstätte.

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