Vor dem Herrn zu singen und zu spielen erfordert, wie man schon in der Geschichte von König David nachlesen kann, vollen Körpereinsatz. Denn der biblische Herrscher und Begründer jenes Stammbaumes, auf den Jesus Christus zurückgeführt wird, griff nicht nur zur Harfe, um seinen Psalmengesang zu begleiten, er tanzte auch vor dem Herrn. Ein ähnliches Multitalent ist auch der polnische Countertenor und Breakdancer Jakub Józef Orlínski. 1990 in Warschau geboren, machte er seine ersten musikalischen Erfahrungen im Kinderchor. Seine Countertenorstimme entwickelte Orlinski bereits als Teenager, als er Teil eines neunköpfigen aus Männerstimmen bestehenden Vokalensembles wurde, das sich schwerpunktmäßig mit Renaissancemusik beschäftigte und in dem er die entsprechenden Parts übernahm. Seine musikalische Vorliebe für die „King Singers“ motivierte Orlínski, diesen Weg weiter zu verfolgen und seine Fertigkeiten im Countertenorgenre zu vervollkommnen, was er unter anderem als Mitglied des von Berenika Jozajtis geführten Männerensembles Gregorianum tat, mit dem er innerhalb Polens und darüber hinaus auftrat.
Mitglied der Opernakademie am Großen Theater in Warschau
Sein Musikstudium absolvierte das junge Talent an der Fryderyk Chopin Musikuniversität und nahm während seiner Ausbildung an einer Reihe von Performances teil, die von der Aleksander Zelwerowicz National Akademie für Schauspiel organisiert wurden. Im Opernfach konzentrierte Orlínski sich naturgemäß auf ein Repertoire, das seiner Ausbildung als Countertenor entgegenkam, wie beispielsweise als Ruggiero in Georg Friedrich Händels Oper Alcina, in der er unter anderem in Aachen und Cottbus auftrat. Als Countertenor trat Orlínski auch solistisch in Erscheinung, wie beispielsweise in Liederabenden mit Kompositionen von Henry Purcell in Leipzig.
Seit mehr als zehn Jahren Mitglied der Opernakademie am Großen Theater in Warschau, ist Orlínski inzwischen weltweit auf großen Bühnen wie der Carnegie Hall, dem Lincoln Center for the Perfoming Arts New York, in Frankfurt, London und Berlin zu hören und zu sehen. Seine bemerkenswerten Fähigkeiten als Champion Breakdancer entfaltet Jakub Józef Orlínski als Mitglied der Gruppe Skill Fanatikz Crew. Die Liste seiner Auszeichnungen ist beeindruckend und beinhaltet mehrfach den Gewinn erster und zweiter Preise bei Gesangswettbewerben in New York und Polen, den „Opus Klassik Award für Gesang Solo“ in Deutschland, sowie weitere Preise für seine Einspielungen Anima Sacra oder sein Album Anima Aeterna in London und Deutschland.
Schlüssel für den Erfolg des jungen Künstlers
Schaut man sich die Homepage Orlínskis an, trifft man auf einen Menschen, der sich naturverbunden und als ganz Ohr präsentiert. Was Orlínski gekonnt ins Bild setzt, verfolgt er selbstverständlich auch auf musikalischer Ebene. Die geistliche Musik des 18. Jahrhunderts etwa, die er auf seinem Album „Anima Aeterna“ erklingen lässt, repräsentieren sein Empfinden, dass „die Schatten und Farben, die in der Sakralmusik des Barock zu hören sind, die Seelen der Menschen auch heute berühren. Anima Aeterna bedeutet ,ewige Seele‘, was für mich Natur heißt“, sagt Orlinki, „etwas, das so vital und so gefährlich und gleichzeitig so ruhig, energetisierend und heilend ist.“
Der hier formulierte Zugang erweist sich als Schlüssel für den Erfolg des jungen Künstlers, der gleichermaßen die Sehnsucht der Menschen nach einer erneuten Erfahrung ihrer untrennbaren Verbundenheit mit der Natur und mit dem geistlichen Leben anspricht. Dass Orlínski dies immer wieder neu gelingt, hat neben der Verbindung von Natur und Spiritualität, die er in seinen CDs und auf der Bühne präsentiert, auch mit seinem Sinn für besondere Orte zu tun, an denen Aufführungen geistlicher Musik große Strahlkraft entwickeln. Dies war beispielsweise bei seinem Auftritt im Concert de Paris am Eiffelturm mit dem Orchestre de l´Opéra National de Lyon der Fall, das weltweit ausgestrahlt wurde und große Resonanz fand. Dass Profile von ihm in The New Yorker und der polnischen Ausgabe der Vogue erschienen, verschafft ihm auch in der Presse jene große Bühne, auf der er als Künstler schon lange zu Recht zuhause ist. „Orlínski ist der einzig wahre Countertenor, einer der besten, die ich auf der Opern- oder jeder anderen Bühne gehört habe“, sagt Roger Parker über den jungen polnischen Shooting Star.
Künstlerische Ausstrahlung
„Er hat ein außergewöhnliches Legato, verliert nicht die Kraft in den tiefen Stimmlagen, hat eine exzeptionell präzise Aussprache und künstlerische Ausstrahlung. Kurz: er hat die Messlatte für das, was wir von einer Stimme in dieser Art von Repertoire erwarten können, signifikant angehoben“, bekräftigt der Musikwissenschaftler, der am Kings College in London lehrt und auf das Opernfach spezialisiert ist. Dass der junge Musiker Kooperation kann, ist auf seinem 2022 erschienenen Album Farewell zu hören, das er gemeinsam mit Michal Biel herausgebracht hat. Der überwiegende Teil der Produktionen des polnischen Ausnahmemusikers beschäftigt sich mit geistlicher Musik. Und er hat nicht nur einen Sinn für die großen Komponisten, sondern entreißt immer wieder neu hörenswerte Werke weniger bekannter und bislang kaum oder gar nicht aufgeführter Komponisten dem Vergessen. Begleitet vom italienischen Barockorchester Il Pomo d´oro sang er allein auf seiner CD Anima Sacra acht Weltersteinspielungen und rief viele weitere, bereits in der Vergangenheit aufgeführte, dann aber zu Unrecht aus dem Repertoire verschwundene Werke wieder ins Bewusstsein der Musikinteressierten. Die Weite des Geistes, die diesen jungen Musiker prägt, zeigt sich auch darin, dass er das polnischsprachige Repertoire wie auf seinem letztjährigen Album „Farewell“ auf der internationalen Bühne bekannt macht. Die klangschöne polnische Sprache, die viel zu selten – zumal in begeisternder Weise musikalisiert – zu hören ist, auf CD zu bannen, ist zweifellos ebenso verdienstvoll wie bereichernd.
Absolut ikonisches Meisterwerk
Jakub Józef Orlínski ist ein ungewöhnlich vielseitiger und kreativer Künstler, der auch vielfach gehörten Werken neue Facetten abzugewinnen vermag. Dies gilt beispielsweise für seine Neuaufnahme von Antonio Vivaldis berührendem „Stabat Mater“, einem, wie der Sänger betont „absolut ikonischen Meisterwerk, von dem ich bereits als Studienanfänger träumte, es irgendwann gemeinsam mit Orchester umzusetzen“. In seiner Einspielung verleiht er, was aufführungstechnisch im Hinblick auf die Entstehungszeit des Werkes höchst angemessen ist, den Arien emotional ausdrucksstarke opernhafte Züge. Aber Orlínski tat noch mehr. Er ergänzte die Tonaufnahme durch ein ungefähr zwanzig-minütiges Musikvideo, eine Technik, die eigentlich in der Unterhaltungsbranche zuhause ist und dort zu Recht große Wirkung entfaltet, die aber natürlich ebenso im Bereich der geistlichen Musik eingesetzt werden kann. Die unkonventionelle visuelle Annäherung an Vivaldis Sakralmusik zeigt eine Auseinandersetzung, die das Werk auf eine neue Weise kontextualisiert und als persönliche Stellungnahme eines Ausnahmekünstlers zu sehen ist, der seine Stimme so auf mehr als eine Weise zum Klingen bringt.
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