Geschichte

Sarona bei Tel Aviv: Wo einst die Templer lebten

Sarona bei Tel Aviv war das erste Regierungszentrum des vor 75 Jahren gegründeten Staates Israel.
Gebäude der Templer mitten in Tel Aviv
Foto: BB | Deutsches Flair: Eines der stabilen unterkellerten 37 Gebäude der Templer mitten in Tel Aviv, die so anders sind als die Stadt aus der Bauhaus-Retorte.

Im November 1947 stimmten die Vereinten Nationen, mit dem sogenannten Teilungsbeschluss des britischen Mandatsgebiets Palästina, der Etablierung eines jüdischen und arabischen Staates zu. Am 14. Mai 1948 rief der israelische Staatsgründer David Ben Gurion in Tel Aviv den Staat Israel aus. Während der Unabhängigkeitserklärung überflogen arabische Kampfbomber Tel Aviv und bombardierten den nahe gelegenen Flughafen Lod.

Am Tag zuvor war der große jüdische Siedlungsblock Etzion südlich von Bethlehem in arabische Hände gefallen, die letzten 100 jüdischen Verteidiger wurden brutal ermordet, zum Feiern war damals niemand aufgelegt. Die Armeen von fünf Araberstaaten, nämlich von Ägypten, Transjordanien, Irak, Syrien und Libanon, die schon einige Jahre zuvor unabhängig geworden waren, standen in oder vor Palästina. Die Proklamation des jüdischen Staates durch David Ben Gurion erfolgte einen Tag vor dem Abzug der Briten. Da dieser Tag wegen der zu erwartenden Unruhen sehr kurzfristig festgelegt wurde, musste im Endeffekt alles ganz schnell und spontan gehen. Erst kurz vorher war klar, dass die Unabhängigkeitserklärung im Kunstmuseum von Tel Aviv erfolgen sollte. Wie der neue Staat heißen sollte, entschied sich erst am Tag des Massakers von Etzion, einen Tag vor der Staatsgründung. Zur Auswahl neben Israel standen auch „Judenstaat“, „Zion“, „Judäa“ oder „Ivri“.

Einen arabischen Staat in Palästina verhinderten die arabischen Nachbarstaaten, da sie dachten, damit auch die Gründung eines jüdischen Staates zu verhindern. Ein dramatischer Fehler und eine große Hypothek, wie sich herausstellen sollte. Auch die Frage des Regierungssitzes wurde kurzfristig geklärt. Der neue Staat hatte während der britischen Mandatszeit seit 1917 zwar eigene Strukturen, wie eine Geheimarmee, Firmen, Gewerkschaften und Siedlungen aufgebaut, aber keine Vorkehrungen für eine Regierungsübernahme getroffen.

Ben Gurion und die Templer

Die Hauptstadt Israels war von Anfang Jerusalem, aber diese Stadt war damals so umkämpft, dass dort keine Regierung tagen konnte. So kamen die festen unterkellerten Häuser der Templer ins Visier der Staatsgründer. Amtssitz wurde das Haus Wilhelm Aberles in der ehemaligen deutschen Templersiedlung Sarona, wo auch die israelische Regierung zum ersten Mal zusammentrat. Die Aberles stammten aus Neuffen am Fuß der Schwäbischen Alb, sie waren als Templer zusammen mit 1 500 weiteren Siedlern im 19. Jahrhundert ins Heilige Land, das zum Osmanischen Reich gehörte, ausgewandert, um dort die Wiederkehr des Erlösers zu erwarten. Bei Jerusalem, Jaffa und Haifa, in Galiläa und der Scharon-Ebene gründeten sie sieben Siedlungen. Die Mitglieder der Gemeinschaft verstanden sich als „lebendige Bausteine“ eines Gotteshauses, das sie damals mit ihrer Arbeit im Heiligen Land errichten wollten. Fast alle Templer hatten landwirtschaftliche oder Handwerks-Berufe, die sie in dem wirtschaftlich seit Jahrhunderten daniederliegenden Land dringend brauchten. Sie bauten feste Straßen und errichteten erstmals einen Kutschenfahrdienst im Heiligen Land.

David Ben Gurion, der 1886 in Plonsk in dem zu Russland gehörenden Kongresspolen geboren worden war, hatte sich erstmals 1906 in Palästina niedergelassen, wo er von 1906-1913 in der Nähe von Jaffa in Orangenhainen und Weinkellern arbeitete. Es könnte durchaus sein, dass er bereits damals Kontakt mit den Templern hatte, denn im Orangenanbau und dem Weinbau hatten diese lange Zeit bei Jaffa das Monopol. Wie viele andere Pioniere und Templer litt Ben Gurion an Malaria. Als landwirtschaftlicher Arbeiter gewann er die Überzeugung, dass wahrer Zionismus die Besiedlung des Landes bedeutet. Genau dies war auch die Überzeugung der christlichen Zionisten aus Württemberg.

Die Siedlung der Templer

1871 hatten Templer ungefähr vier Kilometer nördlich der damaligen Stadt Jaffa unweit des Flusses Yarkon 100 Hektar Land eines griechisch-orthodoxen Klosters gekauft und hier ihre Siedlung Sarona gegründet. Der Name Sarona stammt aus der hebräischen Bezeichnung der Küstenebene, die auch heute noch in Israel Scharon-Ebene heißt. Schon im zweiten Jahr der Gründung raffte die Malaria 28 der 125 Siedler hinweg. Danach begann man mit der Pflanzung von 1 300 Eukalyptusbäumen, die die Sümpfe trockenlegten und die Malaria besiegten. Sarona wurde innerhalb kurzer Zeit zu einer Mustersiedlung. Auch wenn es schon Orangen und Zitronenanbau gab, so begannen die Templer doch mit dem plantagenartigen Anbau und vor allem der Vermarktung dieser Zitrusfrüchte. Auf seiner Reise durchs Heilige Land besuchte auch Kaiser Wilhelm II. am 27. Oktober 1898 Sarona und überzeugte sich von der Tüchtigkeit seiner Landsleute. Der bekannte Asienforscher Sven Hedin, der 1916 Sarona besucht hatte, war begeistert. Für ihn war es ein Land „voll Milch und Honig“, also das Symbol des Heiligen Landes schlechthin.

1917 wurde die osmanisch-deutsche Armee in Palästina besiegt, die Briten übernahmen das Land und erklärten es in der Balfour-Deklaration zu einer Heimstätte für die Juden. Gleichzeitig wurden die Templer zuerst nach Ägypten ausgewiesen, aber schon 1920 konnten sie zurückkehren und konnten unter den Briten noch erfolgreicher ihre Geschäfte fortsetzen. Das 1909 gegründete Tel Aviv wuchs unter dem britischen Mandat schnell an Sarona heran. Im Zweiten Weltkrieg kam dann das Ende des deutschen Sarona, weil viele Templer das Dritte Reich Hitlers unterstützten. 1939 wurden sie zunächst in ihren Siedlungen interniert und ab 1941, als die deutsche Wehrmacht in Nordafrika stand, von der britischen Mandatsmacht nach Australien deportiert. Nach dem 2. Weltkrieg dienten die Gebäude der Templersiedlungen als Kasernen der britischen Mandatsmacht.

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Hakirya, der erste Regierungssitz Israels

Bereits 1947 hatten die Briten die Sarona-Kasernen verlassen. In den Weinkellern der Templer baute fortan die jüdische Geheimarmee Haganah 15 Militärflugzeuge aus Ersatzteilen der britischen Armee zusammen – es waren die Anfänge der israelischen Luftwaffe. Da der neue Staat von Anfang an mit einem Krieg überzogen wurde, brauchten die Ministerien einen militärischen Schutz. Diesen fanden sie in Sarona. Die unterkellerten deutschen Häuser von Sarona waren bei diesen Ministerien und auch bei der Armee beliebt. Die einstige deutsche Kolonie, jetzt mitten in Tel Aviv, wurde zum ersten provisorischen Sitz der israelischen Regierungsbüros. Die Militärbasis Sarona wurde Hauptquartier der Zahal, der israelischen Armee, mit Sitz des Verteidigungsministeriums und hieß fortan ha-Qiryah (hebräisch „der Komplex“). Die Bezeichnung soll auf Staatsgründer David Ben-Gurion zurückgehen. Hakirya wurde von 1948 bis 1955 der erste Regierungssitz Israels, bevor die Regierung nach Jerusalem umzog. Auch danach noch befand sich lange der zweite Amtssitz des Regierungschefs in einem der Templerhäuser. In Sarona war auch die erste Zentrale des israelischen Geheimdienstes Mossad; ein Ort, der selbst in Israel kaum jemand bekannt war. Die einstige deutsche Kolonie, die jetzt Hakirya hieß, war jahrelang ein Sperrgebiet im neuen Judenstaat, für Jahre und Jahrzehnte vergessen und mit Stacheldraht abgesperrt. Als Geheimdienst und Militär mit dem Wachsen der Millionenstadt das Viertel verließen, verfielen die Templer-Häuser. 1999 sollten sie sogar abgerissen werden.

Aus Hakirya wird wieder Sarona

Seit der Jahrtausendwende stieg das Interesse an diesen besonders stabilen unterkellerten 37 Gebäuden mitten in Tel Aviv, die so anders sind als die Stadt aus der Bauhaus-Retorte. Ein Meilenstein war 2003 der Entschluss der UNESCO, Tel Aviv aufgrund seiner einmaligen Bauhausarchitektur zum Weltkulturerbe zu erklären. Die Stadtverwaltung Tel Aviv begann sich um den Erhalt und die Renovierung Saronas zu kümmern, das zum größten Denkschmalschutzprojekt der Stadt wurde. Der Militärfiskus verkaufte einen Teil Saronas an Bauentwickler. Die historischen Bauten wurden renoviert, das Umfeld gärtnerisch neu gestaltet und der Ort 2013 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. In den ehemaligen Templerhäusern, von denen aus zwischenzeitlich der Staat Israel regiert worden war, etablierten sich Restaurants, Cafés und Designer-Läden. Das Viertel erhielt sogar seinen alten deutschen Namen zurück, einige Touristenattraktionen erhielten ebenfalls deutsche Namen wie „Biergarten“ oder „Bäckerei“.

Dominante Hochhäuser

Sarona ist heute ein vornehmes Ausgehviertel Tel Avivs geworden. Rund um die niedrigen Templerhäuser wuchsen 17 Hochhäuser in die Höhe, mit Wohnungen, Büros, einem Einkaufszentrum und einem Luxushotel. Dies alles war nur möglich dank der in den letzten Jahren sehr eng gewordenen deutsch-israelischen Beziehung. Viele Israelis sehen in den Templern heute sogar Vorläufer der zionistischen Pioniere Palästinas; auch diese kamen mit dem religiösen Anspruch, aus einer Wüste ein fruchtbares Land zu machen. Von dieser religiösen Motivation finden sich sogar noch einige Spuren auf den Häuserfassaden, die in deutscher und arabischer Sprache Sprüche aus der Bibel wiedergeben.

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