Geschichte

Rückgabe der Benin-Bronzen: Falsche Empfänger?

Nachkommen der Sklaven in Nordamerika protestieren gegen die Rückgabe der Benin-Bronzen an die Nachkommen der Sklavenjäger.
Annalena Baerbock und ihr nigerianischer Amtskollege  Geoffrey Onyeama
Foto: IMAGO/Florian Gaertner (www.imago-images.de) | Außenministerin Annalena Baerbock und ihr nigerianischer Amtskollege Geoffrey Onyeama, bei einem Gesprüch aus Anlass der Rückgabe der Benin-Bronzen.

Die Benin-Bronzen, antike Bronzegüsse aus dem historischen Königreich Benin im heutigen Nigeria, sind Gegenstand eines heftigen Konflikts. Politisch einflussreiche Nigerianer fordern lautstark die Rückgabe ihres angeblichen nationalen Kulturerbes. Dabei werden sie von postkolonialen Agitatoren und Museumskuratoren im Westen und deren geschichtsunkundigen Regierungen unterstützt. Die „Restitution Study Group“, die sich für Amerikaner einsetzt, die von Sklaven abstammen, spricht sich jedoch gegen ihre Rückgabe aus, da die meisten heutigen Afroamerikaner von Westafrikanern abstammen, die von den Königen (Obas) des Königreichs Benin gefangen und an die europäischen Sklavenhändler verkauft wurden. Die „Restitution Study Group“ (RSG), hat eine Klage eingereicht, um die Rückgabe einiger Benin-Bronzen aus dem Smithsonian Museum in Washington DC an Nigeria zu verhindern. Sie behaupten, dass die Bronzen auch zum Erbe der Nachkommen von Sklaven in Amerika gehören.

Verletzungen der Sklaverei bestehen bis heute weiter

Deadria Farmer-Paellmann ist die Geschäftsführerin der Restitution Study Group (RSG), ein gemeinnütziges Institut mit Sitz in New York, das im Jahr 2000 gegründet wurde, „um innovative Ansätze zur Heilung der Verletzungen von ausgebeuteten und unterdrückten Menschen zu untersuchen und umzusetzen“. 100 000 Sklaven, die nach Amerika gebracht wurden, stammten aus Häfen, die einst von Händlern aus dem Königreich Benin kontrolliert wurden, wie beispielsweise Lagos, sagt Farmer-Paellmann. Sie beruft sich auf Aufzeichnungen der Transatlantic Slave Trade Database, die von der Emory University in Atlanta betrieben wird.
Farmer-Paellmann verlangt von der nigerianischen Regierung, die Bronzen mit den Nachfahren versklavter Menschen – etwa 3, 6 Millionen in den USA – zu teilen.

Die Bezahlung dieser Sklaven erfolgte in Messingmanillen, oft in Form von schweren Armbändern, aus denen die Benin-Bronzen gegossen wurden. Jetzt schickt man diese Bronzen ausgerechnet an das Edo-Volk zurück, dessen Vorfahren für die Sklavenjagden verantwortlich waren, behauptet die RSG. Die Bronzefiguren wurden nach der britischen Strafexpedition von 1897, mit der der damalige Oba und sein Regime abgesetzt wurden, als Kriegsbeute nach London geschickt und anschließend an viele große Museen in aller Welt verkauft. Die RSG argumentiert (und Metallurgen stimmen ihr zu), dass ein erheblicher Teil der Bronzen aus dem Metall gegossen wurde, mit dem ihre versklavten Vorfahren seit dem 16. Jahrhundert gekauft worden waren – was sie im wahrsten Sinne des Wortes zu „Blutmetall“ macht – und sie möchte, dass sie sicher in Museen aufbewahrt und mit ausführlichen Erklärungen zu ihrer Herkunft ausgestellt werden. Auf keinen Fall, so argumentiert die RSG, sollten sie zurückgeschickt werden, um dem modernen Nigeria oder den Nachkommen der Sklavenhändler zu nützen – und womöglich ganz zu verschwinden.

Alarmierender Zustand

Dieses Argument wird von den Museumskuratoren ernst genommen. Sie müssen auch anerkennen, dass sich viele Bronzen, die sich seit der Unabhängigkeit Nigerias 1960 in der Obhut des nigerianischen Staates befinden, in einem alarmierenden Zustand befinden oder sogar verschwunden sind. Im November 2022 listete die neu ins Leben gerufene Online-Datenbank „Digital Benin“, die von Deutschland kuratiert und finanziert wird, 5 246 Bronzen in 131 Institutionen weltweit auf. Aber es wurden auch offensichtliche Probleme mit den nigerianischen Sammlungen und der Aufbewahrung aufgedeckt. Der chaotische Zustand der nigerianischen Museen und der „Nationalen Kommission für Museen und Denkmäler“ (NCMM) ist für alle sichtbar.

Die Kunstwerke des Königreichs Benin waren keineswegs die Beute einer bösartigen kolonialen Expedition im Jahr 1897, wie viele Aktivisten behaupten, sondern die Beute eines Krieges, der ein mörderisches Regime, das der letzten Großhandelssklavenhändler Westafrikas, absetzte und den Oba verbannte. Die Obas brauchten auch nach dem Verbot des Sklavenhandels 1833 durch die Briten und später auch durch die Brasilianer weiterhin Sklaven für Menschenopfer, die sie durch Überfälle auf die benachbarten Stämme im heutigen Nigeria erlangten. Die britische Strafexpedition von 1897 diente zwar der Eingliederung des Beninreiches in die Kolonie, aber sie war auch eine der großen humanitären Leistungen des Empire. Die Bronzen dokumentieren bis heute diesen Akt.  Großbritannien hat sich vieler unentschuldbarer Episoden in seinem Kolonialreich schuldig gemacht, aber die Strafexpedition nach Benin im Jahr 1897 gehörte bei vernünftiger Betrachtung nicht dazu, behauptet die RSG.

Eigentum übertragen

Im vergangenen Jahr übertrug die deutsche Regierung dem NCMM das Eigentum an 1 130 Benin-Bronzen, die sich in fünf ihrer staatlichen Museen befinden. Dies wurde in Berichten als der Beginn einer nicht mehr aufzuhaltenden Welle von Restitutionen aus „schuldigen“ Museen in Europa und Nordamerika gepriesen.
Am 15. Dezember 2022 legte ein Tanker mit flüssigem Erdgas aus Nigeria in Wilhelmshaven an, die erste Lieferung im Rahmen eines mehrjährigen Abkommens, das die durch Russlands Krieg gegen die Ukraine ausgelöste Energiekrise lindern sollte. Fünf Tage später, am 20. Dezember, flogen die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock und die Kulturstaatsministerin Claudia Roth, beide Mitglieder der deutschen Grünen, in die nigerianische Hauptstadt Abuja, um 22 der 1 130 Benin-Artefakte zu übergeben, deren Eigentum die deutschen staatlichen Museen an das nigerianische NCMM übertragen haben.
 
Der derzeitige Oba von Benin Ewuar II. boykottierte die Übergabe-Feierlichkeiten, so wie er auch dem Start der Datenbank „Digital Benin“ im Monat zuvor ferngeblieben war. Entgegen der Rede von Außenministerin Baerbock repräsentieren die Bronzen weder die nationale Kultur Nigerias, noch gehörten sie jemals einem Staat: Sie waren Privateigentum des Oba von Benin, der 1897 abgesetzt wurde. Das Königreich besteht zwar nicht mehr, aber die Nachkommen der Obas haben repräsentative öffentliche Funktionen und sie erheben privaten Anspruch auf sie. Viel Macht haben die etwa 2, 7 Mio Edos, die Nachkommen der einstigen Bewohner des Königreichs Benin im heutigen Nigeria nicht mehr, denn sie stellen nur noch 1 Prozent der Bevölkerung dieses größten Landes Afrikas. Die meisten Edos sind heute Christen, nur das Königshaus huldigt noch der alten Ahnenreligion.
Der derzeitige  König (Oba) Ewuar II. (70) war Botschafter Nigerias in Schweden und Italien und kennt deshalb die europäische Denkweise. Dieser europäischen Denkweise ist Außenministerin Baerbock voll gerecht geworden, als sie die Verbrechen der Europäer in der Kolonialzeit anprangerte und einräumte, dass auch Deutschland „ungeheures Leid verursacht“ habe. Baerbock und Roth sprachen aber weder von der Schuld der einstigen Sklavenhändler in Afrika und sie sprachen nicht von dem Erdgas-Deal, der hinter der Rückgabe der Bronzen steckte. Dazu gehört auch ein 3-Milliarden-Euro-Vertrag für Siemens, um die endlose Stromkrise in Nigeria zu lösen. Siemens ist auch für die Tankerladungen von Flüssigerdgas, die nach Deutschland kommen, und für die Planung einer 4 000 Kilometer langen Pipeline verantwortlich, die nigerianischen Wasserstoff durch die Sahara nach Europa bringen soll.
Im Gegenzug gehen die vielen Millionen Pfund und Euro an Fördergeldern, die das Britische Museum und die deutsche Regierung bereits in das EMOWAA (Edo Museum of West African Art) Projekt gesteckt haben, nun in das persönliche Museum des Oba, für das bereits die Fundamente ausgehoben werden. Die Nachkommen ehemaligen Sklavenjäger werden also jetzt sozusagen mit der Rückgabe der Bronzen für ihren Verdienstausfall nach dem Ende des Sklavenhandels entschädigt. Das macht eine simplifizierte europäische Sicht auf das historische Problem der Sklaverei in Afrika möglich.

Zurück an die Sklavenjäger

Eine Journalistin, die das Verhalten der deutschen Regierung genau beobachtet hat, ist Brigitta Hauser-Schäublin, Professorin für Ethnologie an der Universität Göttingen im Ruhestand. In vier pointierten Zeitungsartikeln, darunter in der FAZ, wies sie nach, dass sich die „Declaration of Understanding“ des Außenministeriums kaum darum zu kümmern schien, wohin die Kunstwerke tatsächlich gingen. Restituierte Bronzen gehen nicht nur in die Hände der ehemaligen Sklavenjäger, sondern laufen auch Gefahr, verloren zu gehen, und zwar für die Wissenschaft. Hauser-Schäublins schärfste Kritik in ihren Zeitungsartikeln richtet sich direkt gegen das NCMM und dessen Verwaltung der staatlichen Sammlungen Nigerias seit 1960. Dort sind scheinbar Hunderte von Bronzen verschwunden. Auch die 22 Bronzen, die bisher „dem nigerianischen Volk“ zurückgegeben wurden, wie Minister Baerbock im Dezember schwärmte, sind bislang von der afrikanischen Bevölkerung, deren Würde sie laut Baerbock angeblich helfen sollen wiederherzustellen, nicht gesehen worden. Die Aufarbeitung kolonialer Schuldkomplexe ist sinnvoll – wenn sie ehrlich ist und alle Beteiligten einbezieht.

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Themen & Autoren
Bodo Bost Bündnis 90/ Die Grünen Claudia Roth Georg-August-Universität Göttingen Nigerianische Regierungen Sklavenhandel

Weitere Artikel

Wenn historische Aufarbeitung hypermoralisch wird und historische Ungerechtigkeiten mit moralischem Zeigefinger behoben werden sollen.
14.05.2023, 05 Uhr
Anna Diouf
Noch vor Jahresfrist galt Robert Habeck als der große politische Kommunikator. Jetzt ist alles anders.
26.05.2023, 11 Uhr
Sebastian Sasse
Gut, ihr Styling kostet etwas, aber will man eine deutsche Außenministerin, die zerzaust und zerknittert Politik macht?
22.04.2023, 05 Uhr
Birgit Kelle

Kirche

Wegen Überfüllung geschlossen: 16000 Pilger aus 28 Ländern wandern am kommenden Wochenende zu Fuß von Paris nach Chartres.
28.05.2023, 13 Uhr
Franziska Harter
In der 56. Folge des Katechismuspodcasts mit der Theologin Margarete Strauss geht es um die Frage, wie der Mensch mit der Vorsehung zusammenarbeitet.
27.05.2023, 14 Uhr
Meldung
„Das war die Vorsehung!“ Aber was genau ist das eigentlich? Dieser Frage widmet sich Theologin Margarete Strauss in der 55. Folge des Katechismuspodcasts.
26.05.2023, 14 Uhr
Meldung
In der 54. Folge des Katechismuspodcasts geht es mit Theologin Margarete Strauss um die Schöpfungstätigkeit Gottes.
25.05.2023, 18 Uhr
Meldung
Historisch, theologisch, spirituell: Welche Aspekte laut "Premio Ratzinger"-Preisträger Ludger Schwienhorst-Schönberger eine zeitgemäße Bibelwissenschaft auszeichnen. 
27.05.2023, 17 Uhr
Ludger Schwienhorst-Schönberger