Während der jüdische Humor, vor allem der aus den Schtetls Osteuropas schon seit den Zeiten der Pogrome legendär ist, waren Araber bislang nicht für ihren Humor bekannt. Das könnte sich jedoch bald ändern, da mit Noam Shuster eine junge israelische Komödiantin auf die Bühne getreten ist, die es wie niemand zuvor versteht, auch den Palästinensern, trotz ihrer Leidensgeschichte, ihren Humor herauszulocken, weil sie perfekt das palästinensische Arabisch dafür in Szene setzen kann. Noams Großeltern väterlicherseits stammten aus einem jiddischen Schtetl Rumäniens, ihre Großeltern mütterlicherseits aus einem jüdischen Viertel im Iran. Vor ihrer Karriere als Komikerin arbeitete Noam Shuster als Co-Direktorin von Interpeace, einer von der UNO gegründeten Friedens-Organisation, die sich sogar mit Hardliner-Siedlern in den besetzten palästinensischen Gebieten trifft. Die 34-jährige Komikerin kritisiert auch die traditionelle Herangehensweise der UN an die Friedensarbeit, der sie vorwirft, von einer zu ernsten Arbeitsatmosphäre geprägt zu sein.
Reparieren mit Humor
Auf der Bühne erliegen viele der Faszination, wenn die sozial engagierte Tochter einer im Iran geborenen jüdischen Mutter und eines in Jerusalem geborenen Vaters, dessen Eltern Holocaust-Überlebende aus Rumänien waren, in perfektem palästinensischen Arabisch Witze über die jahrzehntelange militärische Besetzung der Westbank durch Israel reißt. Ihre Comedy setzt auf skurrile Schocks, um dem Publikum Momente erheiternder Entlastung von alltäglichen Herausforderungen und existenziellen Ängsten zu bieten. „Niemand kann mir garantieren, dass die Welt eine jüdisch-iranische Komikerin lieben wird, die sich mit ihrer Comedy für die Palästinenser einsetzt, aber ich habe mich entschieden, der Welt genau das zu geben“, sagt die israelische Satirikerin Noam Shuster-Eliassi.
„Es ist das Einzige, womit ich beitragen kann dieses Land zu reparieren, das so sehr von Tragödien und Verzweiflung heimgesucht wird“, fügt sie an. Noam Shusters Karriere als Friedensaktivistin nahm 2017 eine abrupte Wendung. Sie hatte vorher an Friedens-Projekten der UN gearbeitet, die dem Extremismus in der israelischen Gesellschaft entgegenwirken sollten; damit war sie gescheitert. Erst als ihr die Geschäftsleitung mitteilte, dass sie 30 Tage Zeit habe, das Programm zu beenden, entdeckte sie den Humor als Friedens-Mittel. Sie konnte jetzt endlich all die Witze anwenden, die sie in den 30 Tagen vor der Einstellung des Programms auf Konferenzen aufgeschrieben hatte, und sie merkte, wie die Leute auf einmal anders zuhörten. Sie fühlte sich endlich frei, über Dinge zu sprechen, die sie wie viele andere Israelis als Tabu betrachtete, darunter Witze über Juden und Araber, aschkenasische Juden und Mizrachi-Juden. Die Freistellung durch die UN-Friedensorganisation machte sie erst zu einer wirklichen Friedensvermittlerin.
Humor schafft Frieden
Humor kann Teil einer wirkungsvollen Friedens-Strategie sein, da er Ungerechtigkeiten auf subtile Weise aufdecken kann. Humor kann Dinge auf den Kopf stellen und zeigen, dass die Wirklichkeit anders ist, als die Mehrheit sie wahrnimmt. Noam verkörpert all dies. Viele Araber konnten nicht glauben, dass es eine jüdische Israelin gibt, die Israel tatsächlich auf perfektem Arabisch kritisiert. Selbst heute noch misstrauen ihr manche Palästinenser im Publikum, viele zweifeln, was sie von ihr halten sollen und fragen sich, ob sie eine Betrügerin ist. Noam bewegt sich auf einem schmalen Grat, aber gerade das erlaubt ihr alles rauszulassen. So kommt es vor, dass Leute, die mit ihren politischen Gedanken sehr weit weg von ihr sind, Spaß haben an ihren Shows. So können plötzlich auch verschleierte muslimische Frauen darüber lachen, wenn Noam die angebliche Fortschrittlichkeit des saudischen Thronfolgers satirisch entlarvt.
Aufgewachsen ist Noam Shuster in dem israelischen Friedensdorf Neve Schalom auf halben Weg zwischen Jerusalem und Tel Aviv, auf einem von dem Trappisten-Kloster Latrun geschenkten Gelände. Entstanden war die „Friedensoase“ 1970 als Initiative eines aus Ägypten stammenden Dominikaners, Bruno Hussard OP (1911-1996). Das Land auf dem sie entstand, war Niemandsland der alten jordanisch israelischen Grenze. Die Entertainerin wuchs mit Hebräisch und Arabisch als Muttersprachen unter Palästinensern und Juden auf, die im Dorf Neve Schalom zusammenleben. In Neve Schalom lebt man nicht nebeneinander, wie sonst in den gemischten israelischen Städten, sondern miteinander. Neben Arabisch erlernte sie jedoch auch, dass man in Israel, wenn man für eine Araberin gehalten wird, auch deswegen diskriminiert werden kann. Sie lernte, sowohl die jüdische als auch die palästinensische Kultur zu feiern und zu respektieren. Es überrascht nicht, dass ihre Identität die Menschen in Israel, sowohl Juden als auch Palästinenser, immer wieder verwirrt hat. In Neve Schalom lernte sie zum Beispiel von Kindesbeinen an, dass der israelische Unabhängigkeitstag nicht nur der Tag der Entstehung des Staates Israel ist, sondern auch der Tag der Katastrophe (Nakba) ihrer palästinensischen Nachbarn, und sie lernte, dies anzuerkennen und den Tag entsprechend zu begehen. Im Nachhinein sagt sie „hätte ich nicht anders aufwachsen wollen, auch wenn es woanders einfacher gewesen wäre“.
„Ich bin eine iranische Jüdin“
Noams iranische Großmutter und Mutter wanderten 1957 nach Israel ein. Die Mizrachi Juden aus den muslimischen Ländern wurden lange in der israelisch jüdischen Gesellschaft, die von aschkenasischen Juden aus Osteuropa dominiert wurde, diskriminiert. Deshalb hielten ihre Mutter und ihre Großeltern, als sie sich in Israel einlebten, zunächst auch die iranische Vergangenheit ihrer Familie verborgen. „Meine Mutter wurde im Iran geboren. Ich bin eine iranische Jüdin, das ist ein großer Teil meiner Identität. Mein Vater wurde in Jerusalem geboren und ist der Sohn von Holocaust-Überlebenden aus Rumänien, auch das ist ein großer Teil meiner Identität. Ich bin mit Palästinensern aufgewachsen, auch das ist ein großer Teil meiner Identität“, sagt sie. Die Identitätsschablonen, in die die „normalen“ Israelis und Araber in Israel hineingeboren werden, passen nicht zu ihr.
2019 hatte Noam Shuster ein Harvard Stipendium in den Vereinigten Staaten erhalten, ihre Comedy-Show mit dem Titel „Coexistence My Ass!“ konnte sie jedoch wegen Corona nicht fertigstellen, als sie 2020 nach Israel zurückkehrte, wurde Noam in ein Quarantäne-Hotel geschickt, wo sie miterlebte, wie Israelis und Palästinenser in einer Zwangsgemeinschaft zueinander finden können. Die Absurdität des Ganzen ließ ihren politischen Humor aufblühen, und an manchen Abenden trat sie in der Lobby des Quarantäne Hotels mit Stand-up-Shows auf. Nur mit Comedy, so sagt sie, kann sie das Gefühl des „Erstickens“ verarbeiten. „Coexistence My Ass!“ ist ein abendfüllendes Programm, das zeigt, wie Humor genutzt werden kann, um Ungleichheit und Rassismus von innen heraus zu bekämpfen. Humor ist ein Instrument, das Millionen von Menschen erreicht, vor allem diejenigen, die für die herkömmliche politische Kommunikation unzugänglich sind. Noam Shuster ist mit ihrer scharfen politischen Satire zu viraler Popularität gelangt und sie hat sich auf einzigartige Weise als frische Stimme in einem faden Nahen Osten positioniert. Noam versucht das „Undenkbare“ zu tun, indem sie mit Humor für Gerechtigkeit und Gleichheit für alle kämpft. „Coexistence, My Ass!“ ist eine sich entfaltende Tragigkomödie, die das Publikum nacheinander zum Lachen, zum Weinen und zum Überdenken des eigenen Platzes in der Welt bringt.
Freund-Feind-Denken überwinden
Der Konflikt vom Mai 2021, als, ausgehend aus Gaza, auch die bisher gemischt jüdisch-arabischen Städte und Stadtteile in Israel von extremistischer Gewalt heimgesucht wurden, waren die erste große Krise zwischen Juden und Palästinensern seit Beginn ihrer Comedy-Karriere, und sie hat gezeigt, wie wichtig ihre Rolle als Künstlerin ist, die sich dafür entscheidet, Verständnis für beide Seiten des Konfliktes zu zeigen. Noam Shuster ist das lebende Beispiel dafür, dass die Frontstellung des Palästinakonfliktes, der zu einem tief verwurzelten Freund und Feind-Denken geführt hat, überwunden werden kann.
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