Weil seine Kirche Saint-Alphonse in der Luxemburger Innenstadt wegen Renovierungsarbeiten für längere Zeit geschlossen werden musste, begab sich ein irischer Pater auf die Suche nach einem alternativen Messort. Fündig wurde er ausgerechnet in einem Industrievorort der großherzoglichen Hauptstadt: zwei Wochen lang machte Father Michael Cusack den Pub „Éirelux“ in Howald-Hesperange zur Kirche.
Ungewöhnliche Lösung
Wer ist dieser 59jährige, jugendlich wirkende Mann, der derart pragmatisch nach einer ungewöhnlichen Lösung sucht, wenn sich ihm eine Herausforderung in den Weg stellt? Der zur Not auch vor einer Lösung nicht zurückschreckt, die in der katholischen Kirche, in der einflussreichen Beamtenschaft Luxemburgs und auch in seinem Redemptoristenorden mindestens ein Stirnrunzeln bis hin zu offener Kritik hervorruft? Denn ausgerechnet in der Stadt, deren Gesicht immer noch von einer Gesellschaft im Umfeld von Banken und den EU- und anderen Regierungsinstitutionen dominiert wird, stellt man sich nicht einfach vor ein Bier-Werbeschild und liest vor immerhin 250 Mitgliedern seiner rund 1 000 englischsprachige Katholiken umfassenden Gemeinde die Messe, während sogar noch weitere 250 online am Gottesdienst teilnehmen.
Vielleicht kommen in der Person von Michael Cusack Eigenschaften zusammen, die für seine Ordensgemeinschaft – Ordensgründer war der heiliggesprochene Kirchenlehrer Alfons von Liguori – ziemlich typisch sind. Er zeigt damit womöglich auch konservativen Kirchgängern einen Weg auf, wie sich tiefgründiger Katholizismus auf eine zeitgemäße Art präsentieren kann. Als Redemptorist ist Cusack Angehöriger der irischen Provinz der „Kongregation des Heiligsten Erlösers“. Sein Arbeitgeber ist jedoch das Erzbistum Luxemburg unter Kardinal Jean-Claude Hollerich, dem eine gewisse Nähe zum amtierenden Heiligen Vater nachgesagt wird. Und auch Father Cusack kann seine Begeisterung für den Wechsel von Benedikt zu Franziskus kaum verhehlen.
Sechs Ordensleute aus der ganzen Welt
Als Michael Cusack selbst noch Student war, Anfang der achtziger Jahre, hatte er schon im Holiday Inn Hotel auf dem Kirchberg gearbeitet, wo die Mitarbeiter der EU-Mandatäre nächtigten. Verschafft hatte ihm den Job der legendäre Redemptoristenpriester Anthony Mulvey, der von 1973 bis 1985 in Luxemburg gedient hatte, bevor er für weitere 24 Jahre in der Ordenszentrale in Rom tätig wurde. Father Mulvey starb im vergangenen Jahr in einem irischen Kloster im Alter von 100 Jahren.
Die Redemptoristen bewohnen in Luxemburg ein Kloster, das mit der nun zu renovierenden Kirche einen beeindruckenden Komplex bildet. „Wir sind hier gerade noch sechs Ordensleute aus der ganzen Welt in einem viel zu großen Gebäude“, erklärt Michel Cusack. „Macht eigentlich keinen Sinn“, stellt er lapidar fest. Dennoch sieht er sich ganz im Reinen mit dem Heiligen Alfons. „Er wäre begeistert“, beantwortet er spontan die Frage, wie dieser denn sein seelisch-gastronomisches Ausweichquartier beurteilen würde. „Er hat immer betont, dass wir mitten unter den Menschen sein müssen.“
Meinungsstarker Priester
Überhaupt zeichnet sich Cusack durch eine entwaffnende Kommunikationsfreude aus. Bei seinen Gängen durch die Oberstadt rund um die Redemptoristenkirche in der Rue des Capucins, eher britisch als irisch mit Regenschirm in der Hand, kommt ihm alle paar Meter jemand entgegen, mit dem ein paar Worte gewechselt werden müssen. Überhaupt wirkt Michael Cusack wie ein Bürgermeister und gar nicht wie ein Mönch, farbenfroh und geschmackvoll, aber immer noch dezent gekleidet mit modisch übergeworfenem Schal. Politiker könnte er sein, immerhin spricht er neben Englisch mit sympathischem irischem Akzent noch Französisch und Portugiesisch. Das ist praktisch, da die Portugiesen die größte Einwanderergruppe Luxemburgs ausmachen. Michael Cusack hat keinerlei Berührungsängste, er hat schon in Brasilien und Afrika gelebt. Zwanzig Jahre lang hat er in Dundalk an der spannungsgeladenen Grenze zwischen dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland und der Irischen Republik gewirkt.
Er ist genauso meinungsstark wie ein Politiker und scheut sich nicht, Stellung zu beziehen. Daher ficht ihn die aufgekommene Kritik an seinem Pub-Stunt nicht an, wenngleich ihn die Medienwelle, die daraufhin über ihn und seine Gemeinde hinweggerollt ist, überrascht hat. „Das war eine verrückte Woche, das muss ich schon sagen“, gibt er dann auch zu und nippt an seinem heißen Kakao. Üblicherweise trifft er Journalisten passenderweise in der Brasserie „Vis-à-vis“ gegenüber von Saint Alphonse. Wenn diese aber ebenfalls geschlossen ist, lädt er ins „Kaale Kaffi“. Vor allem die englischsprachigen Medien haben sich auf das Foto mit dem Pater vor den Zapfhähnen gestürzt. So hat es Michael Cusack in nur zwei Wochen zunächst im heimischen Dublin ins Lokalradio und dann bis nach London in den Evening Standard und in die Sendungen der BBC gebracht. Eine PR-Agentur hätte für die Gemeinde keinen besseren Job machen können.
Jesus war da
Die Renovierungsarbeiten an der Kirche Saint Alphonse hatten im Januar begonnen und könnten bis zu sechs Jahre andauern. „Also brauchten wir ein Ausweichquartier, und zwar nicht irgendeine Kirche, sondern eine, die groß genug ist für unsere etwa 600 englischsprachigen Gläubigen aus mehr als 70 Nationen, die sonntags zur Messe kommen.“ Es hätte auch ein großes Hotel sein können, das aber 4 000 Euro Miete für einen Sonntagvormittag verlangt hatte. Bis jemand eins und eins zusammenzählte: „Ich bin Ire, also wurde mir der Pub ,Éirelux‘ empfohlen. Die Betreiber werden mich schon nicht beißen, dachte ich mir, also fragte ich sie einfach.“ Adrienne und Vincent „Vinnie“ Clarke hatten 2016 ein 800 Quadratmeter großes Lagerhaus renoviert und in einen Irish Pub, ein Restaurant und ein Whiskygeschäft verwandelt. Das Ehepaar war über die geistliche Anfrage ebenso überrascht wie erfreut: Michael und seine Gemeinde waren willkommen. Zusammen mit Tochter Sophia halfen sie beim Auf- und Abbau. Die Messen fanden statt und das Foto des Priesters vor der Bierwerbung für „Hop House 13 Lager“ ging weltweit viral. „Jesus war da, nicht nur während der Eucharistie“, ist sich Pater Cusack entschieden sicher. „Er ist immer da, dafür braucht es keine Kirche.“ Viel wichtiger sei jedoch etwas anderes: „Die Menschen, die uns auf diese Weise neu in den Blick genommen haben, waren besonders berührt.“ Zum Beispiel Adrienne und Vinnie, die beiden Gastronomen, keine ausgesprochenen Kirchgänger: „Sie hatten Tränen in ihren Augen.“
Seitdem Michael mit seiner „Messe im Pub“ globale Aufmerksamkeit erregt hat, habe er viel über die grundsätzlichen Erkenntnisse aus diesem Ausbruch aus den Gewohnheiten nachgedacht. „Wir sind gezwungen, dabei zuzusehen, wie die Menschen der Sonntagsmesse in den Kirchen mehr und mehr fernbleiben. Die Lösung kann doch nicht sein, dass wir in demselben Gebäude verbleiben und darauf warten, dass sie irgendwann von selbst zurückkehren.“
Hierarchien aufbrechen
„Das Zweite Vatikanische Konzil wollte die pyramidale Hierarchie aufbrechen, und trotzdem beten wir immer noch hierarchisch“, erklärt Cusack: „Für den Papst, den Bischof, die Priester und zuletzt für das Volk. Wir müssen das ändern.“ Die Menschen wenden sich ab, der Schaden sei da, „und er ist immens, das kann man nicht länger verleugnen“. Dafür könne man nicht irgendwelchen „anti-kirchlichen“ Medien die Schuld geben: „Die Kirche war für sich selbst in den vergangenen Jahren der denkbar schlechteste PR-Beauftragte in eigener Sache.“ Es gab auch an ihn die Empfehlung, besser nicht mit den Medien zu sprechen. „Das halte ich für grundfalsch“, so Cusack.
„Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, bin ich mitten unter euch“, zitiert der Pater aus der Bibel. „Wo das stattfindet, spielt dabei keine Rolle“, erklärt er. Dennoch sollte der Pub von vorneherein keine Dauerlösung sein. Inzwischen stehen übergangsweise drei Innenstadtkirchen für die englischsprachige katholische Gemeinde Luxemburgs zur Verfügung.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.