Herr Hinse, haben Sie schon als Kind gefastet?
Ich stamme aus einer Bergmannsfamilie, und bei uns war das Fasten deshalb kein Thema, weil bei uns immer gefastet wurde. Natürlich haben wir uns dem kirchlichen Jahresrhythmus angepasst und zum Beispiel freitags kein Fleisch gegessen. Bei uns gab es aber ohnehin wenig Fleisch zu essen, und auf Süßigkeiten konnten wir in der Fastenzeit nicht verzichten, weil es keine gab. Wenn wir einmal eine Tafel Schokolade hatten, haben wir sie durch vier geteilt.
Und was halten Sie heute vom Fasten?
Da müssten Sie eigentlich meine Frau fragen, die schon beim Heilfasten und beim 24-Stunden-Fasten mitgemacht hat, was dann auch zu einer lang andauernden Gewichtsreduktion geführt hat. Da ich keinen Alkohol trinke und wenig Süßes esse, verstehe ich das Fasten in der Fasten- oder Passionszeit so, dass ich mich auf innere Dinge konzentriere, besondere Texte lese oder bestimmte Konzerte besuche.
Das heißt, Sie sind der Meinung, dass man sich auf Ostern vorbereiten muss?
Auf jeden Fall. Bei den Texten, die ich in dieser Zeit lese, kommt immer wieder die Bibel vor, aber auch Werke von Literaten, zum Beispiel der „Canto General“ des chilenischen Dichters Pablo Neruda, dieser große Zyklus über die Leiderfahrung. Die Konzerte, die ich in dieser Zeit besuche, sind besinnlich ausgerichtet und geistlich geprägt.
Welcher Feiertag ist für Sie wichtiger: Karfreitag oder Ostern?
Den Karfreitag können wir nur ertragen, weil es Ostern gibt und Christus auferstanden ist. Wenn es beim Karfreitag geblieben wäre, gäbe es Ostern nicht. Insofern hat Ostern für uns Christen zentrale Bedeutung. Wir müssen nicht leidverliebt sein, wie manche es leider sind, und nicht in das Leid eintauchen, sondern Christus und den Nächsten wie uns selbst lieben.
Und das sagen gerade Sie, in dessen Werk die Kreuze immer präsent sind?
Dass ich mich als Künstler mit dem Kreuz beschäftige, geschah nicht von Anfang an, sondern kam viel, viel später. Als ich 1998 eine Ausstellung in Chile machte, erzählte mir ein einheimischer Künstler, dass Mütter und Witwen, die ihre Söhne und Ehemänner durch Gewalt verloren hatten, mit einfachen Holzkreuzen gegen das Pinochet-Regime demonstriert hätten, um sich damit vor dem anrückenden Militär zu schützen. Das war für mich ein künstlerisches Schlüsselerlebnis, und ich habe noch in derselben Nacht angefangen, Kreuze zu zeichnen. Seither setze ich mich mit dem Kreuz auseinander, aber es hat noch zehn Jahre bis zur ersten Ausstellung gedauert. Seit dieser Ausstellung bin ich mit dem Kreuz unterwegs und damit außerordentlich erfolgreich. Ich bin der lebende deutsche Künstler, von dem die meisten Kreuze in Kirchen hängen, und zwar sowohl in katholischen wie evangelischen Gotteshäusern.
Wie aber kamen Sie überhaupt auf die Idee, das Kreuz zum Leuchten zu bringen?
Meine ersten Kreuze waren noch ganz traditionell und fotorealistisch gearbeitet, wobei ich den Körper Jesu aber nie auf dem Kreuz darstelle, sondern extra. Ich bin nämlich der Meinung, dass man Gott und den Sohn Gottes nicht abbilden kann. Dann habe ich das Material Radiant entdeckt und damit zunächst ein kleines und später ein größeres Kreuz für das Katholisch-Soziale Institut (KSI) in Bad Honnef und dessen Ausstellung „Kreuz mit dem Kreuz“ angefertigt. Das Lichtkreuz fand sofort eine solche Resonanz, dass mir klar wurde, dass ich diese Linie fortsetzen muss. So haben zum Beispiel die Mitarbeitenden des KSI dafür gekämpft, dass das Lichtkreuz im KSI hängen bleibt. Wie sehr dieses Kreuz geliebt wird, hat für mich die Tatsache gezeigt, dass es beim Umzug des Instituts nach Siegburg mit umgezogen ist und die örtliche Zeitung unter der Überschrift „Das Lichtkreuz ging mit“ darüber berichtet hat. Aktuell habe ich wieder zwei Lichtkreuze in Arbeit.
Was war und ist Ihre Intention dabei? Warum bringen Sie die Kreuze zum Leuchten?
Weil das Licht ein zentrales Symbol unseres Glaubens ist. Die weströmischen Kirchen, wie ich sie immer nenne, also die katholische und die evangelische Kirche, haben seit Beginn der Gotik dafür gesorgt, dass das Kreuz nicht mehr, wie noch in der romanischen Zeit, Siegeskreuz blieb, sondern haben es umgedeutet und die Sünde und das Kreuz als Leidenszeichen in den Vordergrund gestellt. Das Licht ist die zentrale Botschaft unseres Glaubens, das Lichtkreuz steht für Befreiung. Warum wir als Christen trotzdem immer so finster daherkommen, entzieht sich meinem Verständnis. Übrigens: Die Ostkirche kennt keine Leidenskreuze.
Würden Sie sagen, wir selbst müssten als Christen leuchten?
Unser Glaube ist schön und lichtvoll, und deswegen müssen wir als gläubige Christen auch leuchten. Gott hat ein Licht in uns gelegt, das wir zum Leuchten bringen müssen. Viele trauen sich das leider nicht. Ihnen müssen wir sagen: Du darfst dein Licht zum Leuchten bringen. Diese Botschaft müssen wir mehr in den Vordergrund stellen; dann werden wir auch wieder anziehender werden. Wir schämen uns zu sehr für unseren Glauben und bekennen uns zu wenig zu ihm und seinen Zeichen.
Sie geben aber zu, dass es ohne Karfreitag kein Ostern gäbe?
Ja, klar, ohne Leid keine Auferstehung, ohne Karfreitag kein Ostern. Wir haben aber in der Kirche jahrhundertelang die Dunkelheit zu sehr in den Vordergrund gestellt. Ob Sie den berühmten Isenheimer Altar von Matthias Grünewald nehmen oder den Altar in der Wittenberger Marienkirche: Bei beiden wird die Leidensseite nach vorn ausgestellt, und die Auferstehung Jesu Christi ist auf der Rückseite zu sehen. Unser Glaube ist aber ein österlicher Glaube.
Was halten Sie davon, dass beim Außenministertreffen der G7 im Rathaus von Münster das Kreuz im Friedenssaal entfernt wurde?
Das ist ganz typisch: Wir nehmen unsere eigenen Symbole weg, damit wir anderen nicht zu nahetreten und sie sich dadurch nicht provoziert fühlen. Dabei würden wir von Gläubigen anderer Religionen mehr geachtet, wenn wir genau das nicht tun würden. Dass wir uns nicht zu unserem Glauben bekennen, führt dazu, dass die anderen uns für Ungläubige halten.
Wollen Sie mit Ihrem Werk eine Botschaft vermitteln?
Ja, ich habe eine klare Botschaft und will den Glauben unter die Leute bringen, das Licht des Glaubens verbreiten. Nicht zufällig trage ich den Vornamen des Missionars der Friesen und Gründer des Bistums Münster, Ludgerus. Der Glaube ist keine Privatsache, wie heute viele meinen, sondern eine öffentliche Angelegenheit. Deshalb vertrete ich den Glauben mit Überzeugung offensiv.
Ernten Sie damit auch Widerspruch, etwa indem die einen Sie kritisieren, weil Sie ihnen zu sehr Mann der Kirche, und die anderen, weil Sie ihnen zu sehr Künstler sind?
Genauso ist es, aber ich erwarte auch nicht nur jubelnde Zustimmung, sondern freue mich geradezu über Widerspruch. Manche haben sich von mir abgewandt, weil sie meinen, ich sei in die klerikale Kunst abgerutscht, und fragen mich: Wann kehrst du zur Kunst zurück? Und dann gibt es Pfarrer wie kürzlich einen in Werne, der unter meinem Lichtkreuz keine Messe feiern will, weil es ihn irritiert. Das Lichtkreuz soll aber auch irritieren. Die Freiheit der Kunst besteht nicht darin, dass ich mich nicht mit religiösen Symbolen beschäftige, sondern gerade darin, dass ich es tue.
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