Die Europäische Stiftung Aachener Dom (ESAD) und das Karlspreisdirektorium, das alljährlich den Internationalen Karlspreis der Stadt Aachen verleiht, veranstalten gemeinsam das „Global Supper“ an dem geschichtsträchtigen Ort. „Unsere Idee ist, in einer Welt, in der die Konfrontation überhand nimmt, alle an einen Tisch zu bringen, miteinander essen, reden und diskutieren zu lassen“, erklärte der Vorsitzende des Karlspreisdirektoriums, Jürgen Linden, bei der Vorstellung der ungewöhnlichen Installation. „Leider gibt es momentan in der Realität diesen Tisch nicht, an dem man über den Frieden verhandeln könnte, weil die Bedingungen dafür nicht gegeben sind.“ Trotzdem müsse alles dafür getan werden, um Menschen unterschiedlicher Herkunft und Meinungen weltweit zusammenzuführen. Wie Linden weiter ausführte, soll die Installation zum Nachdenken anregen, wo der Platz des Einzelnen an dem symbolischen Tisch sein könne.
„Der Kreuzgang des Aachener Doms mit seiner großen Geschichte – in der Pfalzkapelle Karls des Großen wurden über 600 Jahre lang Könige gekrönt ist auf jeden Fall der richtige Ort, um eine solche Ausstellung zu zeigen“, betonte Linden. Sie passe auch ideal in das Rahmenprogramm des Karlspreises, der am Sonntag an Präsident Wolodymyr Selenskyj und das ukrainische Volk verliehen wurde, und in das Vorfeld der Aachener Heiligtumsfahrt, die vom 9. bis 19. Juni stattfinden soll. „Das Global Supper stellt eine doppelte Verbindung zum Aachener Dom her“, erläuterte Dompropst Rolf-Peter Cremer, der an der Präsentation nicht persönlich teilnehmen konnte, in einer Pressemitteilung. „Zum einen wird im Dom täglich die Heilige Messe in Fortführung des Abendmahls gefeiert. Zum anderen macht die Installation deutlich, dass der Dom und die darin stattfindenden Aktivitäten eine Verbindung haben müssen zu den großen globalen Fragestellungen von Armut, Krieg und Verteilungsgerechtigkeit.“
Alle Menschen akzeptieren
Künstlerin Lilli Muller rief bei der Präsentation zu mehr Menschlichkeit und Toleranz angesichts von Krisen und Kriegen auf. „In unserer Zeit ist viel an Menschlichkeit verloren gegangen“, bedauerte sie. „Deswegen ist es wichtig, dass wir bei uns selbst anfangen und alle Menschen akzeptieren.“ Ihr gehe es darum, mit ihrem ungewöhnlichen Werk, das zuvor nur während der Biennale von Venedig in der Kirche Madonna dell‘Orto zu sehen war, Menschen zusammenzubringen, mit ihnen in den Dialog zu treten und erreichbare Lösungen für eine bessere Welt zu finden. „Und natürlich war das Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern eine wichtige Anregung für mich“, erklärte sie auf Nachfrage. Der Aachener Unternehmer Dieter Rehfeld hatte die Installation bei der Biennale 2021 gesehen und war spontan auf die Idee gekommen, das Kunstwerk nach Aachen zu holen. „Ich war von dieser Idee sofort ganz begeistert“, versicherte die Künstlerin.
Lilli Muller wollte schon als Kind Künstlerin werden und offenbarte bereits an ihrem Gymnasium ihr besonderes Talent. Nachdem sie die europäische Kunst kennengelernt hatte, war sie fest entschlossen, ihre eigene Stimme zu finden und begab sich auf eine sechsmonatige Reise durch die USA, wo sie 1980 im Bundesstaat Kalifornien eine neue Heimat fand. Hatte sie bis dahin noch weitgehend zweidimensional gearbeitet, so entdeckte sie dann den Gipsguss für sich und schlug eine neue künstlerische Richtung ein. Es gelang ihr, ihre körperbetonten Zeichnungen in drei Dimensionen zu verwandeln – eine Methode, die ihr den Weg zur multidisziplinären Künstlerin eröffnete.
Persönliches Schlüsselerlebnis
Bald darauf hatte Lilli Muller ein zweites Schlüsselerlebnis, als sie die französisch-US-amerikanische Künstlerin Louise Bourgeois kennenlernte, und es zu einem engen Austausch kam. „Meine Zeit mit Louise hat mich dazu inspiriert, meine künstlerische Vision über mich selbst hinaus zu erweitern, um mich auf eine neue kreative Reise zu begeben“, hat sie einmal gesagt. Ihre Kunst verfeinerte sich und ging dazu über, soziale Probleme, humanitäre Ursachen und politische Unruhen in der Welt anzusprechen. Heutzutage ist Muller vor allem für ihre einzigartigen Performances, Installationen und Bilder bekannt, die durch figurativen Körperguss in Gips beziehungsweise Fiberglas entstanden sind. Ihre Kunst umfasst verschiedene Genres wie Skulpturen, Arbeiten auf Papier, Installationen und Gemälde, und ihre Installationen beziehen wiederum Zeichnung, Malerei, Mixed-Media-Skulptur, Fotografie, Performance-Kunst und Video ein. „Meine aktuelle Arbeit konzentriert sich auf arbeitsintensive, multidisziplinäre, interaktive Performance-Projekte und Interaktionen, die sich mit globalen Themen und dem Zustand der Menschheit weltweit befassen“, erläutert Lilli Muller.
Die globale Hungersituation und das Lieferkettengesetz
Die Kunstinstallation „Global Supper“, die von Aachener Unternehmen gesponsort wird, wurde von weiteren Aktionen flankiert, etwa einer musikalisch-literarischen Performance des Rotary-Clubs Aachen-Charlemagne im Dom-Innenhof und einem Diskussionsabend des Hilfswerks Misereor in der Domsingschule. Dabei diskutierten die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Katarina Barley (SPD), der Inhaber der Lambertz-Gruppe, Hermann Bühlbecker, und Misereor-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel unter anderem über die globale Hungersituation und das Lieferkettengesetz. Das „Global Supper“, das nur kurze Zeit in Aachen gezeigt wird, soll danach auf eine „World Tour“ gehen. Lilli Muller ist deswegen mit verschiedenen Städten und Institutionen im Kontakt. „Brüssel als Ausstellungsort wäre ideal“, erklärte sie gegenüber der „Tagespost“.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.