Als am Dienstag das italienische Kabinett zu einer Notstands-Sitzung zusammenkam, um über die Wasser-Katastrophe im Norden des Landes zu beraten, hatte Regierungschefin Giorgia Meloni die Emilia-Romagna schon von oben gesehen. Geflutete Felder. Straßen und Schienen, die in Binnenseen verschwinden. Einen Tag früher war sie vom G7-Gipfel in Hiroshima abgereist, um die überflutete Region zu überfliegen und dann einen Tag bei den Opfern zu verbringen. Diesmal war es nicht ein Erdbeben, das eine Stadt zerstört, oder ein Erdrutsch, der ein Dorf zugeschüttet hätte. Diesmal war es eine ganze Region, die Schaden nimmt. Die Emilia-Romagna, größer als Rheinland-Pfalz und in der Fläche ungefähr so ausgedehnt wie Hessen, erstreckt sich vom Fluss Po im Norden bis entlang der Adria bis zu den Marken im Süden. Deutsche Italien-Reisende kennen die Gegend gut: Gerne besucht man Ferrara, Modena, Bologna und Ravenna; Rimini, Riccione und Cattolica locken Badeurlauber an.
Solide Infrastruktur
Die Region lebt von der Landwirtschaft und dem Tourismus. Sie ist gut entwickelt, hat eine solide Infrastruktur. Urlauber in Rimini treffen auf „deutsche Standards“. „Afrika“, wie man so sagt, beginnt weiter südlich, irgendwo zwischen Florenz und Rom. Von dem Erbeben des Jahres 2012 hatte sich die Emilia-Romagna inzwischen erholt, bis dann am Dienstag und Mittwoch vergangener Woche so viel Regen fiel wie sonst in einem halben Jahr. Viele kleine Flüsschen durchziehen das Land, Kanäle dienen der Bewässerung. Sie alle traten innerhalb weniger Stunden über die Ufer. Über Nacht wurden die Landstriche an der Adria wieder das, was sie vor weit mehr als hundert Jahren waren: Sümpfe.
In einer Blitzaktion vereinbarten die örtlichen Behörden mit den Landwirten, die Felder fluten zu lassen, um die Ortschaften und Städtchen vor einem hohen Wasserstand zu bewahren. Doch umsonst. In hundert Gemeinden wurden die Menschen in ihren Häusern eingeschlossen. 280 Erdrutsche und abstürzende Uferböschungen machten um die 400 Straßen unbefahrbar. Es gab 15 Todesopfer, oft ältere Menschen, die ihre Haustiere retten wollten. Eine ältere Dame starb mit ihrem Esel. Mit dem Wasser kam der Schlamm auf die Felder, versiegelte die Böden und lässt nun die Wurzeln faulen. Man rechnet damit, dass es im Unglücksgebiet erst in fünf Jahren wieder eine Ernte geben wird. Der Schaden, den Obst- und Gemüsebauern davonzutragen haben, dürfte sich Schätzungen zufolge auf 1, 5 Milliarden Euro belaufen. Insgesamt wird die Flut den italienischen Staat wohl um die sechs Milliarden Euro kosten.
Höchste Alarmbereitschaft
Doch immer noch, nach über einer Woche, gilt in der Emilia-Romagna höchste Alarmbereitschaft. Feuerwehr, Zivilschutz, das Heer und alle Formationen der Polizei sind pausenlos im Einsatz. Noch am vergangenen Wochenende mussten 36 000 Obdachlose in Notunterkünften versorgt werden. Inzwischen ist die Zahl auf 23 000 gesunken. Das Wasser fließt nur sehr langsam ab. Weite Flächen, vor allem um Ravenna herum, liegen unterhalb des Meeresspiegels. Die Region hatte in den vergangenen Jahren immer wieder unter Dürre und Trockenheit zu leiden. Das Wasser holte man sich über Kanäle aus dem Po. Bei Ravenna, dem „Holland Italiens“, münden viele Flüsschen und Kanäle in die Adria. Jetzt ist es gelungen, die Strömungsrichtung des Hauptkanals nach Norden umzudrehen, indem man Wasser aus den überfluteten Flächen in diesen Hauptkanal pumpt. Man leitet das Wasser aus den gefluteten Gebieten zurück in den Po, dem man es über Jahre zur Bewässerung entnommen hatte.
Italien ist ein Land, in dem die Polemik und die Suche nach den Schuldigen nicht erst nach einem Unglück oder einer Katastrophe beginnen, sondern unmittelbar dann, wenn das Unheil eingetreten ist. So war es beim Erdbeben von 2009, das L‘Aquila zerstörte, oder beim Einsturz der Autobahnbrücke bei Genua 2018. Jetzt, in der Emilia-Romagna, ist das anders. Dabei ist die Region eine Hochburg der Linken, das „rote Bologna“ war früher kommunistisch, heute gehören der Bürgermeister der Stadt wie auch der Präsident der gesamten Region der Linkspartei „Partito democratico“ an.
Beachtliche Welle der Solidarität
Doch man hört kaum Stimmen aus dem rechten Lager, die den politisch Verantwortlichen in der Emilia-Romagna Misswirtschaft, Zubetonieren der Landschaft oder Fehlplanungen vorwerfen. Dafür ist die Region auch zu gut organisiert.
Stattdessen erlebt man zum einen eine beachtliche Welle der Solidarität. Helfer aus ganz Italien kommen angereist. An den Straßenrändern stehen verdorbene Möbel, Teppiche und Elektrogeräte – und dazwischen Anwohner und Freiwillige, die in den Dutzenden von Gemeinden, die das Wasser jetzt wieder freigibt, die Straßen und Gehwege mit Schiebern und sonstigem Gerät vom Schlamm befreien.
Zum anderen wächst das Gefühl, dass nicht „die da oben“ in der Politik Schuld an der Katastrophe sind, sondern dass der Klimawandel seine Auswirkungen zeigt. Er bringt nicht einfach höhere Temperaturen, sondern den immer abrupteren Wechsel zwischen extremen Wetterlagen. Monatelang hatte man im Norden Italiens über eine Dürre geklagt. Der Pegel des Po sank auf einen Tiefstand. Jetzt tritt er, nachdem auch Piemont von starken Regenfällen heimgesucht wurde, über die Ufer.
Den Planeten retten
Selbst der Erzbischof von Bologna, Kardinal Matteo Zuppi, schlägt entsprechende Töne an. Er, dem Papst Franziskus eine Friedensmission im Ukraine-Krieg anvertraut hat, ist zugleich Vorsitzender der Italienischen Bischofskonferenz, die zurzeit in Rom tagt. Man werde dort, sagte Zuppi den Medien, über Strategien sprechen, wie man solche Katastrophen wie jetzt in seiner Heimat-Region vermeiden könne. „Die klimatischen Veränderungen zwingen dazu, die notwendigen Entscheidungen zu fällen. Die Enzyklika ,Laudato sì‘ ist uns eine Hilfe und lässt uns verstehen, dass jeder seinen Part erfüllen muss, um unseren Planeten zu retten und nicht nur Zuschauer zu sein.“
Für die italienische Regierung wird das bedeuten, das Land für tropische Verhältnisse zu wappnen. So spricht Nello Musumeci, Minister für Zivilschutz in der Regierung Meloni, von einem nationalen Wasserbauplan. In Italien komme es immer häufiger zu Überschwemmungen und Erdrutschen, da man es wie in Afrika zunehmend mit einem tropischen Wetter zu tun habe. Lange Dürren ließen die Böden austrocknen, die dann die Wassermassen bei heftigen Regenfällen nicht mehr schnell genug aufnehmen könnten, so der Minister. Selbst die italienische Regierung kommt an Grenzen, wenn es um die Klimaerwärmung als globalem Phänomen geht. Doch die Flut in der Emilia-Romagna lässt die Menschen dort spüren, dass dieses Phänomen ihnen immer näher auf die Pelle rückt.
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