Urchristen

Jüdische Gemeinde von Antiochia verschwindet

Die jüdische Gemeinde von Antiochia, dem heutigen türkischen Antakya, wo die Nachfolger Jesu zum ersten Mal als Christen bezeichnet wurden, gibt es bald nicht mehr.
In Antakya findet man viele antike Schätze
Foto: dpa | In Antakya findet man viele antike Schätze, wie etwas dieses nach der Restaurierung beschädigte Mosaik. Die jüdischen Spuren bleiben hoffentlich.

Die unter dem Seleukidenkönig Seleukos Nikanor 300 v. Chr. zu Ehren seines Vaters Antiochus gegründete Stadt Antiochia am linken Ufer des Orontes wurde schnell zum Schmelztiegel vieler Völker und Kulturen zwischen Abendland und Morgenland. Auch viele Juden aus Palästina und Babylon zogen dorthin. Der Talmud berichtete von Besuchen jüdischer Gelehrter in der Stadt, darunter auch der berühmte Rabbi Akiva. Antiochia wurde zum Maßstab für eine Metropole schlechthin. Im Jahr 64 v. Chr. wurde die Stadt von den Römern erobert, die sie zur Metropole ihrer Provinz Syrien machten. Antiochia wurde nach Rom und Alexandria die drittgrößte Stadt des Weltreiches. Für die Juden Palästinas zur Zeit Jesus war Antiochia ein fester Bezugspunkt. Als kosmopolitische Megametropole und als Handelszentrum der Antike war die jüdische Glaubensgemeinschaft in Antiochia wesentlich weltoffener als in Jerusalem.

Antiochia, die Wiege des Christentums

Mit Beginn der Verfolgung der Christen in Jerusalem nach dem Tode Jesu flohen Christen auch nach Antiochia, wo das Klima liberaler war und die Christen gut aufgenommen wurden. Während die Gemeinde in Jerusalem auf die Juden beschränkt blieb, öffnete man sich in Antiochia den „Heiden“, und damit der Weltmission. Durch die günstige religiöse Lage zwischen Ost und West breitete sich das Christentum von hier aus in beide Richtungen aus, im Westen nach Rom und im Osten bis an die Grenzen Indiens. Als erstes christliches Volk nahmen die Armenier bereits 301 das Christentum aus Antiochia an. Die Synagoge von Antiochia war der erste Ort, wo das Christentum außerhalb Palästinas verkündet wurde.

Auch die heute einzige und letzte Synagoge von Antakya liegt an der alten Römerstraße, die heute Kurtuluş-Straße heißt, neben ihr liegen auch die Kirchen aller christlichen Denominationen der Stadt. Dies ist noch heute ein Zeichen dafür, dass das Christentum in dieser Stadt aus der Synagoge hinaus auf die Straßen ging und dort zu allen Menschen predigte. So wurde die pulsierende Weltstadt Antiochia die eigentliche Wiege des Christentums. In Antiochia wurden die Anhänger Jesu auch zum ersten Mal Christen genannt. Zum ersten Mal wurden die Jünger als Nachfolger Christi wahrgenommen, nicht mehr als abtrünnige Juden.

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Petrus und Paulus kamen nach Antiochia

Der erste Gemeindeleiter in Antiochia wurde Barnabas aus Zypern. Aufgrund des immensen Missionserfolgs rief dieser Paulus aus dem benachbarten Tarsus in diese Stadt. Von hier aus brachen Paulus und seine Gefährten zu den Missionsreisen auf und hierhin kehrten sie nach zwei ihrer Reisen wieder zurück. Auch der Apostelfürst Petrus ist auf seinen Reisen nach Antiochia gekommen, hier kam es zum Konflikt mit Paulus um die Rolle der Judenchristen. Antiochia wurde die Stadt von Synoden, Theologieschulen und von Kirchenlehrern, aber sie blieb auch wegen des kosmoreligiösen Klimas der Stadt ein Ort, wo die Gnosis und andere Irrlehren ständig die Christengemeinde vor große Herausforderungen stellten. Die St.-Petrus-Kirche in Antiochia ist, vom Vatikan anerkannt, die älteste Kirche des Christentums, sie besteht aus einer Höhle, die in den Hang des Berges Staurinus gehauen wurde.

Mehrmals, vor allem in den Jahren 115 und 526 n. Chr., wurde Antiochia, das auf mehreren tektonischen Brüchen liegt, von verheerenden Erdbeben vollständig zerstört, mit jeweils Hundertausenden von Toten. Dennoch wurde die Stadt immer wieder aufgebaut. Neben Rom, Konstantinopel, Alexandria und Jerusalem wurde Antiochia Sitz eines der fünf gleichrangigen Patriarchen des alten Christentums. Antiochia war auch die erste Stadt, die die europäischen Kreuzfahrer nach langer Belagerung 1097/98 auf ihrem Weg nach Jerusalem eroberten. Europäische Kreuzfahrer und ihre armenischen Verbündeten aus dem benachbarten kilikischen Kleinarmenien machten aus Antiochia wieder eine christliche Stadt. Jahrhundertelang gehörte die Stadt zum arabisch-armenischen Kulturkreis, Musadagh, in der Nähe, wurde zum Symbol des Widerstands der Armenier gegen den Völkermord von 1915 im Osmanischen Reich.

Dennoch überließen die Franzosen 1939 die Stadt und ihr Umland der Türkei. Der armenische Kardinal Bedros Krikor Agagianian (1895-1971), der damals in Paris lebte, konnte lediglich dafür sorgen, dass einige armenisch besiedelte Ortschaften um die Stadt Kessab in Syrien verblieben, von wo die Armenier aber im syrischen Bürgerkrieg seit 2011 auch vertrieben wurden.

Die letzten Juden von Antiochien

Antakya wurde neben dem aramäischen Midyat zum christlichen Zentrum der republikanischen Türkei. Keine Stadt der Türkei ist religiös bunter gemischt, Antakya gilt als ein Schmelztiegel vieler Religionen. In der türkischen Provinz Hatay, zu der Antakya gehört, leben neben arabischsprachigen Alawiten und Christen (Orthodoxe und Katholiken) auch türkischsprachige Aleviten und Sunniten. Arabisch ist neben Türkisch die meist gebrauchte Umgangssprache in der Stadt und der Region, auch die letzten Juden sprechen dort Arabisch. Da die Stadt Antakya während des syrischen Bürgerkrieges auch ein wichtiger Sammelpunkt für die syrischen Rebellen wurde, hat sich die Bevölkerung fast verdoppelt, auf heute 400 000.

Das syrische Hinterland von Antakya, die Provinz Idleb, ist immer noch in der Hand der mit der Türkei verbündeten sunnitischen Islamisten, die den alawitischen syrischen Präsidenten Assad stürzen wollen. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebten in Antakya noch 450 Juden, jüdische Familien beherrschten große Teile des Handels der Stadt und der Region. Der syrische Bürgerkrieg seit 2011 hat auch das einst weltoffene Klima in der Stadt verändert. Der türkische Präsident Erdogan unterstützt in diesem Bürgerkrieg die gegen Assad kämpfenden sunnitischen Islamisten, die die grenznahen türkischen Städte, darunter auch Antakya, zu ihrem Rückzugsgebiet machten. Im Jahre 2016 kam es auf dem jüdischen Friedhof der Stadt Antakya zu einem gewaltsamen antijüdischen Anschlag mit vielen Verwüstungen. Fast alle Grabsteine, die Umfassungsmauer und das Eingangstor des Friedhofs wurden zerstört. Dass dies in Antakya geschah, einer Stadt, die als die Wiege der Zivilisationen gilt, eine Stadt der friedlichen Koexistenz, war für die jüdische Gemeinde ein Schock. Das Viertel Emek, in dem sich der Friedhof befindet, ist als Hochburg der Dschihadisten aus Syrien bekannt. Auch wegen dieses Anschlags leben heute nur noch ein Dutzend Juden in Antakya, da alle Juden, die es konnten, die Stadt nach Istanbul oder Israel verlassen haben.

Nicht mehr genügend Menschen für einen Gottesdienst

Die Juden von Antakya schaffen es heute nicht mehr, einen Minjan (10 erwachsene Männer) zu bilden, um einen gültigen Gemeinschafts-Gottesdienst zu feiern. Alle Juden der Stadt haben einen Schlüssel zu der Synagoge, um dort allein ihre Gebete zu verrichten.

Das jüngste Mitglied der örtlichen jüdischen Gemeinde ist bereits über 60 Jahre alt, und viele sprechen davon, zu ihren Kindern oder Enkeln in anderen Teilen der Welt zu ziehen. Die jüdische Präsenz in Antiochia, die auch das Christentum geprägt hat, hat Antiochus und die Seleukiden, ganz zu schweigen von den Römern, Byzantinern, Kreuzfahrer, Mamelucken, Seldschuken und die Osmanen überlebt. Den durch Präsident Erdogan stark gewordenen Islamismus in der Türkei wird sie nicht mehr überleben. Bald wird der letzte Jude von Antiochien die Schlüssel der Synagoge abgeben.

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