Patriarch von Jerusalem

In erster Linie Mensch

Der emeritierte Lateinische Patriarch Michel Sabbah wird am 19. März 90 Jahre alt.
Michel Sabbah
Foto: KNA/Corinne Simon | Engagierter Kommentator und Denker: Michel Sabbah, emeritierter Lateinischer Patriarch von Jerusalem.

An einem Januartag 1988 vermeldete der Radiosender des Hashemitischen Königreichs Jordanien in den 10-Uhr-Nachrichten als erstes: „Heute kehrt Patriarch Michel Sabbah nach Jerusalem zurück, nachdem er zum Patriarchen von Jerusalem ernannt wurde. Somit ist er der erste arabisch-palästinensische Mann in diesem Amt seit 500 Jahren. Er kehrt in ein unruhiges Jerusalem zurück, nachdem die Palästinenser ihren glorreichen Aufstand begonnen haben, um die israelische Besatzung zu beenden.“ Bereits am 11. Dezember 1987 ernannt, wurde er von Papst Johannes Paul II. am 6. Januar 1988 im Petersdom zum Bischof geweiht. Wenig später fragten Dutzende von Journalisten den früheren Gemeindepfarrer von Madaba/Jordanien und Präsidenten der katholischen Universität Bethlehem am Flughafen Rom nach seinen Vorhaben und einer Botschaft. Seine Antwort war „einfach“, erzählt der in Nazareth geborene Sabbah im Film The People´s Patriarch 32 Jahre später. „Wenn ich nach Jerusalem zurückkehre, werde ich schon sehen, was ich sagen werde.“ Heimgekehrt, bezog er gleich Position, was israelischen Behörden zukünftig oft missfallen sollte: „Die Menschen haben ein Recht auf Freiheit, ein Recht auf Aufstand.“

In der Schönheit des Friedens

Gerne betonte er, dass er in erster Linie nicht Bischof oder Priester sei, „sondern Mensch.“ Und weiter: „Natürlich bin ich auch Palästinenser; ich empfinde selbstverständlich mit den Palästinensern. Ich stehe auf ihrer Seite. Aber als Mensch empfinde ich mit allen Menschen.“ Eine weitere Botschaft, nein: Grundüberzeugung, die er sinngemäß immer wieder übermittelte, lautet: „Sicherheit für die Israelis wird es erst geben, wenn Palästina frei und unabhängig ist.“ Dies war für ihn gleichbedeutend mit einem Ende der Militärbesatzung. Erst dann könne Frieden wachsen. Nichts hat er mehr ersehnt als ebendiesen, das zeigt schon sein Wahlspruch: In pulchritudine pacis – In der Schönheit des Friedens. Gesehen hat er ihn bis heute nicht. Im Gegenteil. Zum höchsten römisch-katholischen Repräsentanten des Heiligen Landes mitten im ersten Palästinenseraufstand (Intifada) gewählt, musste er in seiner Amtszeit auch noch den zweiten, viel blutigeren, miterleben. Wurden in der ersten Intifada (arab. Abschütteln) 88 Israelis und 886 Palästinenser getötet, waren es in der zweiten 1063 Israelis und 4 906 Palästinenser.

Viola Raheb, in Bethlehem geborene Christin, Theologin und während des zweiten Volksaufstands Schulrätin der evangelisch-lutherischen Schulen in Jordanien und Palästina, hat Michel Sabbah mehrfach getroffen. Unvergesslich ist ihr Sabbahs damaliger Hirtenbrief, in dem er angesichts israelischer Bombardierung von Häusern in Bethlehems Nachbarort Beit Jala „dazu auffordete: Bombardiert unsere Kirchen, aber schont die Häuser der Menschen”. Raheb, Autorin des Buches Nächstes Jahr in Bethlehem vermisst Sabbahs „entschiedenes Auftreten für Gerechtigkeit und seine Anteilnahme am Leben und Schicksal aller Bewohner des Landes sehr.“ Für die mittlerweile in Wien lebende palästinensisch-lutherische Christin ist Sabbahs Leben eines „im Dienste der Menschen“, seine Hirtenbriefe, Predigten und Interviews charakterisiert sie unserer Zeitung gegenüber als „eine prophetische Stimme Palästinas“.

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Einen gerechten Frieden erreichen

„Besatzung ist Sünde gegen Gott“ lautete eine Botschaft des umstrittenen palästinensisch-christlichen Aufrufs Kairos Palästina – Die Stunde der Wahrheit, der im Dezember 2009 von Bethlehem in die Welt hinausgerufen wurde. Zwei Jahre zuvor, bei einem Treffen von Kirchenoberhäuptern und Klerikern in Jordanien hatte alle die Frage umgetrieben: Was braucht es, um die Besatzung zu beenden und einen gerechten Frieden zu erreichen? Unter Federführung Michel Sabbahs verfassten palästinensische Christen, Laien und Kleriker, Männer wie Frauen besagten Appell. Die Anfangsworte lauten: „Nach Gebet, Nachdenken und Meinungsaustausch erheben wir, eine Gruppe christlicher Palästinenser und Palästinenserinnen, mitten aus dem Leiden unseres von Israel besetzten Landes heraus unsere Stimme zu einem Schrei der Hoffnung, wo keine Hoffnung ist, zu einem Schrei, der erfüllt ist vom Gebet und von dem Glauben an Gott, der in Seiner göttlichen Güte über alle Bewohnerinnen und Bewohner dieses Landes wacht.” Dann schließt sich eine Lagebeschreibung an: Von täglicher Demütigung an den Militärkontrollposten ist die Rede, von Einschränkung der Religionsfreiheit und der Missachtung des Völkerrechts. Festgestellt wird: „Die Religion wird missbraucht.”

Seitdem hat die Gewalt nicht nachgelassen. Die einzige gemeinsame Zeitschrift zwischen Mittelmeer und Jordanfluss, das Palestine-Israel Journal hat diesem Thema bereits im Jahr 2015 das Heft Religion and the Conflict gewidmet. Über 20 Autoren – Palästinenser, Israelis und eine Deutsche – kommen in englischer Sprache zu Wort. Den Auftakt machte Michel Sabbah mit Religion and the Palestinian-Israeli Conflict und diesem Satz: „Es ist kein religiöser Konflikt zwischen palästinensischen Muslimen oder Christen auf der einen und dem Judentum auf der anderen Seite.“ Er schließt seinen Artikel mit der Frage, wie man im selben Land zusammenleben, ko-existieren könne. „Nötig ist ein radikaler Wandel im Menschen, sei er Israeli oder Palästinenser“, ist er überzeugt. Nötig sei auch eine „Neu-Erziehung, die uns lehrt, dem anderen zu trauen“, eine „neue Friedenserziehung, eine neue religiöse Erziehung“, damit „das Prinzip, dass zwei Völker friedlich Seite an Seite leben können, angenommen wird.“

Er ist wirklich ein Mann des Gebets

Für Omar Haramy, Direktor des palästinensischen Zentrums Sabeel für Befreiungstheologie liegt das Besondere am emeritierten Patriarch darin, „dass er ein einfacher, gewöhnlicher Christ aus Palästina ist“. Den Titel „Volkspatriarch“ hat er sich laut Harami verdient, da er „das Leiden unseres Volkes selbst erlebt hat und der Ungerechtigkeit widerstanden hat, indem er Menschenrechtsverletzungen entlarvt hat ohne die Menschlichkeit des Besatzers zu schmälern“. Haramy: „Er ist einer von uns, er liebt uns und wir lieben ihn zurück.“ Der österreichische Theologe Andreas Paul, im Internationalen Versöhnungsbund engagiert, ist 2006 Michel Sabbah in Linz begegnet. Wie auch schon bei Begegnungen in Palästina beeindruckte ihn der Patriarch „mit seiner klaren Sicht auf die Probleme im Heiligen Land und seinem tiefen Wunsch nach Frieden für alle Menschen, die dort leben”.

Er sei ein Mann des Gebetes, bekennt der nun 90-Jährige am Ende des eingangs erwähnten Films des palästinensisch-muslimischen Regisseurs Mohammed Alatar. Den Allerhöchsten bitte er: „Schau vom Himmel herab und sieh! Warum lässt du das alles geschehen? Menschen sterben, werden unterdrückt. Deine Kinder, deine Schöpfung, töten und werden getötet. Du hast den Menschen anständig und wertvoll erschaffen. Guter Herr, schütze die Menschheit und leite sie auf den richtigen Pfad.”

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