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Elitetruppen für den Papst

Oudenbosch ist eng mit der Geschichte der niederländischen Freiwilligen verbunden, die bis zum Ende des Kirchenstaates im Jahre 1870 bei den päpstlichen Truppen dienten.
Zuavendenkmal
Foto: Hartmut Sommer | Das Zuavendenkmal vor der Basilika von Oudenbosch.

Bangend saß Papst Pius IX. am frühen Morgen des 20. September 1870 im Vatikan und lauschte auf das Grollen aus Richtung Porta Pia, wo italienische Truppen mit schweren Geschützen auf die Aurelianische Mauer hämmerten, die mächtige Stadtumwallung Roms, hinter der sich die päpstlichen Truppen verschanzt hatten. Es war der letzte Versuch des Papstes, seine weltliche Herrschaft wenigstens über die Reste des Kirchenstaates vor dem Zugriff des 1861 gegründeten Königreichs Italien zu bewahren, nachdem die Romagna, die Marken und Umbrien bereits verlorengegangen waren. 

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Der italienische König Viktor Emanuel II. nutzte die Gunst der Stunde, denn durch die französische Niederlage bei Sedan am 2. September gegen ein vereinigtes deutsches Heer fiel Frankreich als Schutzmacht für den Kirchenstaat aus. Bereits am 11. September ließ er angreifen. Nach kurzem Widerstand einiger Außenposten war Rom am 18. September von einer 41.500 Mann starken italienischen Truppenmacht eingeschlossen. Dem standen auf päpstlicher Seite 8770 Mann verteidigungsbereit gegenüber. Ihr Befehlshaber, der deutsche General Hermann Kanzler, hatte sich gegen andere Ratgeber des Papstes durchgesetzt, die statt des militärischen Widerstandes eine diplomatische Lösung mit Rückendeckung dritter Mächte vorschlugen. Dabei konnte er auf die Schlagkraft der päpstlichen Truppen verweisen. Nach jahrelanger Auseinandersetzung mit Banditen in den Bergen des Umlandes und harten Gefechten mit den für eine Einigung Italiens kämpfenden Freischärlern Garibaldis waren sie kampferprobt. Die teilweise von Spendengeldern aus aller Welt finanzierte Bewaffnung entsprach dem modernsten Standard. Auf die Einsatzbereitschaft der Päpstlichen konnte man zählen, denn sie bestanden in ihrem effektivsten Teil aus internationalen Freiwilligen. Aus Europa und von Übersee waren sie herbeigeströmt, als der Kirchenstaat immer mehr unter Druck geriet, beseelt vom Wunsch, dem Papst beizustehen.

Der Kanonendonner ebbte ab

Am Tag des italienischen Angriffs hörte der Papst um 8.30 Uhr, dass der Kanonendonner plötzlich abebbte. Zu diesem Zeitpunkt war ein Abschnitt der antiken Mauer bei der Porta Pia nach fast dreistündigem Trommelfeuer eingestürzt. Es dauerte, bis der päpstliche Befehl, die Waffen zu strecken, den Verteidigern übermittelt wurde. So kam es auf den Trümmern der Mauer noch zu einem erbitterten Gefecht unter den Kampfrufen „Viva Pio Nono!“ der einen und „Roma capitale!“ der anderen. Um 9.30 Uhr schließlich erschien die weiße Fahne auf dem Petersdom. Mittags unterzeichnete General Kanzler die Kapitulation und übergab die Stadt. Der Kirchenstaat war Geschichte, der Papst fortan kein Herrscher über ein weltliches Territorium mehr.

Der letzte päpstliche Gefallene an der Bresche war einer der Niederländer, die ab 1865 in großer Zahl zum Dienst bei den päpstlichen Truppen eilten. Sie wurden den Zuaven zugeteilt, einem Regiment, das den elitären Kern der päpstlichen Verteidigungskräfte bildete. Der belgische Prälat Xavier de Mérode, der ab 1860 die Truppen neu organisierte, hatte es als internationale Legion gegründet und ihr 1861 den Namen „Päpstliche Zuaven“ verliehen. Mérode, Veteran des Kolonialkrieges in Algerien, entlehnte diesen Namen den auf französischer Seite kämpfenden Freiwilligen, die aus kabylischen Stämmen rekrutiert waren, den Zouaoua. Mit dem Namen und der ebenfalls übernommenen orientalisierenden Uniform – Pluderhose und Bolerojacke – wollte er den Nimbus dieser Elitetruppe auf das päpstliche Freiwilligenregiment übertragen. Zunächst meldeten sich vor allem Franzosen und Belgier dafür, zuletzt kamen die meisten Zuaven aus den Niederlanden, 3081 insgesamt.

Zuavenmuseum
Foto: Hartmut Sommer | Zuavenmuseum: Banner für den Sieg von Montelibretti 1867.

Dass sich so viele katholische Männer aus diesem kleinen Land für einen Dienst unter päpstlicher Fahne begeisterten, lag an der dort einflussreichen, an Rom orientierten Bewegung des Ultramontanismus, die einer katholischen Emanzipationsbewegung in diesem calvinistisch dominierten Land kräftigen Schwung verlieh. Nicht der niederländische König, sondern der Papst war die Identifikationsfigur, um die man sich scharte. Sah man ihn in Gefahr, musste ihm zu Hilfe geeilt werden. Die katholische Presse trommelte entsprechend für eine Meldung bei den Zuaven und berichtete unentwegt über deren Erlebnisse im römischen Dienst. Das stolze Mitfiebern mit ihrem Einsatz stärkte das Selbstbewusstsein des lange zurückgesetzten katholischen Bevölkerungsteils.

Ein Netzwerk von Rekrutierungsstellen schickte die Anwärter nach Oudenbosch, einem ländlichen Ort in Brabant, wo Pfarrer Willem Hellemons, ein begeisterter Propagandist für die Sache der Zuaven, sie in Gruppen nach Rom weiterleitete. Seine Rombegeisterung ging so weit, dass er ab 1865 den Neubau seiner Pfarrkirche dem Petersdom und der Lateranbasilika nachbilden ließ. Oudenbosch hatte alle Voraussetzungen für einen Sammelpunkt. Im groß dimensionierten Jungeninternat der Brüder von St. Louis gab es Beherbergungsmöglichkeiten, und der Eisenbahnanschluss ermöglichte die gut organisierte Weiterreise nach Rom, über Brüssel bis Marseille, von wo aus es mit dem Schiff weiterging nach Civitavecchia, dem einzigen Hafen des geschrumpften Kirchenstaates.

Verlustreiche Kämpfe

Die Anwärter mussten unverheiratet sein und neben körperlicher Eignung eine gefestigte, durch den Ortspfarrer zu bescheinigende katholische Gesinnung mitbringen. Bald nach der Ausbildung gingen sie auf tagelange, kräftezehrende Patrouillen, um in den Bergen des römischen Umlandes Banditen aufzuspüren. Die Scharmützel zur Abwehr der immer wieder einsickernden Kämpfer Garibaldis waren verlustreich. Und die bäuerlichen Niederländer hatten es nicht leicht mit den fast ausschließlich französischen Offizieren. Die Sprachbarrieren führten zu fatalen Missverständnissen.

Für die Verständigung bei der Beichte aber war gesorgt. Ein dreispaltiger Beichtspiegel in Niederländisch, Französisch und Italienisch listete 27 Sünden auf, sodass man nur auf die zu beichtende zeigen musste. Alle Umstände ließen sich ertragen, war man nur in Rom und in der Nähe des Papstes, etwa beim Manöverlager in den Bergen von Albano, wo Pius IX. für seine Zuaven 1868 die Messe zelebrierte. Die in die Niederlande zurückgekehrten Zuaven waren in ihrem katholischen Umfeld hochgeachtet. Der Zusammenhalt blieb bestehen, organisiert durch Bruderschaften. Sie wurden ein prägendes Element des katholischen Milieus. Als der ab 1878 amtierende Papst Leo XIII. in der Enzyklika „Rerum Novarum“ für das Organisationsrecht der Arbeiterschaft eintrat, unterstützten die Bruderschaften der Zuaven die Gründung eines katholischen Gewerkschaftsbundes. Der neue Papst ehrte die Zuaven-Veteranen mit einer Bene-Merenti-Medaille.

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Bezugspunkt blieb Oudenbosch, von wo aus sie zu ihrem römischen Abenteuer aufgebrochen waren. Die sechzehnmal verkleinerte Nachbildung des Petersdoms ging der Vollendung entgegen, als sich die Zuaven 1911 zum letzten Mal zu einem landesweiten Treffen versammelten, um ein vor diesem „Klein-Sankt-Peter“ errichtetes Denkmal für ihre gefallenen Kameraden einzuweihen. Es zeigt Pius IX., der einen sterbenden Zuaven segnet. Auch heute pflegt man in Oudenbosch mit einem Museum das ehrende Andenken an die Zuaven. Es ist nur einen Steinwurf von der Basilika entfernt und dem ehemaligen Jungeninternat St. Louis gegenüber, wo sie vor ihrer Reise nach Rom untergebracht waren.


Der Verfasser ist promovierter Erziehungswissenschaftler. Er arbeitet als freier Autor und Übersetzer.

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